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Tod und Auferstehung: Und wenn wir nicht mehr sterben müssten?

Tod und Auferstehung

Und wenn wir nicht mehr sterben müssten?

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    Was wäre, wenn Menschen nicht mehr sterben müssten?
    Was wäre, wenn Menschen nicht mehr sterben müssten? Foto: Fotolia (Symbolbild)

    Ich glaube noch immer nicht, dass ich sterben muss, aber ich weiß es.*

    Würden Sie gerne ewig leben? Halt, nein, so kann das hier nicht losgehen. Denn die Frage erscheint so alt und abgegriffen, so hübsch hypothetisch, weil sie doch allzu oft in abenteuerlichen Fantasien in Büchern und Filmen durchgespielt wurde und wohl auch gerne mal mit einem Glas Rotwein zum Blick in den Sternenhimmel ein bisschen anphilosophiert. Also, jetzt: Würden Sie gerne ewig leben können? Also nicht sterben müssen? Es aber dann doch dürfen, wenn es Ihnen genug erscheint, aus freien Stücken, ohne womöglich langes, schweres Leiden?

    Wirklich jetzt! Wäre das nicht ein Traum? Oder meinen Sie, das wäre viel mehr ein Albtraum, weil die Grundfesten des menschlichen Lebens damit erschüttert würden, wenn die Grenze des Todes frei verrückbar würde? Es ist Ostern 2017. Und es ist damit genau der richtige Zeitpunkt, sich darüber einmal wirklich Gedanken zu machen.

    Mit Jesu Auferstehung werden die Schranken des Lebens durchbrochen

    Es ist nicht möglich, sich den eigenen Tod auch nur vorzustellen. Es scheint unwirklich. Es ist das Unwirklichste. Warum hast du es immer Trotz genannt. Es ist ein Mangel an Erfahrung.

    Natürlich, weil mit dem christlichen Hochfest von der Auferstehung Jesu, von seinem Sieg über den Tod diese eine der beiden Grenzen unseres Lebens Thema ist: Am Beginn steht das Wunder des Lebens überhaupt, dass es uns gibt, dass wir geboren sind; am Ende aber steht der nicht minder unfassbare Skandal der Sterblichkeit, dass dieses Wunder einfach wieder endet, aufhört und vergeht. Schon beim antiken Platon heißt es im „Gastmahl“: „ … denn es lieben die Menschen über alles die Unsterblichkeit.“ Weil sie eben die Überwindung ihrer größten Angst bedeuten würde. Sie ist ein Keim jeder Religion. Und das Neue Testament bietet eben da die Hoffnung auf Erlösung: Mit Jesus, mit seiner Menschwerdung, seinem Sterben und seiner Auferstehung werden die irdischen Schranken des Lebens durchbrochen: „Jesus lebt, mit ihm auch ich! Tod, wo sind nun deine Schrecken?“

    Den Tod immerzu fühlen,

    ohne eine der tröstlichen Religionen

    zu teilen, welches Wagnis,

    welches furchtbare Wagnis!

    Aber zu Ostern 2017 sind all diese Themen eben auch von ganz irdischer Relevanz. Man mag vielleicht noch belächeln, dass just in diesem Jahr der Kosmetik-Konzern Chanel sein „Blue Serum“ auf den Markt gebracht hat, 30 Milliliter für rund hundert Euro, der ultimative Kick des sogenannten Anti-Aging, „geeignet für alle Hauttypen“. Dafür sind Forscher immerhin in alle die Regionen der Welt gereist, in denen die Menschen die größten Chancen haben, hundert Jahre und älter zu werden. Und so verheißt nun eine Tinktur mit Zusätzen aus der grünen Kaffeebohne von Nicoya in Costa Rica, aus Pistazien-Harz von der griechischen Insel Ikaria und aus den Oliven der sardischen Bosana-Bäume besondere Wirksamkeit gegen das Altern … Da legt sich die Gesichtshaut wohl noch ziemlich geschmeidig in Lachfalten.

    Wissenschaftler wollen das Altern abschaffen

    Alle Sterbenden sind Märtyrer einer künftigen Weltreligion.

