Es ist nicht nur gekommen, um ein paar Lieder zu singen. Bei Neil Young geht es um mehr – um die Welt. Als auf dem Münsterplatz schon der letzte Gitarrenakkord verhallt ist, steht er mit seiner Band am Bühnenrand und singt weiter: „Who’s gonna stand up and save the world?“ – „Wer steht auf und rettet die Welt?“. Wie groß die Wirkung des Appells ist, lässt sich nur schwer sagen: Sitzplätze gibt es nicht an diesem Abend.
Sicher ist aber eines: Dieses Konzert wird noch lange in den Köpfen der Zuhörer bleiben – und in ihren Kleiderschränken. Denn für alle Besucher gibt es ein bedrucktes T-Shirt: „Protect“ steht auf dem für die Frauen, „Earth“ auf der Männerversion. Es ist ja auch nicht irgendeiner, der da die Welt retten will: Young, geboren vor 68 Jahren im kanadischen Ontario, gehört zweifellos in die Ruhmeshalle der Rockmusik, die er in den vergangenen bald fünf Jahrzehnten mitprägte hat, solo und in verschiedenen Formationen – vor allem mit Crosby, Stills, Nash and Young und Crazy Horse. Mit letzterer reiste er im Rahmen seiner aktuellen Europatournee nun auch nach Ulm.
Ein für die Verhältnisse der Stadt fast epochales Rockereignis, möchte man glauben, aber das Publikum der Region setzte dahinter im Vorfeld ein kleines Fragezeichen. Nach der Ankündigung im Dezember vergangenen Jahres waren Fans und SzeneKenner noch von einem ausverkauften Konzert ausgegangen, bis zum Einlass wurden aber nur rund 6000 Tickets verkauft. Zu wenig, um den 10000 Besucher fassenden Münsterplatz komplett zu füllen. Zu wenig aber auch, um den Veranstaltern des dieses Jahr vom Radiosender Donau 3 FM mitorganisierten Open Airs die Kosten einzuspielen: Die hatten nach eigenen Angaben mit mindestens 8500 Zuhörern kalkuliert.
Die Fans auf dem Münsterplatz interessiert das natürlich wenig. Die fragen sich, ob sie für Eintrittspreise zwischen 70 und 90 Euro auch das Konzert bekommen, das sie sich erwarten. Und das ist für viele, obwohl Young als „Godfather of Grunge“ auch von einer jüngeren Rock-Gefolgschaft beachtet wird, vornehmlich sein Werk der 70er Jahre plus „Rockin’ in the Free World“. Die zweite, zunächst noch größere Frage des Abends ist, ob das Konzert ohne Regen ablaufen wird.
Nachdem die englische Vorband The Magic Numbers den Platz mit ihren melodischen, an den frühen Young erinnernden Folk-Rock-Songs bespielt hat, wird die Frage nach der Songauswahl des Meisters schnell beantwortet: Neil Young will rocken – und er will Gitarre spielen. Der Startersong „Love and Only Love“ dehnt sich mit immer neuen Soli in sinfonische Dimensionen. Und Young macht so weiter: Nach einer Stunde ist erst ein halbes Dutzend Songs geschafft. Die aber bieten alles, was sich ein Young-Fan wünschen kann. Zumindest ein Fan vom Rock’n’Roll-Young. Die Anhänger des Folk-Young müssen sich gedulden, bis der 68-Jährige sich die Akustikgitarre umhängen lässt – und Bob Dylans „Blowin’ in the Wind“ intoniert.
Doch so richtig bricht das Eis erst, als der große Hit des Mannes, der nie ein Hitlieferant war, kommt: das zarte „Heart of Gold“ – und der halbe Platz singt mit. Danach überlässt der Folk-Young wieder seinem Rock-Alter-Ego die Show, die in Youngs spätem Hit kulminiert: „Rockin’ in the Free World“. Als die Band von der Bühne geht, regnet es immer noch nicht. Ein Konzert, das keine Fragen offen lässt. Außer die, wer die Welt rettet.