Mit Blick auf einen Aufruf österreichischer Priester zum religiösen Ungehorsam sprach Benedikt XVI. am Gründonnerstag bei einer Messe von einem womöglich "verzweifelten Drang, etwas zu machen, die Kirche nach unseren Wünschen und Vorstellungen umzuwandeln". Auch Jesus Christus habe "die menschlichen Traditionen korrigiert, die das Wort und den Willen Gottes zu überwuchern drohten". Er habe dies aber getan, um "den Gehorsam zum wirklichen Willen Gottes" zu wecken.
"Pfarrer-Initiative" hatte Reformen in der katholischen Kirche gefordert
Die viel beachtete "Pfarrer-Initiative" hatte im Juni 2011 zu religiösem Ungehorsam aufgerufen und Reformen in der katholischen Kirche gefordert, etwa die Zulassung von Frauen zum Priesteramt. Benedikt XVI. sagte, sein Vorgänger Johannes Paul II. habe dazu in "unwiderruflicher Weise erklärt", dass die Kirche hierfür "keine Vollmacht vom Herrn erhalten" habe. Er wolle den Autoren des Aufrufs glauben, "dass sie die Sorge um die Kirche umtreibt; dass sie überzeugt sind, der Trägheit der Institutionen mit drastischen Mitteln begegnen zu müssen, um neue Wege zu öffnen (...). Aber ist Ungehorsam wirklich ein Weg?"
Der Papst wies zugleich Vorwürfe zurück, die katholische Kirche verteidige einen "Immobilismus, die Erstarrung der Traditionen" und berief sich auf das Zweite Vatikanische Konzil von 1962 bis 1965, das eine Öffnung der Kirche gebracht hatte: "Wer auf die Geschichte der Nachkonzilszeit hinschaut, der kann die Dynamik der wahren Erneuerung erkennen, die in lebendigen Bewegungen oft unerwartete Gestalten angenommen hat."
Ob der Wiener Kardinal Christoph Schönborn über den Inhalt der päpstlichen Predigt vorab informiert war, ist nicht bekannt. Dass sich Benedikt XVI. gegen seinen Willen zu diesem heiklen Thema äußerte, darf jedoch als unwahrscheinlich gelten.
Schönborn hatte schon Ende März gesagt, man habe sich mit der römischen Kurie auf eine Fortsetzung des Dialogs mit der Initiative verständigt. Auch dass Benedikt XVI. als Beispiel für die Anliegen der Protestbewegung ausgerechnet die Zulassung von Frauen zum Priestertum nannte, könnte ebenfalls ein Fingerzeig in diese Richtung sein. Mit einer Erfüllung dieser Maximalforderung rechnet ohnehin niemand ernsthaft. Durch das päpstliche Schweigen zu anderen, weniger weitreichenden Reformwünschen bleibt jedoch zumindest in der Debatte über diese Fragen ein gewisser Spielraum.
Ultimatum an Piusbrüder läuft ab
In der Predigt klang auch das große päpstliche Thema dieses Jahres, ja vielleicht das Thema des Pontifikats von Benedikt XVI. überhaupt an: Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) und seine Deutung. Der 50. Jahrestag seiner Eröffnung steht im Oktober bevor. Und in gut einer Woche läuft das vatikanische Ultimatum an die traditionalistischen Piusbrüder ab, von denen die Glaubenskongregation eine Anerkennung des Konzils fordert.
Vor dieser Kulisse machte Benedikt XVI. deutlich, dass das Konzil nicht einfach für wohlfeile kirchenpolitische Forderungen instrumentalisiert werden dürfe. Wer auf die Geschichte nach dem Konzil schaue, könne "die Dynamik der wahren Erneuerung erkennen, sagte er. Diese habe "in lebendigen Bewegungen oft unerwartete Gestalten angenommen". AZ, KNA, afp