Dass es mit der Sicherheit im Atomkraftwerk (AKW) Gundremmingen nicht weit her ist, steht für die Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl außer Frage. „Von allen laufenden Atomkraftwerken in Deutschland geht von Gundremmingen die höchste Gefahr für eine Kernschmelze aus“, hatte sie im Juli 2014 gegenüber unserer Zeitung gesagt. Nach einer Analyse der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) sei es eindeutig, dass Siedewasserreaktoren wie der hiesige deutlich störanfälliger seien als Druckwasserreaktoren. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hatte Ende vergangenen Jahres nach der GRS-Analyse sogar vom „gefährlichsten AKW“ geschrieben – dabei relativierte die Gesellschaft selbst die Aussagekraft ihrer Zahlen. Die Abgeordnete sieht eine weitere Gefahr: Das Kraftwerk sei nicht erdbebensicher. Auch dafür bezieht sie sich auf Unterlagen der GRS.
Zwar hatte es schon in der Vergangenheit Zweifel gegeben, ob die Anlagen Erdstößen so standhalten würden wie sie es müssten. Doch Kotting-Uhl wollte es genau wissen und beantragte bereits 2013 beim Bundesumweltministerium die Einsicht in entsprechende Unterlagen. Nachdem das wiederholt abgelehnt worden war und sie fast nur geschwärzte Seiten bekommen hatte, klagte sie – und bekam Ende vergangenen Monats vom Kölner Verwaltungsgericht Recht. Auch wenn das Ministerium es anders sah, so gebe es keinen Grund, warum die Unterlagen aus den Jahren 1974 bis 1983 – die Blöcke B und C waren 1984 ans Netz gegangen – noch geheim sein sollten. Vielmehr sei der Antrag mit ungenügenden „Floskeln“ abgelehnt worden, heißt es im Urteil, das unserer Zeitung vorliegt. Auch laufe es dem Umweltinformationsgesetz zuwider, wenn das Ministerium argumentiere, dass es hier einen zeitlich unbegrenzten Vertraulichkeitsschutz gebe. So oder so überwiege das öffentliche Interesse. Die Behörde müsste nun die Unterlagen eigentlich zusenden.
Abgeordnete: „Bei Atomaufsicht ist etwas faul“
Aus einer aktualisierten Stellungnahme vom November 2013 eines älteren Gutachtens der GRS geht auch so bereits zum Kraftwerk hervor: „Die Überprüfung der Systemauslegung nach Stand von Wissenschaft und Technik durch die GRS hat ergeben, dass die Anlage für den Fall eines Bemessungserdbebens die Anforderungen (...) auch nach den bisherigen Regelwerken nicht erfüllt.“ Dass also seit Jahren bekannt ist, dass es ein Problem gebe, und trotzdem auch das Bayerische Umweltministerium als Atomaufsicht nichts getan habe, kann die Abgeordnete nicht verstehen. Statt verantwortungsvoll zu handeln, spiele die Aufsicht auf Zeit und zögere die Klärung der Erdbebensicherheit hinaus. „Mir scheint, die Interessen des Betreibers liegen der Landesbehörde näher als die Schutzinteressen der Bevölkerung“, kritisiert Kotting-Uhl. „Bei der Bayerischen Atomaufsicht ist etwas faul.“
Wäre das AKW so sicher, wie es das Ministerium immer behaupte, so hätte das Land auch gar nicht versuchen müssen, die Sicherheitsstandards zu senken, meint sie. In der Tat geht aus einem Schreiben eines Ministerialdirektors an das Umweltministerium in Baden-Württemberg aus dem Jahr 2012 hervor, dass versucht wurde, neue Vorschriften zu relativieren. Darin heißt es unter anderem: „Durch diesen Ansatz enthält das KRT (Kerntechnisches Regelwerk, Anmerkung der Redaktion) teilweise Anforderungen, die an den derzeit in Deutschland betriebenen Kernkraftwerken vorbei gehen, da diese die Sicherheit auf ebenso wirkungsvolle, aber eben andere Art und Weise gewährleisten. (...) Das Konzept (...) ist aber mit den Anforderungen des KRT nicht in allen Teilen kompatibel.“ Die Einwände seien nicht der Versuch, die Anforderungen abzuschwächen, sondern „das KRT trotz aller nach wie vor enthaltenen Schwächen überhaupt anwendbar zu machen“.