    Aber andererseits arbeiten auf gleich drei verschiedene Arten Spitzenforscher weltweit mit Milliardenbudgets eben nicht nur daran, dass Menschen länger jünger aussehen – sondern an der tatsächlichen Abschaffung des Alterns und der Sterblichkeit. Der erste Weg ist die Biotechnik, also der Einfluss auf die dafür entscheidenden Körperfunktionen. Da werden in Laboratorien in China bereits genetische Veranlagungen auf perfekte Gesundheit getrimmt, kalifornische Wissenschaftler in Los Angeles und Stanford nutzen Blutplasma. Denn wenn die enthaltenen Stammzellen in der Jugend des Menschen noch in der Lage sind, Nutzungserscheinungen komplett auszugleichen und damit die Organe unversehrt zu halten – mit dem Alter verlieren die Stammzellen diese Fähigkeit zusehends. Was aber, wenn das Blut immer wieder mit frischen, jungen Stammzellen aufgefrischt wird? Versuche mit Tieren zeigen zuverlässig und auch erste mit Menschen bestätigen: Es funktioniert. Streit gab es unter den Forschern lediglich, ob bei einem Alter von etwa 125 Jahren nicht trotzdem eine Grenze für den Organismus erreicht wäre. Nicht wenige halten 150 und 200 Jahre aber auch für gar kein Problem.

    Die Würmer gratulieren ihm zum 160. Geburtstag.

    Der zweite Weg ist der Weg des Cyborgs, also der Verbindung zwischen Mensch und Hochtechnologie. Von Nanorobotern, die in unseren Körpern jederzeit Störungen suchen und beseitigen, bis hin zu Erweiterung und Ersatz der Funktionen von Körper und Geist durch digitale Geräte. Ebenfalls in Kalifornien arbeitet daran etwa Ray Kurzweil, als Technik-Chef von Google, der Guru der sogenannten „Singularität“: der Verschmelzung von Mensch und Computer, die nach ihm bereits 2045 möglich sein soll und bedeuten würde, dass eine Person quasi auf einem Server ewig gespeichert ewig weiterleben kann.

    Und der dritte Weg schließlich ist die Schaffung komplett neuen Lebens durch die künstliche Intelligenz. Hier könnten Wesen mit Bewusstsein jenseits all der Beschränkungen, die uns organischen Wesen unüberwindbar auferlegt scheinen, in Räume und Zeiten aufbrechen, die noch nie zuvor ein Mensch gesehen hat.

    Unsterblichkeit - Eine "Geschichte von Morgen"?

    Wie vielen wird es noch der Mühe wert sein zu leben, sobald man nicht mehr stirbt.

    „Homo Deus“, also göttlicher Mensch, heißt nicht von ungefähr ein aktuelles Buch des Forschers Yuval Noah Harari, das all diese Projekte frappierend plausibel zu einer „Geschichte von Morgen“ zusammenfasst. Und wem dies alles unvorstellbar erscheint, dem hält der Jerusalemer entgegen, wie selbstverständlich uns inzwischen andere Fähigkeiten erscheinen, die in großen Teilen der Weltgeschichte noch göttlich erschienen sind: das Reisen mit unfassbaren Geschwindigkeiten, der Zugriff auf das gesamte Weltwissen, unmittelbare Kommunikation von einem Ende der Welt zum anderen …

    Die schöne Pointe Hararis: Der neue Mensch könnte wohl auch der ängstlichste der Weltgeschichte werden. Denn er ist ja nicht im Wortsinne unsterblich, sondern stirbt bloß seiner neuen Natur nach nicht. Ein Unfall kann ihn jederzeit sein Leben kosten – und nun hat er ja eine ganze Ewigkeit und sonst scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten zu verlieren!

    Es ist nicht abzusehen, was die Menschen zu glauben imstande sein werden, sobald sie einmal den Tod aus der Welt geschafft haben.

    All diese Durchbrüche des Menschen mit der Technik gegen den Tod kündigen sich bereits schleichend an, für die Zukunft – eine andere Auseinandersetzung über die Verfügbarkeit des Lebens wird bereits in der Gegenwart hitzig geführt. Denn beginnt ein möglicher Tabubruch in der menschlichen Existenz aus Werden und Vergehen nicht bereits da, wo das Sterben aus dem Schicksal in die Hand des Einzelnen gelangt?

    In den vorösterlichen Tagen jedenfalls haben sich Vertreter der christlichen Kirchen in Deutschland noch einmal mahnend zu Wort gemeldet: „Es kann nicht sein, dass der Staat dazu verpflichtet wird, die Hand zum Suizid zu reichen“, sagte etwa Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Denn obwohl 2015 der Bundestag ein Gesetz zum Verbot organisierter Sterbehilfe verabschiedet hatte, entschied das Bundesverwaltungsgericht vor rund einem Monat, dass unheilbar Kranken in extremen Einzelfällen der Zugang zu todbringenden Medikamenten nicht versagt werden darf. Inzwischen liegen bereits zwölf Anträge von Patienten vor.

