Der FDP-Politiker Markus Wasserle legt mit sofortiger Wirkung alle Parteiämter nieder und verlässt die FDP. Das teilte der Windacher Kreisrat, FDP-Bezirkstagskandidat und stellvertretender Bezirksvorsitzender unserer Redaktion mit.
Als Grund nannte er die neuesten Entwicklungen um den Derivatprozess der Stadt Landsberg gegen das Münchner Bankhaus Hauck & Aufhäuser. "Meine politischen Grundüberzeugungen wurden in den vergangenen Tagen und Stunden in den Grundfesten erschüttert. Der Politikstil einiger Parteifreunde aus der FDP hat mich zutiefst enttäuscht", schreibt Wasserle.
Detaillierte Fragen zu Verlauf und Inhalt der Sitzung
Was er damit meint, wird aus einer Presseerklärung des Landsberger Stadtrats Jonas Pioch (Landsberger Mitte) deutlich. Dieser teilt mit, dass er am Morgen nach der Stadtratssitzung am 12. Juni, in der das weitere Vorgehen der Stadt im Derivatprozess öffentlich und nicht öffentlich beraten wurde, gegen 8.30 Uhr einen Anruf des Bayerischen Wirtschaftsministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten Martin Zeil erhalten habe.
"Er bat mich, ihm detaillierte Fragen zu Verlauf und Inhalt der Sitzung vom Vorabend zu beantworten", schreibt Pioch. Er habe ihm aber nur allgemeine Informationen gegeben und insbesondere darauf hingewiesen, dass er als Stadtrat nicht befugt sei, Fragen zum nicht öffentlichen Teil der Sitzung zu beantworten.
"Herr Zeil und ich kannten uns bis dato näher nicht", so Pioch. Wie berichtet, ist noch unklar, ob und wie weit Zeil in die hochriskanten Zinsgeschäfte zwischen der Stadt und dem Bankhaus verwickelt ist. Zeil war vor dem Beginn seiner Laufbahn als Minister bei der Bank viele Jahre Leiter der Rechtsabteilung angestellt.
Fragen über Grünen-Politiker
Jonas Pioch berichtet in seiner Erklärung von einem weiteren Telefonat. Diesmal mit dem Landtagsabgeordneten und Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Landtagsfraktion Tobias Thalhammer. "Er stellte mir Fragen nach Ludwig Hartmann, MdL. Zu den Fragen gehörte unter anderem, wie sich Hartmann bei den Derivatgeschäften verhalten hat." Wie berichtet, hatte Ludwig Hartmann (Grüne) Zeils Rollte in der Derivataffäre kritisiert.
Über die beiden Telefongespräche hat Pioch Markus Wasserle informiert. Beide kennen sich aus ehrenamtlicher Tätigkeit, unter anderem waren sie Organisatoren der Ausbildungsmesse in Landsberg und Kaufering. Darüber hinaus setzte Pioch auch Oberbürgermeister Mathias Neuner und Ludwig Hartmann in Kenntnis.
Markus Wasserel hatte bereits zuvor das persönliche Gespräch mit Wirtschaftsminister Zeil gesucht. Markus Wasserle: "Ich kann das alles einfach nicht fassen." Martin Zeil sei für ihn als ehemaliger erfahrener Kommunalpolitiker - unter anderem war Zeil Gemeinderat, zweiter Bürgermeister in Gauting und stellvertretender Landrat in Starnberg - ein Vorbild für die eigene politische Arbeit gewesen. "Da ist sehr viel in mir zerbrochen", sagt Wasserle.
Die Landsberger Derivataffäre
Im Jahr 2004 beschließt der Landsberger Stadtrat, moderne Finanzinstrumente einzusetzen. Dazu zählen unter anderem Derivate. Allerdings soll die Kämmerei um Stadtkämmerer Manfred Schilcher in den Jahren 2008 und 2010 Geschäfte getätigt haben, die weder vom Kommunalrecht noch vom damaligen Beschluss des Stadtrats gedeckt waren.
Im Frühjahr 2011 werden OB Ingo Lehmann die riskanten Finanzgeschäfte über den Kommunalen Prüfungsverband bekannt. Der Rathauschef schaltet daraufhin die Wirtschaftskanzlei Becker Bütner Held aus München ein, die die Angelegenheit untersucht.
