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Literatur: Wie kommt man ran an die jungen Leute?

Literatur

Wie kommt man ran an die jungen Leute?

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    Dieses „nur“ stört Tobias Elsäßer. Dieses „nur“, das er immer wieder hört, wenn es um Kinder- und Jugendliteratur geht. Dieses „nur“, das viele seiner Kollegen dazu veranlasst, ihre Bücher für das jüngere Publikum unter einem Pseudonym zu veröffentlichen, um im Bereich der „Erwachsenenliteratur“ nicht an Ansehen zu verlieren. Elsäßer, der ebenso vielseitige und erfolgreiche Autor, gerät dagegen ins Schwärmen, wenn es um Bücher für junge Menschen geht. „Das ist sehr, sehr spannende Literatur.“ Deshalb gab er erstmals in der inzwischen 30-jährigen Geschichte des Schwäbischen Kunstsommers einen Prosa-Meisterkurs mit genau diesem Schwerpunkt. Die Ergebnisse des einwöchigen Workshops im Zuge der Sommerakademie der schönen Künste im Kloster Irsee bei Kaufbeuren gaben ihm recht.

    „Ganz nah dran“ hatte Elsäßer nicht nur seine Kunstsommer-Schreibwerkstatt betitelt. Es ist auch der Grundsatz, wenn der Autor seine Jugendbücher recherchiert und schreibt. Aber geht das überhaupt, wenn man wie er Jahrgang 1973 ist, also dem jugendlichen Alter doch deutlich entwachsen? Die Grundprobleme der Menschen zwischen Kindheit und Erwachsensein hätten sich in den vergangenen Jahrzehnten, ja Jahrhunderten gar nicht so groß geändert. Es geht laut Elsäßer vor allem um die Frage: „Was bedeutet es, normal zu sein?“ In Zeiten des Internets und der sozialen Netzwerke könne man sich jedoch durch wenige Mausklicks oder Fingertipps quasi mit der ganzen Welt vergleichen. Dass es sich dabei meist um eine „photogeshoppte Scheinwelt“ handle, verstärke die Unsicherheit bei der ohnehin schon mühsamen Suche nach der eigenen Persönlichkeit noch.

    Deshalb war es Elsäßer auch bei seinem Meisterkurs in Irsee ein Hauptanliegen, „dass der Mensch in den Vordergrund gestellt wird“. Glaubwürdige Figuren, die sind für den Autor der Schlüssel zu guter Jugendliteratur. Die jungen Leser müssten sich in den Protagonisten der Bücher erkennen, sie schätzen. „Im besten Fall begleiten sie uns ein Leben lang.“ Darüber hinaus ist es Elsäßer in seinen Romanen wichtig, auch „harte Themen“ unverblümt darzustellen. Das Erwachen der Sexualität, explizit thematisiert in seinem Roman „Abspringen“, oder die Selbstmordgedanken in „Für niemand“ seien einfach Themen, die die Jugendlichen in dieser „drastischen, sehr harten Zeit“ umtreiben. Diese müssten zwischen den Buchdeckeln, aber auch allgemein in der Gesellschaft ganz offen diskutiert werden. „Es ist doch klar, dass sich ein junger Mensch angesichts von Millionen von Pornos im Internet fragt: Händchenhalten, macht man das noch?“ Doch hier hat Elsäßer, der pro Jahr rund hundert Lesungen an Schulen abhält, die Erfahrung gemacht, dass seit einigen Jahren eine „neue Moral“ um sich greife. Viele Pädagogen und Eltern scheuten sich (wieder), offen mit heiklen Themen umzugehen. Deshalb wünscht sich der Autor eine „kleine Rebellion“ zwischen den sich heute doch sehr stark annähernden Generationen.

    Ansonsten unterscheide sich das Schreiben für ein junges Publikum handwerklich nicht von der „Erwachsenenliteratur“. Dass man für Jugendliche stilistisch simpler oder einfacher strukturiert formulieren müsse, hält Elsäßer für ein Klischee. Man müsse nur ganz nah heran an die Gedankenwelt der Leserschaft – und überhaupt Interesse für das Medium Buch wecken. Gerade bei Jugendlichen, die keinen Zugang mehr zur Literatur haben.

    Deshalb greift der Autor bei Auftritten an Problemschulen auch schon mal zur Gitarre, wenn seine Texte allein nicht ausreichen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das ist dann aber auch das einzige „nur“, das Elsäßer im Zusammenhang mit Jugendliteratur akzeptiert.

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