Der Berliner Winter ist nichts für Anfänger. Die Straßen sehen dann besonders trist aus. Dazu kommen fleckige Matratzen, alte Kühlschränke oder auch der ausrangierte Kratzbaum vor der Haustür - das gibt manchem Bewohner den Rest. Besonders Besuchern aus anderen Teilen Deutschlands fällt die dreckige Seite der Hauptstadt auf. An manchen Ecken sieht es nach einer Art Anti-Kehrwoche aus.
Berlin hat ein Problem mit illegal entsorgtem Müll und dadurch Kosten von jährlich rund vier Millionen Euro. Anders als in anderen deutschen Kommunen wird der Sperrmüll nicht an bestimmten Tagen von den Straßen abgeholt - sonst würden die Möbelberge zerfleddern und ausufern, so die Begründung. Müll zieht Müll an.
Größere Dinge zu entsorgen, kostet in Berlin ein bisschen Mühe oder Geld. Damit sind viele offensichtlich überfordert. Bei Instagram gibt es dazu passend eine Seite "Mattresses of Berlin", eine Bilder-Sammlung ausrangierter Matratzen. Besonders schlimm ist es beispielsweise in Teilen Neuköllns, einem zunehmend teuren Bezirk mit vielen Ausländern, Hartz-IV-Empfängern und Studenten. Das Ordnungsamt bekam 2016 im Internet rund 10 000 Meldungen zu Abfall und "illegalen Müllablagerungen".
Manche Straßen haben wegen des Sperrmülls von Bewohnern schon den Spitznamen "Möbelstrich" bekommen. "Ich rege mich innerlich immer auf", sagt Anwohnerin Sascha (33), die mit ihrem kleinen Sohn gerade an einer ausrangierten Couch vorbeigelaufen ist. "Ich habe das Gefühl, dass es schlimmer geworden ist."
Fernseher, Staubsauger, Kühlschränke
Was sie in Neukölln schon alles gesehen hat? Fernseher, Staubsauger, Kühlschränke, alte Möbel. "Das will kein Menschen haben." Ein Freund von ihr habe mal eine Couch von der Straße mit nach Hause genommen und sich Bettwanzen eingeschleppt. Sie vermutet, dass die Leute die Möbel nachts entsorgen.
Wer macht sowas? "Gute Frage", sagt Joachim Wuttke, Fachgebietsleiter Abfallwirtschaft beim Umweltbundesamt in Dessau. "Littering", also die Vermüllung, ist noch wenig erforscht. "Darüber wissen wir eigentlich sehr wenig." Es habe mit Anonymität zu tun und sei ein bundesweites Problem. "Auf dem Land ist die soziale Kontrolle größer als in der anonymen Großstadt." Aber die wilde Müllkippe gebe es auch auf den Dörfern - an Stellen, an denen wenige Leute unterwegs seien.
Auch der Deutsche Städtetag kennt das Thema. "Achtlos weggeworfener Müll verschandelt das Stadtbild und ist eine Respektlosigkeit gegenüber den Mitmenschen", sagt Hauptgeschäftsführer Hartmut Dedy. Illegaler Müll sei in vielen Städten immer wieder ein Problem. Die Mittel dagegen: Sauberkeitskampagnen, zeitlich flexibles Abholen von Sperrmüll, Hotlines zum Melden von Müllhalden und Bußgelder.
Berliner Kinder stört "Müll und Hundekacke"
"Es gibt überhaupt kein Unrechtsbewusstsein", sagt die Neuköllner Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). "Die Leute sind einfach zu bequem." Die Bußgelder liegen ihr zufolge zwischen 100 und 5000 Euro. Es sei aber schwierig, jemanden zu erwischen. Zudem seien die Ordnungsämter knapp besetzt. Der illegale Müll sei eines der größten Ärgernisse. "Wir wissen, dass es durch alle Bevölkerungsschichten geht." Wenn man Kinder frage, was sie am meisten an der Stadt störe, sagten diese: "Müll und Hundekacke".
Die Berliner Stadtreinigung (BSR) findet das Verhalten von Müllsündern doppelt rücksichtslos. Es schade der Umwelt und wegen der Kosten auch der Allgemeinheit. Niemand sei gezwungen, seinen Unrat auf der Straße zu entsorgen, sagt BSR-Sprecher Sebastian Harnisch. Die Recylinghöfe nehmen drei Kubikmeter Sperrmüll kostenlos an. Für 50 Euro werden fünf Kubikmeter von zu Hause abgeholt.
Ob die Straßen im Wedding oder in Neukölln sauberer werden, wenn die Mieten weiter steigen, ist offen. Anwohnerin Sascha nimmt jedenfalls auf dem Weg zum Park lieber einen Umweg. Ihre eigene Straße ist ihr zu dreckig. Von Caroline Bock, dpa