    Der Sterbeverein "Exit" meldet einen Mitgliederboom

    Ähnliche Diskussionen werden auch in Frankreich, den Niederlanden und den USA geführt. Und währenddessen meldet der Sterbehilfeverein „Exit“ in der Schweiz einen Mitgliederboom. In der Deutschschweiz und dem Tessin sind nun rund 110 000 Menschen eingetragen für Hilfe im Fall, dass sie nicht ihr natürliches Ableben abwarten wollen. Befürworter sehen darin die Freiheit des Einzelnen zum Tod, die ohnehin keiner leichtfertig treffen würde, ein Menschenrecht auf Selbstbestimmung. Kritiker befürchten einen Dammbruch, der unweigerliche die Frage nach dem Wert und der Würde des Lebens neu aufwerfe, weil dadurch Druck auf Kranke und Schwache entstehe. Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, sagte, es stehe für das Selbstverständnis unserer Gesellschaft viel auf dem Spiel.

    Ich halte es für möglich, dass wir wirklich von den Toten leben. Ich wage nicht zu denken, was wir ohne sie wären.

    Nicht nur zu Ostern: Die Kirchen bieten sich an. Denn gerade im christlichen Menschenbild ist das Leben ja als ein heiliges Geschenk Gottes verankert, das deshalb nicht einfach verfügbar sein kann. Und auch wenn längst nicht mehr die alte Sitte gilt, dass Selbstmörder keinen Platz auf den Friedhöfen und kein ordentliches Begräbnis erhalten – es bleibt Sünde. Gerade weil absehbar sei, dass Christen in Deutschland keine Mehrheit mehr bildeten, forderte die Evangelische Kirche Deutschlands zur Suizid-Hilfe den Anspruch: Es müsse darum gerungen werden, dass die christlichen Werte in der Gesellschaft verankert blieben. Unterdessen veröffentlichte Karl H. Beine vom St.-Marien-Hospital in Hamm die Ergebnisse seiner Befragung von 5000 Ärzten und Pflegern in Deutschland im Buch „Tatort Krankenhaus“. Demnach könnte es jährlich zu mehr als 21 000 Tötungen in Krankenhäusern und Pflegeheimen hierzulande kommen, weil ein Verantwortlicher illegal das Leiden eines Patienten aktiv beendet hat.

    Würden Sie gerne ewig leben können?

    Der Tod ist mein Bleigewicht, und ich gebe mir verzweifelt Mühe, es nicht zu verlieren.

    So steht der Umgang mit dem Tod vom Leben aus der Zukunft und vom Sterben in der Gegenwart her unter gehörigem Druck. Also noch mal: Würden Sie gerne ewig leben können? Also nicht sterben müssen? Es aber dann doch dürfen, wenn es Ihnen genug erscheint, aus freien Stücken, ohne womöglich langes, schweres Leiden? Die Folgen einer Antwort auf diese Fragen reichen weit über den Einzelnen hinaus. Stellen Fragen an die christlichen Werte und an die ganze Organisation des Zusammenlebens. Über Arbeitszeiten und Lebensläufe, über die Pflichtleistungen und die Bezahlbarkeit des Gesundheitssystems, über die Bevölkerungsentwicklung – und auch über Würde des Menschen muss womöglich ganz neu nachgedacht werden.

    Du hast länger gelebt als Kafka, als Proust, als Musil, auch als Broch: Wozu verpflichtet dich diese monströse Ungerechtigkeit?

    Und doch beginnt natürlich alles bei dem Einzelnen. Ein typisches Missverständnis unserer Zeit ist es vielleicht, wie die Weisheit des antiken Horaz etwa gedeutet wird. Sein „Carpe Diem“ nämlich war eben nicht als Aufforderung zur größtmöglichen Lebensfülle gedacht. Sondern ist nicht ohne das „Memento mori“ zu denken – also ohne das Gedenken der eigenen Sterblichkeit. Im Angesicht des jederzeit möglichen Todes erst erkennen wir nach dem Dichterwort, was wirklich der Wert des Lebens und unseres Tuns ausmacht. Genauso Epikur, der den Abschied vom Götterglauben empfahl, um das Bestmögliche für den Menschen zu erkennen: das Glück. Er riet damit eben nicht zur größtmöglichen Bespaßung, sondern zur Besinnung. Aber was wird aus diesen Gedanken, wenn der Tod und die Endlichkeit als das entscheidende Moment alles Lebens und Strebens getilgt würde? Und auch in der christlichen Ikonografie gesprochen: Der Erlöser verliert ohne den Gekreuzigten zuvor ja nicht nur eine Facette, sondern seinen Sinn.

