Baden-Württemberg hat den politischen Wandel gewählt und bekommt ihn nun von der neuen grün-roten Landesregierung in einer vergleichsweise starken Dosis serviert.
Es tut nichts zur Sache, dass CDU und CSU umgehend den Niedergang des wohlhabenden Landes und das Ende einer Jahrzehnte währenden Erfolgsgeschichte an die Wand malen – Klamauk dieser Sorte gehört zum parteipolitischen Tagesgeschäft. Auch wird sich erst im Praxistest des Regierungsalltags erweisen, wie weit der Reformeifer der ersten von einem grünen Ministerpräsidenten geführten Koalition tatsächlich reicht.
Aber der Koalitionsvertrag trägt die Handschrift von zwei Parteien, die nicht auf behutsame Korrekturen, sondern auf kräftige Veränderungen aus sind – mit allen Risiken und Nebenwirkungen, die damit für die wirtschaftliche Spitzenposition und den Wohlstand des Südwestens einhergehen. Das beginnt mit der satten, vom Glauben an die Segnungen staatlicher Umverteilung inspirierten Anhebung der Grunderwerbsteuer und endet bei dem groß angelegten Feldversuch, die Autoindustrie – Herz und Rückgrat des Industrielandes Baden-Württemberg – nach dem am grünen Tisch entworfenen Drehbuch einer „ökologischen Modernisierung“ umzuformen.
Dem sparsamen, womöglich auch elektrogetriebenen Auto gehört die Zukunft. Und natürlich muss ein Land, das aus der Atomkraft aussteigt, den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv vorantreiben. Die Frage ist nur, ob diese Umbauarbeiten mit dem nötigen ökonomischen Augenmaß und zu bezahlbaren Konditionen erfolgen.
Die Bemerkung des designierten Regierungschefs Kretschmann, Baden-Württemberg solle weniger Autos und lieber „Mobilitätskonzepte“ verkaufen, klingt so, als ob eine Spur zu viel Ideologie im Spiel sei. Wie ausgeprägt die grün-rote Experimentierfreude ist, zeigt sich im Übrigen auch in der Bildungspolitik. Mit der Gemeinschaftsschule bis zur 10. Klasse startet die Koalition den Angriff auf das in Baden-Württemberg bewährte, als recht durchlässig geltende dreigliedrige Schulsystem. Es ist, neben der industriepolitischen Neuorientierung, der schärfste Bruch mit den Traditionslinien des Landes.
Auf beiden Feldern wird die Regierung rasch zu spüren bekommen, dass den Baden-Württembergern zwar nach frischem Wind und neuen Gesichtern, nicht aber nach einem Umkrempeln ihrer Lebensverhältnisse zumute ist. Und spätestens dann wird sich auch zeigen, wie es in Wahrheit um die innere Stabilität der Koalition bestellt ist. Mit faden Formelkompromissen, wie sie einstweilen im Streit um das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ gefunden wurden, ist es dann nicht mehr getan.