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Betreuung: Bayerns Krippen fehlen Erzieherinnen

Betreuung

Bayerns Krippen fehlen Erzieherinnen

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    Der Kita-Ausbau in Bayern läuft auf Hochtouren, denn ab 1. August haben Eltern einen Rechtsanspruch auf die Betreuung ihrer Kinder. Nur an Personal fehlt es noch.
    Der Kita-Ausbau in Bayern läuft auf Hochtouren, denn ab 1. August haben Eltern einen Rechtsanspruch auf die Betreuung ihrer Kinder. Nur an Personal fehlt es noch. Foto: Fred Schöllhorn

    Die winzigen Finger ertasten den Türrahmen. Das Mädchen mit den gekräuselten Haaren und den großen Augen steht da und schaut. Schaut zu, wie die anderen Kinder mit ihren Händen im Wasser planschen und ihre quietschgelben Bade-Entchen erst unter- und dann wieder auftauchen lassen. Das Mädchen ist noch ein wenig wackelig auf den Beinen. Stehen ist ein echter Balance-Akt. Gerade erst hat die Einjährige Laufen gelernt. Und ist schnurstracks in die Arme ihrer Erzieherin gestolpert.

    Kinder-Betreuung: Erzieherinnen werden verzweifelt gesucht

    „Die Mama war ganz erstaunt“, sagt Ulrike Leibrecht. Die Erzieherin der Kinderkrippe „Zu den Hl. Engeln“ in Landsberg weiß, dass die ersten Schritte für jede Mutter etwas Besonderes sind – auch wenn sie selbst in diesem Moment nicht dabei ist. Über zehn Jahre hat Leibrecht im Kindergarten gearbeitet. Als sie sich vor ein paar Jahren für die Betreuung von Babys und Kleinkindern entschieden hat, sei das eine „riesen Umstellung“ für sie gewesen. Ab August werden sich viele Kindergärten umstellen müssen. Wegen des Rechtsanspruchs auf Betreuung entstehen zum Teil in den Räumlichkeiten von Kindergärten Krippen, wie beispielsweise im Kindergarten „Zur Arche“ in Landsberg. Für die Betreuerinnen heißt das: „Die Kinder haben da ganz andere Bedürfnisse“, sagt Leibrecht und reicht einem Mädchen nebenbei ein paar Blatt Toiletten-Papier.

    Sauberwerden, Laufen, das erste „Gebrabbel“, selbstständig anziehen oder essen: „In der Krippe braucht man gutes Personal. Da muss man doppelt hinschauen. Hier wird der Grundstock gelegt“, sagt die Leiterin des Kindergartens „Zu den Hl. Engeln“ in Landsberg, Anneliese Mathauser. Doch gutes Personal zu finden, sei schwer. „Die Verantwortung wird immer größer.“ Die Erwartungen der Eltern steigen: „Man schickt die Kinder hierher und will sie schulreif wieder abholen“, sagt sie.

    Mehr Freiraum für Kinder und Erzieherinnen in den Kitas

    Ein kleiner Bub sitzt auf einem der Holz-Stühlchen und zeigt mit dem Finger auf eine Seite: „Da ist ein Hai“, schreit er und ist verzückt. „Schau mal, was der für Zähne hat“, flüstert Mathauser, die sich zu dem Kind herabbeugt und dabei selbst Kinderaugen bekommt. „Woah. Toller Hai“, sagt sie. Die anderen Kinder sind so vertieft ins Spielen, dass sie den Buben mit dem Hai gar nicht bemerken.

    „Hier im Kindergarten gibt es seit sieben Jahren ein offenes Konzept“, erklärt Mathauser. Sowohl für die Kinder als auch für die Betreuerinnen bedeutet das mehr Freiraum. Die „Bärengruppe“ oder die „Mäusegruppe“ von früher gibt es nicht mehr. Die Kinder entscheiden selbst, ob sie sich im Rollenspielzimmer verkleiden, im Mathematikzimmer beschäftigen oder im Bauzimmer mit kleinen Kartons Burgen bauen wollen, die größer sind als sie selbst. Wenn eine Betreuerin krank sei, könne das leichter ausgeglichen werden als in festen Gruppen.

    Kita-Ausbau in Bayern läuft auf Hochtouren

    In Bayern habe man „mit Hochdruck“ alles unternommen, um Erzieher zu gewinnen, betonte Günzburgs Oberbürgermeister Gerhard Jauernig kürzlich bei einer Sitzung des Bayerischen Städtetags. Aber reicht es aus, wenn beispielsweise die Stadt Günzburg mit zusätzlichen Stellenanzeigen nach Fachkräften sucht, wie Jauernig berichtet? „Gerade in größeren Städten und in Ballungsgebieten ist der Platzbedarf besonders hoch. Der Stellenmarkt ist wie leer gefegt“, sagt er. Trotzdem: Der Kita-Ausbau läuft in Bayern auf Hochtouren, betonen Staatsregierung und die Kommunen immer und immer wieder.

    Große Stellenausschreibungen für Erzieherinnen

    Wie beschäftigt die Erzieherinnen schon heute sind, ergibt unsere Recherche. Oft bleibt nicht einmal Zeit, um ans Telefon zu gehen. Bei einem Anruf in Landsberg ertönen Kinderstimmen im Chor: „Hallo! Wir sind die Kinder vom Kindergarten Hl. Kreuz. Die Erzieherinnen haben keine Zeit, weil wir sie brauchen. Sie können uns aber gerne eine Nachricht hinterlassen oder später anrufen.“ Wie dringend Fachkräfte gebraucht werden, zeigt das Durchforsten der Stellenanzeigen: Die katholische Kirchenstiftung St. Franziskus in Augsburg beispielsweise sucht derzeit vier Erzieherinnen und eine Kinderpflegerin. Ein Teil werde für die Neueröffnung der Krippe benötigt. In Landsberg soll voraussichtlich bis zum Spätherbst ein neues Kinderhaus mit Krippenplätzen fertig sein. Gerhard Müller, Leiter des Referats Schule, Jugend und Sport der Stadt Landsberg, geht davon aus, dass damit dann der Bedarf gedeckt sei. „Wir haben jetzt für unsere neue Einrichtung ausgeschrieben“, sagt er. Ob bei den eingegangenen Bewerbungen qualifizierte Bewerber dabei seien, weiß er noch nicht.

