Vor 40 Jahren nahm im Ries eine bedeutende wissenschaftliche Bohrung ihr erfolgreiches Ende: Die Forschungsbohrung Nördlingen (FBN) hatte im Juni 1973 auf einem Grundstück in Löpsingen begonnen und erreichte am 15. Januar 1974 ihren tiefsten Punkt, nämlich 1206 Meter. 106 Tage hatte die „FBN 73“ angedauert. Sie ist die tiefste Bohrung, die bisher in den Rieskrater abgeteuft wurde. Die Bohrkerne sind für die Impaktkraterforschung noch heute von unschätzbarer Bedeutung.
Nach langjährigen Vorbereitungen, an denen zahlreiche Forschungsinstitute beteiligt waren, wurde am 29. Juni 1973 in Löpsingen auf einem Grundstück der Stadt Nördlingen mit dieser Bohrung begonnen. Der Ansatzpunkt dafür wurde zwischen dem Einschlagszentrum bei Klosterzimmern und dem Inneren Ring des Rieskraters (Marienhöhe, Wallersteiner Felsen, Wennenberg, Steinberg, Alerheimer Schloßfelsen) gewählt.
Die Bohrung diente ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken und lieferte 1206 Meter Kernmaterial. Die Kosten des Projekts lagen bei fast einer Millionen Mark und wären ohne die Unterstützung von Anton Jaumann, dem damaligen Wirtschaftsminister in Bayern, so nicht möglich gewesen.
Neben dem Freistaat Bayern stellten auch die Direktoren der Geologischen Landesämter in der BRD sowie der Bundesanstalt für Bodenforschung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzielle Mittel zur Verfügung.
Die technische und wissenschaftliche Betreuung lag in den Händen des damaligen Bayerischen Geologischen Landesamtes und war dem Regierungsdirektor Dr. H. Gudden übertragen worden. Von den verschiedenen Bohrfirmen sowie vom Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung wurden im Bohrloch mit erprobten, aber auch zum Teil erstmals eingesetzten Methoden zahlreiche physikalische Messungen durchgeführt.
Öffentliches Aufsehen erregt
Bei Beginn sowie während und nach der Bohrung wurden Presse, Rundfunk und Fernsehen durch Pressekonferenzen, Interviews über Zweck und Bedeutung der Bohrung informiert. In mehreren Fernseh- und Rundfunksendungen sowie in der Presse wurde über die Forschungsbohrung Nördlingen 1973 berichtet.
Die Bohrkerne waren hinterher mehrere Monate in München für interessierte Einzelforscher und für Institute zur Besichtigung und zur Auswahl von Probenmaterial in einer angemieteten Straßenbahnhalle ausgelegt. Alle Bohrkerne wurden vor der Aufteilung für Dokumentationszwecke farbig fotografiert.
Deutliche Dreiteilung stellte sich heraus
Die Bohrung zeigte eine deutliche Dreiteilung:
Die ersten 325 Meter Kernmaterial bestehen aus Riessee-Sedimenten, die sich in der Phase nach der Kraterbildung im Kratersee absetzten.
Die zweite Einheit (325 bis 606 Meter) setzt sich zum größten Teil aus Suevit, dem Schlüsselgestein des Rieskraters, zusammen.
Die letzte Einheit (640,7 bis 1206 Meter) besteht aus unterschiedlich stark zertrümmertem, kristallinem Grundgebirge (Granite, Gneise, Amphibolite).
Die Ergebnisse der „FBN 73“ sind heute zum größten Teil im Zentrum für Rieskrater- und Impaktforschung Nördlingen (Zerin) in der Vorderen Gerbergasse 3 archiviert. Eine der wichtigsten Aufgaben des Zerin ist die Zusammenführung und Aufbewahrung dieser Bohrung sowie die wissenschaftliche Betreuung samt Zugänglichkeit für wissenschaftliche Untersuchungszwecke für Impaktkraterforscher weltweit.
Im Rieskratermuseum, im Geopark-Infozentrum in Nördlingen am Museum für Naturkunde in Berlin und im Naturhistorischen Museum in Wien sind Kernstücke der „FBN 73“ zu besichtigen. Zwei komplette Bände der Geologica Bavarica (eine Publikation des Geologischen Landesamtes) sowie unzählbare Veröffentlichungen beschäftigten sich mit den Ergebnissen aus Nördlingen.
Und auch für die neuere Riesforschung ist die Bohrung nach wie vor von unschätzbarer Bedeutung. Deshalb war die Entscheidung, das Forschungszentrum Zerin in Nördlingen zu errichten, dessen Kernstück – im wahrsten Sinne des Wortes – diese Bohrung ist, eine hervorragende Entscheidung der Stadt Nördlingen. So ist dieses einmalige Wissenschaftsgut seit 1998 adäquat untergebracht. Jährlich werden mehrfach Kernproben weltweit ausgeliehen.
Die jüngsten Untersuchungen erfolgten durch Prof. Jürgen Schieber, der an der Universität von Indiana am Geologischen Institut lehrt und stark in das Nasa-Marsprojekt (Curiosity-Rover) involviert ist: Die Riesproben dienen als Vergleichsmaterial für die Marsgesteine.
Neben der tiefsten Forschungsbohrung im Rieskrater (FBN 73) wurden in den vergangenen Jahren auch mehrere flachere Bohrungen abgeteuft. In Enkingen wurde nahe des Inneren Rings gebohrt, hier gelangte man in eine mächtige Schicht aus Suevit. Am Erbisberg bei Reimlingen wurde Riesseekalke, zum Teil wunderschöne Travertine zutage befördert. Und bei Polsingen erreicht man sogar die äußerst seltene Impaktschmelzbreccie (früher bekannt als „roter“ Suevit).
Auf jeden Fall steht dem Rieskrater jetzt schon der Titel des besterforschten (besterbohrten) Impaktkraters der Erde zu.
Am liebsten würden die Forscher 4,5 Kilometer tief bohren
Natürlich würden sich alle Rieskraterforscher nochmals eine Tiefbohrung wünschen. Am besten bis in eine Tiefe von etwa 4,5 Kilometer. Das würde den Bereich offen legen, an dem der Kontakt zwischen allochthonem Gestein (noch vom Riesereignis betroffen) und autochthonem Gestein (nicht mehr vom Riesereignis betroffen) zu sehen wäre. Das würde noch genauere Aussagen über die Auswirkungen des Riesimpaktes ermöglichen, zum Beispiel über die Energiebilanz. Und das würde vielleicht auch die Frage beantworten, warum im Rieskrater bisher so wenig Schmelze gefunden wurde.