Nur wenige gesicherte Werke
Mit Erfolg. Beim Expertentreffen am Samstag präsentierte Dr. Stefan Roller, Kurator der Gerhaert-Ausstellung 2011, eine für die Kunstgeschichte wichtige Erkenntnis: "Jetzt, nach unseren Untersuchungen in den vergangenen zwei Wochen steht für uns fest, dass die Figuren nicht nur stilistisch, sondern auch technologisch dem Werk von Niclaus Gerhaert so eng verwandt sind, dass es für uns außer Frage steht, dass die Skulpturen tatsächlich von Niclaus Gerhaert von Leyden und seiner Werkstatt stammen. Da muss man gar nicht mehr darüber diskutieren." Zwar ist dem Gros der Kunstführer seit jeher zu entnehmen, dass die Nördlinger Hochaltarfiguren von Niclaus Gerhaert - einem der einflussreichsten Holz- und Steinbildhauer seiner Zeit (siehe Infokasten) - stammen, aber so ganz unumstritten war das bislang nicht: "Wir haben nur ganz wenige gesicherte Werke von Niclaus Gerhaert und die Nördlinger Hochaltarfiguren gelten als zugeschriebene Arbeiten", so Roller.
Hier war sich die Fachwelt trotz der stilistischen und zeitlichen Nähe zu Gerhaert aber nie ganz einig: "Immer noch streiten sich die Wissenschaftler darum, ob wir es mit einem eigenhändigen Werk Gerhaerts oder einem gleichwertigen Straßburger Künstlerzeitgenossen, dem sogenannten Meister der Dangolsheimer Muttergottes in Berlin bzw. dem Meister der Nördlinger Hochaltarfiguren zu tun haben." Wobei diese beiden "Meister", so Stefan Roller, identisch seien. Für ihn stehe jetzt aber fest, dass die Nördlinger Hochaltarfiguren zweifelsfrei von Gerhaert stammen: "Die Diskussion ist vorbei", meint er freudestrahlend. Für ihn und seine Kollegen, meinte er, sei es ein großes Privileg, diesen Figuren so nahe zu kommen. In der Tat ist die wissenschaftliche Diskussion bislang anhand von Fotografien geführt worden. Kein Kunsthistoriker, fuhr er fort, komme um die Nördlinger Figuren herum: "Ich glaube, dass sich die wenigsten Nördlinger bewusst sind, welcher Kunstschatz sich in ihrer Kirche befindet." Vor allem zwei Umständen ist die Berühmtheit dieser aus Nussbaumholz geschnitzten Holzskulpturen zu verdanken: Neben dem Grabmal des Erzbischofs von Trier, Jakob von Sierck, das aus dem Jahr 1462 stammt, zählen die Nördlinger Hochaltarfiguren - ebenfalls aus dem Jahr 1462 - zu den frühesten bekannten Arbeiten Gerhaerts. Zudem gibt es bislang keine gesicherten Schnitzwerke des Künstlers: "Die einzigen urkundlich überlieferten Schnitzwerke - die Figuren für den Hochaltar im Konstanzer Münster (1466) - wurden im reformatorischen Bildersturm leider zerstört."
Für Dr. Stefan Roller sind die in den vergangenen 14 Tagen gewonnenen Erkenntnisse noch in anderer Hinsicht von großem Wert. Denn das Liebighaus wird im Herbst 2011 eine Niclaus Gerhaert von Leyden-Ausstellung machen. Aus diesem Grunde sei man bereits im Frühjahr 2009 mit einer Leihanfrage an die evangelische Kirchengemeinde Nördlingen herangetreten: "Wir werden in dieser Ausstellung im Herbst 2011 die Heilige Maria Magdalena und den Heiligen Georg vom Nördlinger Hochaltar zeigen", sagt er stolz.
Zwei weitere Entdeckungen
"Für uns ist das eine Win-Win-Situation", erklärte dazu auch der Nördlinger Dekan Gerhard Wolfermann. Zwar müsse die Gemeinde auf die beiden Figuren einige Zeit verzichten, aber: "Im Nachhinein muss ich sagen, war es für uns ein Glücksfall, dass die Figuren restauriert wurden. Wie sich herausstellte, hätte der aggressive Baustaub den Figuren sonst sehr zugesetzt."
Neben der frisch gewonnenen Klarheit bei der Zuschreibung der Hochaltarfiguren, gibt es zwei weitere Entdeckungen, die das Restauratorenteam gemacht hat: Zum einen könne man jetzt ausschließen, hieß es, dass die Figuren in Köln gefasst (bemalt) wurden, sondern höchst wahrscheinlich in Straßburg. Zum anderen: "Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Anordnung der Figuren auf dem Hochaltar verändert worden", so Dr. Stefan Roller. Alle alten Darstellungen, Stiche oder auch Fotografien, ebenso wie die Altarkonstruktion selbst, zeigen dabei deutlich, dass die Heilige Maria Magdalena auf der (vom Betrachter aus) linken Seite (neben der Mutter Maria) ihren ursprünglichen Platz hatte und der Heilige Georg auf der rechten Seite (neben Johannes). "Es gab also reine Frauen- und Männerseiten." Ob man diese ursprüngliche Anordnung nach der Ausstellung in Frankfurt, auch so wieder aufgreifen werde? "Das entscheidet der Kirchenvorstand. Bis dahin ist ja noch ein Jahr Zeit", meint Wolfermann.