AKW-Sprecher: Alle Anforderungen erfüllt
Auch hält die Abgeordnete es für untragbar, dass die Atomaufsicht beim Kraftwerk angeblich nie Probleme festgestellt habe, obwohl selbst der oberste Dienstherr, also Ministerpräsident Horst Seehofer, da anderer Ansicht war. Zum Antrag einer Leistungserhöhung des AKWs, der später wieder zurückgezogen wurde, hatte er in einem Radiobeitrag des SüdwestrundfunksEnde 2013 erklärt: „So viel kann man sagen, dass wir es zunehmend für sehr problematisch halten. Auch wegen der ganzen Sicherheitsinformationen, die ich zwischenzeitlich über Gundremmingen habe.“
Trotz allem betont Kraftwerkssprecher Tobias Schmidt auf Anfrage unserer Zeitung: „Block B und C erfüllen die Anforderungen auch mit Blick auf den Schutz vor Erdbeben. Das haben wir Frau Kotting-Uhl auch dargelegt.“ Das hohe Sicherheitsniveau sei durch periodische Überprüfungen und mehrere Stresstests bestätigt worden. Das Bundesumweltministerium ergänzt, dass an das Kraftwerk andere Anforderungen gestellt würden als zur Bauzeit.
Ministerium könnte Rechtsmittel gegen Urteil einlegen
Ob es noch sicher genug ist, habe die GRS erneut geprüft, die Bewertung durch das Ministerium sei aber nicht abgeschlossen – allerdings hätte schon vor zwei Jahren „in Kürze“ eine Bewertung vorliegen sollen, schrieb damals der Spiegel. Unterstellt wird bei der Untersuchung, dass bei einem Erdbeben ein Nachkühlstrang durch einen Fehler nicht funktioniert, ein weiterer instand gesetzt wird und der dritte, der als einziger nicht für den Fall eines Bebens ausgelegt ist, auch ausfällt. Zwar gibt es ein zusätzliches Nachkühlsystem, das ist nach Ansicht der GRS aber gegenüber den anderen nicht gleichwertig.
Was die Herausgabe der alten Akten angeht, prüft das Ministerium noch, ob es Rechtsmittel gegen das Urteil einlegt – zumal das Gericht nicht die Dokumente an sich bewertet habe. Hier stünden Interessen der Abgeordneten gegen negative Auswirkungen für die öffentliche Sicherheit. Wenig auskunftsfreudig ist indes auch die bayerische Atomaufsicht. Trotz einer angeforderten ausführlichen Stellungnahme heißt es nur: „Die Sicherheit beim Betrieb ist oberstes Gebot.“ Das Kraftwerk erfülle alle gesetzlichen sicherheitstechnischen Vorgaben. Auch bei Erdbeben.
Grüne haben „erhebliche Zweifel“ an Sicherheit des AKW
Unterdessen sind auch wieder Pannen aus dem vergangenen Jahr Thema. Insgesamt hatte es fünf meldepflichtige Ereignisse im Atomkraftwerk gegeben. Dass im März durch einen menschlichen Fehler die Druckluftversorgung von Block C unterbrochen wurde und sich im November ein Teil eines Brennelements beim Umlagern löste, sorgte für großes Aufsehen. Die Erklärung von Betreiber und Aufsicht, es sei ja keiner zu Schaden gekommen, wollen mehrere Abgeordnete so nicht akzeptieren.
In einem Antrag von 13 Grünen im Bayerischen Landtag und der Fraktion werden eine Reihe von Fragen gestellt – und dort heißt es auch „Die beiden genannten Vorfälle wecken erhebliche Zweifel an der Sicherheit und an der notwendigen Sorgfalt beim Betrieb des Atomkraftwerks“. Eine bereits von der SPD-Abgeordneten Natascha Kohnen gesetzte Frist für eine Stellungnahme zum Brennelemente-Zwischenfall hat das Bayerische Umweltministerium schon verstreichen lassen.
Mit Antwort des Ministeriums ist die Abgeordnete unzufrieden
Kohnen hatte zuvor auch gefragt, welche Bedeutung es habe, dass in einem 2010 im Auftrag mehrerer österreichischer Bundesländer erstellten Schwachstellenbericht bei Siedewasserreaktoren einer anderen Baulinie Probleme bei Schweißnähten festgestellt worden waren – die Erkenntnisse seien ja auf Gundremmingen übertragbar. Da hatte das Ministerium erklärt, alles entspreche dem Stand von Wissenschaft und Technik, die Prüfungen reichten trotz gewisser Einschränkungen aus und eine Ermüdung sei zu vernachlässigen.
Kohnen ist unzufrieden mit der Antwort, wonach Erkenntnisse zu Spannungen im Material einmal so und einmal so ausgelegt werden könnten. Kraftwerkssprecher Tobias Schmidt hingegen betont: Auch wenn der Bericht nichts über Gundremmingen aussage, so seien die Nähte geprüft worden. Die Belastungen der Reaktordruckbehälter lägen unterhalb der vorgeschriebenen zulässigen Grenzen und enthielten einen Sicherheitspuffer.
Lesen Sie hier unsere große Serie zum Atomausstieg in Gundremmingen.