Und die am Samstag nach elf Tagen zu Ende gegangene 65. Festivalausgabe glänzte darüber hinaus mit einer Starparade. Promis wie die Schauspieler Harry Belafonte, Charlotte Rampling oder Alain Delon und Regisseure wie Leos Carax schritten gleichsam im Fließbandtakt über den roten Teppich.
Qualität und Glamour kamen auch aus Deutschland, zum Beispiel mit den Schauspielern Alexandra Maria Lara und Sebastian Blomberg. Sie stellten das außerhalb der Konkurrenz in einer der nächtlichen Freilauftaufführungen auf der Piazza Grande gezeigte Roadmovie "Nachtlärm" vor. Regisseur der schweizer-deutschen Koproduktion ist Christoph Schaub aus Zürich. Mit 18 Beiträgen war Deutschland im Gesamtangebot von rund 300 Filmen schon quantitativ gut vertreten. Aber die deutschen und die mit großer finanzieller Beteiligung deutscher Produzenten realisierten internationalen Koproduktionen überzeugten auch qualitativ.
Ausgezahlt hat sich das mit Preisen. Die von Cate Shortland inszenierte deutsch-australisch-britische Koproduktion "Lore", ein bewegendes Drama über Kinderschicksale nach Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde vom Publikum zum besten Film im Programm der Piazza Grande gewählt. Und noch eine wichtige Auszeichnung ging nach Deutschland: den Preis als bester Film der "Woche der Kritik" bekam die Dokumentation "Vergiss mein nicht". Darin begleitet Regisseur David Sieveking aus Berlin überaus feinsinnig seine an Demenz erkrankte Mutter.
Den Goldenen Leoparden, den Hauptpreis des Festivals, bekam "La Fille de Nulle Part" ("Das Mädchen von Nirgendwo"). Regisseur Jean-Claude Brisseau (Frankreich) macht in dem mit visueller Schönheit und geistreichen Dialogen beeindruckenden Zwiegespräch einer jungen Frau und eines alten Mannes kunstvoll die moralische Schieflage der Gesellschaft deutlich.
Die Mehrzahl der in Locarno gezeigten Filme stellte die Orientierungslosigkeit des Einzelnen ins Zentrum. Dazu erklärte der Filmemacher und bildende Künstler Apichatpong Weerasethakul aus Bangkok, Vorsitzender der Jury des Internationalen Wettbewerbs: "Uns hat die Vielzahl an Filmen gefallen, die sich der verschiedenen Krisen in unserer Welt auf höchst unterschiedliche Weise annehmen."
Der Erfolg des Festivals ist in hohem Maß Olivier Père zu danken, in diesem Jahr zum dritten Mal der künstlerische Leiter. Konsequent setzt er auf Förderung des anspruchsvollen Kinos fern kommerziellen Mittelmaßes. Dabei zeigt er, wie unterhaltsam das ist. Der mit dem Spezialpreis der Jury gewürdigte Film "Somebody Up There Likes Me" von Regisseur Bob Byington (USA) präsentiert beispielsweise die lebenslange Suche eines Mannes nach sich selbst als launige Komödie.
Im Reigen der weltweit anerkannten Filmfestivals Europas hat Locarno in diesem Jahr seinen Status neben Cannes, Berlin und Venedig gestärkt. Damit stellt es sich offensiv der Herausforderung des erst vor einigen Jahren gegründeten Festivals in Rom. Das drängt mit seiner neuen, vom italienischen Staat finanziell gut gepolsterten Ausgabe im November, erstmals geleitet vom bisherigen Venedig-Chef Marco Müller, an die Spitze. Auf lange Sicht sind fünf große Filmfestivals in Europa sicherlich zu viel. Mit seiner Konzentration auf das junge, anspruchsvolle Kino hat Locarno sich seinen Platz zum Überleben gesichert. (dpa)