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Als Japan dem Westen etwas voraus hatte

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Als Japan dem Westen etwas voraus hatte

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    Stille liegt über der Natur: Tsuchiya Koitsus „Abendansicht vom See Sai“ (1938).
    Stille liegt über der Natur: Tsuchiya Koitsus „Abendansicht vom See Sai“ (1938). Foto: © Sammlung Sven Drühl

    Der Fuji strahlt in voller Pracht, der Großglockner und auch das Breithorn. Es ist wahrlich ein Gipfeltreffen, das das Kunsthaus Kaufbeuren aufbietet. Doch geht es in der aktuellen Schau „Crossing cultures“ nur am Rande um beeindruckende Berggestalten. Vielmehr thematisiert die Ausstellung den kulturellen Austausch zwischen Japan und Europa im Zeitraum von 1900 bis 1950. Zentrales Medium war dabei der Farbholzschnitt.

    Nun hat der Holzschnitt hierzulande nicht den besten Ruf, zumal im noch laufenden Jubiläumsjahr der Reformation, in dem man immer wieder mit eher grobschlächtigen Propaganda-Pamphleten dieses frühen Massenmediums konfrontiert wurde. Solcherlei „Holzschnittartiges“ hat freilich wenig mit dem zu tun, was es nach der Öffnung Japans aus der selbst gewählten Isolation ab 1850 auch in Europa zu bewundern gab. Im Land der aufgehenden Sonne hatte sich über Jahrhunderte eine hoch spezialisierte und arbeitsteilig organisierte Branche gebildet, die den Farbholzschnitt handwerklich und künstlerisch in höchste Höhen führte.

    Kein Wunder, dass sich nicht nur die Avantgarde in Europa begeistert diesen Werken widmete. Es entstand ein regelrechter Japonismus in der Kunst, aber auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Während sich jedoch Monet und viele seiner (Pariser) Kollegen vor allem stilistisch von der japanischen Kunst beeinflussen ließen, dauerte es noch rund ein halbes Jahrhundert, bis auch die Technik des Farbholzschnittes auf das Interesse der europäischen Künstler stieß.

    Genau dieser Phase der umfassenden Antizipation und des folgenden wechselseitigen Austauschs widmet sich die von Kunsthaus-Leiter Jan T. Wilms kuratierte Ausstellung. Er hat unter anderem zahlreiche Werke der europäischen Pioniere des japanisierenden Farbholzschnittes nach Kaufbeuren geholt. Werke etwa von Otto Eckmann, Peter Behrens und Emil Orlik, die alle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zumindest zeitweise in München tätig waren. Orlik studierte bei einer ausgedehnten Reise nach Japan Technik und Ausdruck genau und imitierte beides stark, ebenso Siegfried Berndt. Dessen Nordsee-Impressionen sehen den in der Ausstellung direkt gegenübergestellten, knapp 100 Jahren früher entstandenen Seestücken von Utagawa Hiroshige zum Verwechseln ähnlich.

    Dagegen machte sich Behrens – wie viele seiner Kollegen – die neue Technik für die eigenen künstlerischen Wege zunutze. Entstanden ist so beispielsweise die in „Crossing cultures“ gezeigte Jugendstil-Ikone „Der Kuss“ von 1898. Aber auch Vertreter der Münchner Schule, insbesondere der Dachauer Künstlerkolonie, nutzen die immensen Gestaltungsmöglichkeiten des Farbholzschnitts für (alpenländische) Landschaften, Tierdarstellungen oder Humoresken.

    Bemerkenswert auch, dass etliche Künstlerinnen den Farbholzschnitt erfolgreich für sich entdeckten – vermutlich als Alternative zu den von den männlichen Kollegen besetzten Kunstfeldern. Von Martha Cunz stammen einige der beeindruckendsten Werk der Schau, etwa der „Blick auf den Säntis“ (1904), der verblüffend an Wassily Kandinskys „Eisenbahn bei Murnau (1909/10) im Münchner Lenbachhaus erinnert. Spätestens hier ist der Besucher auch bei den vielleicht nicht dezidiertesten, aber in jedem Fall prominentesten Holzschneidern nach japanischem Vorbild angelangt: den Mitgliedern des Blauen Reiters. Franz Marc, Gabriele Münter, Heinrich Campendonk und Kandinsky sind stattlich vertreten. Gerade Letzterem mit seiner ausgeprägten Farbphilosophie und dem Drang zu Abstraktion kam diese künstlerische Ausdrucksform sehr entgegen.

    Dem breiten Publikum zumeist unbekannt dürften dagegen die Namen der japanischen Holzschneider sein, die beileibe nicht nur Ideengeber für die europäischen Kollegen waren. Denn mit der Öffnung des Landes empfingen auch sie neue künstlerische Impulse. Zudem entzogen Massendruck-Verfahren dem althergebrachten Farbholzschnitt zunehmend die wirtschaftliche Grundlage, sodass dessen Vertreter neue Wege gehen mussten. Es zogen mehr Freiheit und Individualität in diese uralte Kunst ein, während das große handwerkliche und gestalterische Können der japanischen Künstler bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ganz traditionell hoch blieb. Die abendlichen Landschaften eines Kawase Hasui mit ihren unvergleichlichen Lichtstimmungen sind dafür eines von vielen im Kunsthaus gezeigten Beispiele. Ebenso die Porträts, Alltagszenen oder Stadtansichten der japanischen Vertreter – darunter ebenfalls etliche Künstlerinnen.

    So stehen die drei eingangs genannten Berge nicht nur für das hier wie dort hohe Niveau das Farbholzschnitts, sondern auch für regen Austausch: Der Fuji als heiliger Berg Japans ist ein klassisches Motiv der dortigen Künstler, was die Ansicht des Berges von Hiroshi Yoshida („Fuji Suzukawa“, 1935) beweist. Den Großglockner hat der Österreicher Hans Frank mit ausgefeilter Technik, aber deutlich europäisch, ja deutsch geprägt dargestellt („Großglockner I“, 1935). Und in moderner, aber eindeutig japanischer Manier hat wiederum Hiroshi Yoshida das Schweizer Breithorn zu Papier gebracht („Breithorn“, 1925).

    Crossing cultures. Der Farbholzschnitt in Europa und Japan 1900- 1950. Bis 22. April im Kunsthaus Kaufbeuren, geöffnet Di, Mi, Fr von 10 bis 17, Do bis 20, Sa/So bis 18 Uhr.

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