    Das besondere am Menschen: Er weiß, dass er sterben wird

    Man hat kein Maß mehr, für nichts, seit das Menschenleben nicht mehr das Maß ist.

    Hunderte Jahre alt ist die These, dass das, was den Menschen ausmacht in der Besonderheit des Bewusstseins aller Lebewesen, gerade das ist: dass er weiß, dass er sterben wird. Er erfährt es an seinem Nächsten und kann den Schrecken auf seine eigene Existenz übertragen. Mit seinem Sein steht er wesentlich vor dem Nichts. Darum gehören die Antworten der Religion auch so wesentlich zu ihm. Neue Studien von Psychologen aus dem britischen Coventry haben nun gezeigt, dass es aber nur „eine schwache Korrelation“ zwischen dem religiösen Glauben und einer nachlassenden Furcht vor dem Tod gibt. Wichtiger ist demnach, dass der Mensch über irgendeine feste Weltanschauung verfügt, welche es ist, macht kaum einen Unterschied. Aus Sicht der Forscher „erfüllt der Atheismus die gleiche Terror-Management-Funktion wie traditionelle Religionen“. Eine andere Statistik könnte aber von einem weiteren Zusammenhang zeugen. In den wohlhabenden Ländern sinkt seit Jahren konstant die religiöse Bindung, während sie dort wächst, wo Not herrscht. Und im selben Maße steigt mit dem relativen Reichtum in der jüngeren Vergangenheit die Zahl der Menschen, die Selbstmord begehen.

    Die Menschheit hat gelernt, gegen den Tod zu kämpfen

    Manchmal glaube ich, sobald ich den Tod anerkenne, wird sich die Welt in nichts auflösen.

    Hat der Mensch über all die Zeit hinweg gelernt, mit dem Tod zu leben? Die in den vergangenen Jahren immer wieder aufkommenden Mahnungen, wir verdrängten das Sterben aus unserem Blickfeld, liegt Gegenteiliges nah. Auf jeden Fall hat die Menschheit gelernt, gegen ihn zu kämpfen. Bei all dem Sterben, das der Mensch selbst verursacht, ist er mit seiner Wissenschaft, Medizin und Technik sehr erfolgreich darin geworden, Risiken und Gefahren zu vermeiden und zu tilgen. Damit hat sich freilich auch sein Leben dramatisch verändert. Nicht nur in Bezug auf die Lebenserwartung. Aber sind wir damit den einstigen Paradiesvorstellungen näher gekommen? Oder nicht schon zu einer Vorstufe von Hararis ängstlichster aller Exemplare unserer Spezies geworden? So wie das tödliche Drama immer mehr zu Schlagzeilen taugt, weil es menschliche Betroffenheit verspricht, und dabei nur Reflexe bedient die schließlich auch abstumpfen können – so verliert sich womöglich im Lärm der Gegenwart und im Rennen um die Fitness für das Künftige auch das Bewusstsein für Vergangenheit und Vergänglichkeit. Eine Gesellschaft, die dabei ist, dem Einzelnen den Zwang zum gesunden Leben zu verordnen und ihn womöglich bald mit Daten dafür zur Verantwortung zieht, hat jedenfalls die Freiheit zum Tode längst umfassender hinter sich gelassen, als es in der Suiziddebatte aufscheint.

    Der Wunsch zu bleiben, eine Art von Buchhaltung.

    Die Unsterblichkeit wird nicht für alle reichen. Vielleicht züchtet sich der Mensch nur einfach neue Götter – scheinbar aus seiner Mitte … Aber nun stelle man sich vor, das himmlische Paradies gibt es wirklich. Der neue, ewig junge Mensch würde es nie erreichen.

    Stirbt man träumend?

    *Der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti, geboren 1905, hat sich ein Leben lang schonungslos mit Gedanken über den Tod auseinandergesetzt – und sein Verhältnis dazu in einem Notizbuch festgehalten, vom Jahr 1942 bis zu seinem Tod 1994. Als „Das Buch gegen den Tod“ durfte es seiner Anweisung nach aber erst veröffentlicht werden, nachdem er gestorben war. Aus diesem so klugen wie berührenden Werk (erschienen bei S. Fischer, 352 Seiten, 10 Euro) stammen die hier kursiv abgedruckten Textstellen. Sein letzter Eintrag war: „Es ist Zeit, mir wieder Dinge mitzuteilen. Ohne dieses Schreiben löse ich mich auf. Ich spüre, wie mein Leben sich in stumpfes, trübes Sinnen auflöst, weil ich nicht mehr Dinge über mich aufschreibe. Ich will versuchen, das zu ändern.“

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