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Singen: Brutale Vergewaltigung in Schule entpuppt sich als Lügengeschichte

Singen

Brutale Vergewaltigung in Schule entpuppt sich als Lügengeschichte

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    In Singen kursierte das Gerücht einer brutalen Vergewaltigung an einer Schule. Die Geschichte war erfunden.
    In Singen kursierte das Gerücht einer brutalen Vergewaltigung an einer Schule. Die Geschichte war erfunden. Foto: Symbolbild, Julian Stratenschulte dpa

    Der grauenhafte Fall, der sich an der Berufsschule in Singen (Baden-Württemberg) zugetragen haben soll, machte schnell die Runde: Eine 19-jährige Frau ist an der Robert-Gerwig-Berufsschule als Putzfrau im Dienst, als sechs Männer ihr auflauern, sie überfallen, brutal zusammenschlagen, treten und schließlich mehrfach vergewaltigen. Die Täter: Offenbar Asylbewerber. Die Frau überlebt nur knapp und liegt seither im Krankenhaus im künstlichen Koma.

    Das wirklich Schlimme an diesem Fall: Er ist erstunken und erlogen. Weder wurde eine 19-Jährige überfallen, geschweige denn misshandelt. Doch das Gerücht trug sich hartnäckig durch die Stadt, es erreichte schnell gut bürgerliche Kreise, seriöse Geschäftsleute. Alle waren entsetzt.

    Vergewaltigungs-Mythen bundesweit im Umlauf

    Schulleiter Manfred Hensler weiß, dass das Gerücht „jeglicher Grundlage entbehrt“. Er tippt darauf, dass es absichtlich verbreitet worden sein könnte. Auch bei der Polizei ist eine brutale Vergewaltigung nie bekannt geworden, ergibt die Nachfrage unserer Redaktion. „Kein Vorkommnis“, heißt es aus dem Polizeipräsidium.

    „Angst zu schüren ist das Ziel dieser üblen Kampagnen“, weiß Marcel Da Rin, der bei der Stadt Singen für die Kriminalprävention zuständig ist. Ihm sind schon zahlreiche solche Gerüchte zu Ohren gekommen. „Und immer haben sie sich als absolut heiße Luft entpuppt“, schildert er. Solche Vergewaltigungs-Mythen seien bundesweit im Umlauf. Fachleute wissen: Sie sind sehr wirksam, weil man mit ihnen Menschen massiv verunsichern kann.

    Wer die Gerüchte in die Welt setze, lasse sich fast nicht nachvollziehen. Aber es sei zu vermuten, dass dies aus dem rechtsextremen Milieu heraus geschehe, sagt Da Rin, auch in Singen. Bei gleich mehreren öffentlichen Veranstaltungen der Stadtverwaltung zur Flüchtlingsthematik machten Redner mitunter massiv Stimmung gegen die Zuzügler. Nicht alle nannten ihre wirklichen Namen, hieß es aus Polizeikreisen später. Einige von ihnen stehen nach Informationen des Südkurier unter Beobachtung des Staatsschutzes.

    Rechte verbreiten Angstmacher-Geschichten über Asylbewerber

    Bei den Treffen wurden teils auch Flugblätter einer rechten Gruppe verteilt, die vor angeblich „zunehmender Kriminalität durch Asylanten“ warnt. Außerdem drohten „Vermüllung, massive Lärmbelästigung, offener Drogenhandel, Gewaltorgien und Brandstiftungs-Delikte.“

    Auch in anderen Hegau-Orten kursieren Angstmacher-Geschichten. Leserin Gerlinde Barth aus Engen berichtet von „dummen und gefährlichen Gerüchten“, die von heimischen Geschäftsleuten zugeflüstert werden. „Ich habe die Sachen, die ich hörte, nachverfolgt. Alles war einfach nur erfunden“, schimpft sie. „Für mich ist das Volksverhetzung und gehört bestraft.“

    In der Kreissporthalle neben der Robert-Gerwig-Schule, wo mehr als 100 Asylbewerber leben, herrscht unterdessen Ruhe. „Keine Übergriffe auf Schüler, keine Vorfälle im Umfeld, gar nichts“, berichtet Schulleiter Hensler.

    Marcel Da Rin, der bei der Singener Stadtverwaltung allgemein für Kriminalprävention und in diesem Zusammenhang neuerdings auch für die Flüchtlinge zuständig ist, hat ein ganz einfaches Mittel parat, Gerüchte zu enttarnen, die einem zugetragen werden: "Nachfragen, nachfragen, nachfragen", rät er. "Fragen Sie ihr Gegenüber nach konkreten Daten, Fakten und Namen. Ganz direkt: Wer hat diese Informationen bekommen? Woher stammen sie? Ist die Quelle verlässlich? Wer ist das angebliche Opfer? Was ist genau passiert? Wann ist das geschehen? Gab es Zeugen? Was sagt die Polizei?" Wer tiefer nachfrage und nicht blind den Behauptungen aus der Gerüchteküche folge, stoße in der Regel bald schon auf Unwissen. "Die Spur verliert sich ganz schnell im Unklaren, im Oberflächlichen", weiß Da Rin.

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