Am 28. Dezember 2011 informiert Ingo Lehmann erstmals öffentlich, dass die Stadt mit Derivatgeschäften über zwei Millionen Euro Verlust gemacht hat.
Einen Tag später bestreitet Kämmerer Manfred Schilcher Vorwürfe, er habe vier Finanzgeschäfte getätigt, ohne Finanzausschuss und Oberbürgermeister zu informieren.
Am 30. Januar 2012 leitet die Landesanwaltschaft Bayern ein Disziplinarverfahren gegen Manfred Schilcher ein. Unmittelbar danach entbindet ihn Ingo Lehmann von der Verantwortung für die Kämmerei.
Anfang Februar 2012 beginnt die Staatsanwaltschaft Augsburg mit ihren Vorermittlungen.
Der Stadtrat beauftragt den Oberbürgermeister, Strafanzeige gegen die Münchner Niederlassung der Frankfurter Privatbank Hauck & Aufhäuser sowie das Beratungsunternehmen Hauck & Aufhäuser Finance Management (seit 2010 Finance Consulting) zu stellen.
Am 23. Februar 2012 schreibt die Stadt die Stelle des Kämmerers neu aus.
Überraschend wird Ingo Lehmann am 11. März 2012 bereits im ersten Wahlgang abgewählt. Zwei Wochen später gewinnt Mathias Neuner (CSU) die Stichwahl gegen Ludwig Hartmann (Grüne).
Die Landesanwaltschaft enthebt Manfred Schilcher am 13. März 2012 vorläufig des Dienstes. Gleichzeitig wird gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue eingeleitet.
Knapp eine Woche später leitet die Landesanwaltschaft ein Disziplinarverfahren gegen den noch amtierenden Oberbürgermeister Ingo Lehmann ein. Gleichzeitig werden die laufenden Verfahren gegen Schilcher und Lehmann ausgesetzt. Die Landesanwaltschaft begründet dies mit den gleichzeitigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Augsburg.
Mitte Oktober 2012 wird bekannt, dass sich der Gesamtverlust aus den Derivatgeschäften allein für 2012 auf 1,6 Millionen Euro summiert. Insgesamt liege der potenzielle Schaden, der der Stadt aufgrund der Zinsgeschäfte entstehen könnte, nach Hochrechnungen und Einschätzungen bei 6,2 bis 6,8 Millionen Euro.
Am 4. Juni 2013 wird im Zivilprozess Stadt Landsberg gegen das Bankhaus Hauck & Aufhäuser erstmals vor dem Landgericht München I verhandelt. Dabei lehnt die Stadt eine von Richterin Ingrid Kerschner ins Spiel gebrachte Mediation ab. Der Prozess soll am 8. Oktober 2013 fortgesetzt werden.
Der Stadtrat bestätigt die Haltung der Stadt am 12. Juni und stimmt in nicht öffentlicher Sitzung gegen eine Mediation.
In der Sitzung, in der Rechtsanwalt Martin Hoffschmidt die Argumente der Stadt ausführlich darlegt, fällt der Name Martin Zeil (FDP). Bayerns Wirtschaftsminister war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Rahmenvertrags mit der Stadt Landsberg Leiter der Rechtsabteilung bei Hauck & Aufhäuser sowie Geschäftsführer der Tochtergesellschaft Hauck & Aufhäuser Finance Management.
Am Tag nach der Sitzung will sich Zeil bei Stadtrat Jonas Pioch über die Sitzung informieren. Pioch macht dies, und einen Anruf des Parlamentarischen Geschäftsführer der Landtagsfraktion Tobias Thalhammer (beide FDP), öffentlich. Daraufhin tritt der Kreisrat und stellvertretende Bezirksvorsitzende der FDP, Markus Wasserle aus Windach, zurück.
Pikantes Detail der Geschichte: Markus Wasserle wurde von der FDP als Bezirkstagskandidat nominiert. Der Windacher Unternehmer hat eigentlich nicht vor, dieses Mandat weiterhin wahrzunehmen. Es müsse nun rechtlich geprüft werden, ob ein Parteiaustritt als Grund dafür ausreiche.