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Die Spiele und die Höchstleistung

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    Die Spiele und die Höchstleistung
    Die Spiele und die Höchstleistung

    In der Zeit, in der am Sonntagabend Usain Bolt 100 Meter sprintete, liest ein Mensch in etwa vier kurze Sätze: ein Wimpernschlag im Leben. Und doch hat Bolt viele Jahre lang für diesen „Moment“, wie er ihn selbst hernach nannte, trainiert. Und eine Million Menschen wollten diesen „Moment“ an Ort und Stelle bei den Olympischen Spielen in London verfolgen. Nur 80000 ergatterten Eintrittskarten; ihr Jubel beim Durchbrechen der Ziellinie darf als frenetisch bezeichnet werden.

    Szenenwechsel nach Salzburg. Auch dort finden Spiele statt, sozusagen die Olympischen Spiele der Bühnenkunst. Die „Rache-Arie“ der Königin der Nacht (aus Mozarts „Zauberflöte“) ist insgesamt zwar etwas länger als 9,63 Sekunden, aber die Takte, auf die es besonders ankommt, nämlich jene mit den vielen hohen C in Folge, gekrönt vom Hochsprung zum dreigestrichenen F, diese Takte dauern in etwa auch nur zehn Sekunden. Viele Jahre hat Mandy Fredrich in steter Aufbauarbeit auch für den Sommer 2012 üben müssen. „Die Zauberflöte“ in Salzburg ist heuer überbucht, und wenn Fredrich ihre Rache erfolgreich hinausgeschleudert hat, dann darf der Jubel des Auditoriums als frenetisch bezeichnet werden.

    Der Leser ahnt, worauf diese Beschreibung zweier Schauplätze hinauswill. Spitzensport und Spitzenkunst haben etliche Gemeinsamkeiten – und ihre Zuschauer ebenfalls. Alles muss auf den Moment hin genau stimmen: das Training/die Übung, die Geschicklichkeit, die Körperbeherrschung, die Konzentration – ganz abgesehen einmal von Physis, Willenskraft und Anstrengungsbereitschaft als fundamentale Voraussetzungen.

    Nun mag guten Grundes eingewandt werden, dass die Kunst zusätzlich noch der Seele und des überzeugenden Charismas bedürfe. Denn ein Pianist, der ein Liszt-Furioso doppelt so schnell spiele wie sein Konkurrent, sei nicht automatisch auch der bessere Künstler! Das ist wohl wahr. Doch die Schnittmenge der notwendigen Anlagen und Befähigungen für Kunst und Sport bleibt dennoch erstaunlich hoch: Es gilt, mittels spezifischer Virtuosität „belissima figura“ zu machen. Im wörtlichen Sportssinn besonders in jenen Disziplinen, denen mitunter das Wort „Kunst“ beigegeben wird: Kunstturnen, Kunstspringen, Kunstschwimmen (Synchronschwimmen), Eiskunstlauf, Kunstreiten (Dressur). Und siehe da: In diesen Disziplinen wird das Können auf dieselbe Art bewertet wie auch bei einem Violinwettbewerb – mittels einer Juroren-Schar. Ermessen kommt ins Spiel, nicht nur Geschwindigkeit und Trefferzahl. (Für die Geschichtsfreunde unter den Sport- und Kunstfreunden: In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts gab es bei den Olympischen Spielen tatsächlich solche Disziplinen wie Architektur, Bildhauerei, Malerei, Musik, Literatur. Strawinsky saß einmal in einer olympischen Jury.)

    Es existiert übrigens – neben der Arena und der Musikbühne – noch ein drittes Podium, wo exzeptionelles Können erst per Trommelwirbel unterstrichen, dann mit brandendem Applaus belohnt wird: der Zirkus mit seinen staunenswerten Akrobatenakten.

    Jede dieser Tribünen dient gewiss auch der Leistungs- und Selbstdarstellungslust von Sportlern/Künstlern/Akrobaten – mehr aber noch der Seh- und Hörlust des Publikums. Es will bei erhebenden, bei unerhörten Momenten dabei sein. Und es will jubeln – auch weil es dabei ist. Die Höchstleistung im Sport, die Sternstunde in der Kunst, sie zeigen die großartige Seite des Menschen, die ja die Kehrseite seiner destruktiven Kräfte ist. Des Menschen Spitzenleistung wird zur Feier des Lebens.

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