Edgar Reitz wird in den Zug steigen und sich auf die „Reise nach Wien“ begeben. Bei diesen drei Worten lächelt der Filmregisseur während des Gesprächs kurz. Denn „Reise nach Wien“ ist auch der Titel eines frühen Filmes von ihm. Reitz will seinen 85. Geburtstag am 1. November nicht ohne seine Frau Salome Kammer feiern. Die Sängerin probt in Wien für ihren Auftritt. Außerdem lebt die jüngste Tochter Julia – eines der drei Kinder von Reitz – in Österreichs Hauptstadt. „Sie freut sich, für ihren Vater etwas organisieren zu können“, sagt Reitz. Und er freue sich, dass die Familienfeier mit rund 15 Personen in einer Stadt stattfinde, in der – fast unzerstört im Zweiten Weltkrieg – „historische Kontinuität in Gebäuden, Straßen, Geschäften“ zu spüren sei.
Reitz lebt seit den fünfziger Jahren in München und ist von seiner Wahlheimat trotz verschiedener beruflich bedingter Wohnortwechsel (Ulm, Paris, Berlin) nicht losgekommen. In München wollte er nach dem Abitur 1952 eigentlich Elektrotechnik studieren. Gelandet ist Reitz bei Theaterwissenschaft, Germanistik, Kunstgeschichte und Publizistik. Schnell fand er als Kamera-, Schnitt- und Produktionsassistent Zugang zur professionellen Filmarbeit.
Reitz sprach sich als Mitinitiator des Oberhausener Manifests („Papas Kino ist tot“) 1962 für die Schaffung eines „neuen deutschen Spielfilms“ aus. Im selben Jahr gründete er mit Alexander Kluge die Abteilung Film an der Ulmer Hochschule für Gestaltung.
Edgar Reitz: weltbekannt durch "Heimat"
Dem internationalen Publikum wurde Reitz mit seinem Filmepos „Heimat“ bekannt, das die weitverzweigte Geschichte einer Familie aus dem Hunsrück erzählt.
In der rheinland-pfälzischen Mittelgebirgsregion wuchs Reitz auf. Zwischen 1984 und 2013 wurden die 31 Folgen und Filme der „Heimat“, die sich zeitlich zwischen der vorindustriellen Welt und dem globalen Dorf der Jahrtausendwende bewegt, im Kino und im Fernsehen gezeigt.
Den deutschen Film hält Reitz für „besser als sein Ruf“. Doch eine falsche Filmförderpolitik zerstöre die Hoffnung vieler junger talentierter Menschen, kritisiert er, denn die meisten Filme blieben auf der Strecke. „Es ist ein Skandal, wie hier mit öffentlichen Geldern umgegangen wird“, urteilt Reitz. Auch aus diesem Grund mache er eine „nationale Melancholie“ in der deutschen Filmbranche aus, die sich am Ende in den Filmen widerspiegle.
Er selbst bewirbt sich gerade um Fördergelder für Projekte, die er noch verwirklichen möchte. Zwar müsse er niemandem mehr etwas beweisen. Aber „Filme zu machen, ist mein Leben. Wenn ich mich in die Logistik eines Filmes vertiefe, habe ich das Gefühl, dass ich nicht krank werden kann.“ Das Damoklesschwert des Alters wird plötzlich stumpf.