    Studie: Kindergärtnerinnen steigen vorzeitig aus

    Stefan Böhme, Mitarbeiter des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarktforschung, kann die Sorge um Personal nachvollziehen. Eine neue Regionalstudie aus Bayern zeigt, dass viele Kindergärtnerinnen vorzeitig aus ihrem Beruf aussteigen. „Das ist ein klassischer Frauenberuf. Viele machen von der Familienpause Gebrauch“, sagt Böhme. Weitere Gründe seien körperliche Belastungen oder eingeschränkte Karrieremöglichkeiten. In Bayern sei der Anteil der Kinderpflegerinnen überdurchschnittlich hoch, der Anteil der Erzieherinnen unterdurchschnittlich gering. Das bedeutet, dass die lange, nämlich fünfjährige Ausbildungszeit für den Beruf der Erzieherinnen doch etliche abschreckt.

    Inzwischen gibt es für Kinderpflegerinnen Kurse, um sich innerhalb von etwa zwei Jahren zur Erzieherin weiterzubilden, erklärt Sylvia Vitale aus der „Kinderkiste“ in Augsburg. „Wir haben eh Fachkräftemangel, und dann wollen wir auch noch gute Leute“, sagt die gelernte Erzieherin. Als stressig empfindet die 45-Jährige ihren Beruf nicht. „Ich habe sogar das Gefühl, dass es mich entspannt“, sagt sie. Die Königsbrunnerin hat eine private Krippe gegründet, als sie vor 18 Jahren eine Betreuung für ihr Kind suchte. Mit der „Kinderkiste“ hat sie ihren Traum inzwischen an drei Standorten verwirklicht: einmal in München, zweimal in Augsburg.

    Fachkräftemangel: Fünfjährige Ausbildung schreckt viele ab

    In der Hermanstraße 31: Kaum einer würde vermuten, dass sich hinter der grauen Fassade im Innenhof ein Paradies für Kinder versteckt. Im Sommer spendet ein alter Baum Schatten. Der Stamm ist so dick, dass sich gleich mehrere Kinder an den Händen fassen müssen, um einmal herumzukommen. Unter den Ästen stehen kleine bunte Stühlchen in Rosa, Rot, Grün, Gelb, Lila oder Blau. Einige Kinder drehen mit dem Bobby Car ein paar Runden, andere sitzen im Sandkasten, umgeben von Mini-Baggern und Ausstech-Förmchen. Die Mutigen klettern auf die Krokodil-Wippe oder sausen die Rutsche hinunter. Sie quietschen, plappern, brabbeln und brummen.

    „Die oberste Qualifikation für diesen Beruf ist die Liebe zum Kind“, sagt Vitale. Sie selbst kann sich noch gut an ihre fünfjährige Ausbildung erinnern, die Berufseinsteiger an einer Fachakademie für Sozialpädagogik ableisten. Wer Erzieher werden möchte, müsse wissen, dass man mit diesem Beruf nicht reich werde. Allerdings gebe es vielfältige Arbeitsbereiche: Hort, Erwachsenenbildung, Sonderpädagogik, Kindergarten oder eben Kinderkrippe. Vitale selbst hat sich für die Arbeit mit den „Zwergerln“ entschieden, wie sie die Kleinen liebevoll nennt. Seit Beginn gebe es mehr Anfragen als vorhandene Plätze. „In München ist die Nachfrage deutlich höher“, sagt Vitale.

    Austausch zwischen Eltern und Erzieherinnen essentiell

    In der privaten „Kinderkiste“ kommen drei Betreuer auf zwölf Kinder. Eine der Angestellten ist Jelica Bonić, von den Kindern wird sie Jeli genannt. Ein kleiner Bub umklammert mit seinen Händen die Beine von Jeli. Wenn er lacht, blitzen seine weißen Milchzähne hervor. Mit Schwung hebt Jeli den kleinen Kerl auf und wirbelt ihn durch die Luft, bis sie ihn wieder fest im Arm hält.

    „In den ersten drei Jahren lernen sie so viel“, sagt die Erzieherin. Schon wieder strecken sich kleine Finger der Frauenhand mit den lackierten Nägeln entgegen. „Sie sind hier alle wie zu Hause“, sagt die Erzieherin, die selbst zweifache Mutter ist. Im Schlafraum haben die Kinder ihre eigenen Schlafsäcke und Kuscheltiere, an den Wänden hüpfen Schäfchen umher. Vor dem Mittagsschlaf gewöhnen die Erzieherinnen die Kinder ans Zähneputzen – selbst wenn manche nur das Zahnfleisch massieren. Sie achten darauf, die Kinder weder zu über- noch zu unterfordern.

    Wichtig ist ihnen ein reger Austausch mit den Eltern. Und die finden die Arbeit der Erzieherinnen toll: „Ohne die können wir gar nicht, sie sind lebensnotwendig“, sagt eine Mutter, als sie ihren Sprössling abholt und den Sand aus der Jacke schüttelt. Jeli sei für sie wie „eine herzliche zweite Mama“.

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