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Landkreis Günzburg: Ein schwieriges Miteinander nach dem Putschversuch

Landkreis Günzburg

Ein schwieriges Miteinander nach dem Putschversuch

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    Das Gespräch zwischen Polizei, Landkreis, Kommunen und türkischen Vereinen sowie Organisationen lief gut, sagen Teilnehmer. Sie sind sich einig: Jetzt müssen den Worten Taten folgen.
    Das Gespräch zwischen Polizei, Landkreis, Kommunen und türkischen Vereinen sowie Organisationen lief gut, sagen Teilnehmer. Sie sind sich einig: Jetzt müssen den Worten Taten folgen. Foto: Roman Gepperth/Landratsamt

    Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei hatte es auch im Landkreis Günzburg im Sommer Zwischenfälle gegeben. Die Lage hat sich zwar wieder beruhigt, doch vom Tisch ist das Thema nicht. So gab es etwa nach den Unruhen in der wir berichteten). Die Kinder seien noch immer beunruhigt, sagt Monika Weltz, die Leiterin des Gymnasiums. Und es sei auch nicht leicht, bei einer Schülerinnenzahl von gut 200 mit knapp 40 Abmeldungen klar zu kommen.

    Ein kleiner Teil davon habe zwar nichts mit dem Thema zu tun, diese Mädchen wären wegen nicht ausreichender Leistungen ohnehin gegangen. Aber der größte Teil stehe mit der Angst der Eltern vor einer weiteren Eskalation in Verbindung. Auch mit dem Druck, der von außen auf sie ausgeübt werde. Oder damit, dass Eltern ihre Kinder nicht auf einer Gülen-Schule wissen wollen. Schließlich hat die Einrichtung den Ruf, eine solche zu sein und somit dem Erzfeind des türkischen Präsidenten Erdogan nahezustehen. Das weist die Leitung stets von sich – und es soll nun deutlicher werden.

    So habe die Schülermitverwaltung angeregt, den Namen Vision abzulegen, sagt Weltz. Viele Schülerinnen fühlten sich damit unwohl, „sie schämen sich“. Zum einen wegen dem Ruf, der damit verbunden ist. Und zum anderen, weil es ja um Bildung und nicht um Erscheinungen gehe, die jemand hat. Zunächst war an Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg als Namenspatron gedacht worden, der in Jettingen geboren wurde. Aber da es viele Schulen mit diesem Namen gebe und andere Personen womöglich problematisch sein könnten, ist an unverfängliche Bezeichnungen gedacht: Mindeltal-Gymnasium und Mindeltal-Realschule. Auch in anderer Hinsicht soll Gegnern wenig Angriffsfläche geboten werden. So läuft die Suche nach Trägervereinen, die keine Wurzeln oder Verbindungen mehr in der Türkei haben. Das sei bereits vor den Vorfällen im Sommer mit den jetzigen Trägern besprochen worden, da die Schule von Beginn an von allen Seiten kritisiert worden sei.

    Abmeldungen konnten kompensiert werden

    Zwar sei es unschön, dass durch die knapp 40 Abmeldungen Klassenverbände auseinandergerissen wurden und einiges umstrukturiert werden musste. Aber dafür gab es mehr Anmeldungen von Deutschen, sodass die Verluste kompensiert werden konnten und der Wandel beschleunigt wird. Von Anfang an sei ja eine stärkere Durchmischung gewünscht gewesen. Und so entwickele sich die Einrichtung, was die Nationalitäten der Mädchen angeht, immer weiter zu einer internationalen Schule. Noch überwiegen aber die mit türkischer Abstammung.

    Weil sie einen unaufschiebbaren Termin hatte und ihr Stellvertreter krank wurde, konnte kein Vision-Vertreter am runden Tisch von Polizei, Landratsamt und Kommunen mit türkischen Vereinen (wir berichteten) zur Situation nach dem Putschversuch teilnehmen. „Wir gehören nicht zur Klientel, aber wir wären gern dabei gewesen“, betont Weltz. Schließlich ging es um Auswirkungen des Türkeikonflikts auf den Landkreis, wovon die Schule ja direkt betroffen war. Die Leiterin hofft, dass die beruhigte Lage nicht wieder eskaliert. Darin sind sich auch die Gesprächsteilnehmer einig.

    So ist es dem Neu-Ulmer Kripo-Chef Jürgen Schweizer sehr wichtig, auf regionaler Ebene genau darauf hinzuwirken. Die Menschen müssten erkennen, dass man auch weiter mit dem Nachbarn zusammenleben kann und muss, mit dem man gestern noch befreundet war – auch wenn der eine Gülen und der andere Erdogan nahe steht. Momentan sei die Lage ruhig, was auch mit Anstrengungen türkischer Vereine zu tun habe. Bis zu einer neuen Eskalation in der Türkei müsse aber das Vertrauen weiter gestärkt werden, damit ein Konflikt nicht wieder auf den Landkreis überschwappt.

    Gülen-Nahe wurden als Terroristen beschimpft

    Die Mitglieder des Aktiv-Erziehungs- und Fördervereins in Günzburg, übrigens ein Träger der Vision-Schule, haben selbst erlebt, was das bedeuten kann. Nur weil sie Gülens Idee der Bildung unterstützen und so gesehen vielleicht als Gülen-nah bezeichnet werden könnten, aber sonst nichts mit ihm zu tun hätten, seien sie nach dem Putschversuch als Terroristen beschimpft worden. Manche Moscheevereine hätten ihnen nahegelegt, nicht mehr in die Moschee zu kommen. So etwas hätte der Vorsitzende Ertan Altintas nicht für möglich gehalten und ist enttäuscht über die türkische Community im Landkreis.

    Die Leute vertrauten leichtgläubig den inzwischen zum großen Teil vom türkischen Staat gelenkten türkischen Medien. Daher ist er froh über die Hilfe durch die deutsche Polizei, nachdem unter anderem Eier gegen die Vereinsräume am Marktplatz geflogen waren, und dass die deutschen Medien objektiver berichteten. Er glaubt, dass türkische Vereine versuchen, beruhigenden Einfluss auf ihre Mitglieder zu nehmen, aber der dürfe nicht überschätzt werden. Türkische Medien spielten teils eine größere Rolle. Daher sei der runde Tisch wichtig, auch wenn viel schön geredet worden sei.

    Private Nachricht oder Newsletter an Gemeindemitglieder?

    Der Vorsitzende des Türkisch-Islamischen Kulturvereins Burgau, der zum Islamverband Ditib gehört – theologisch ist dieser eng mit der Türkei verbunden –, hatte schon befürchtet, dass das Gespräch zu einer Schelte der Polizei wird. Dass es ihr und den anderen Teilnehmern vor allem um einen offenen Austausch ging, hat Halit Özer positiv überrascht. Auf den Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein (CSU) ist er hingegen nicht gut zu sprechen. Der hatte im Sommer gegenüber unserer Zeitung erklärt, dass ein Imam der

    Aus Nüßleins Büro heißt es jetzt auf Anfrage unserer Zeitung, dass diese auf türkisch verfasste Whats-App-Nachricht vom Imam wie ein Newsletter an verschiedene Mitglieder der Gemeinde versandt worden sei. Das Büro schickte unserer Redaktion einen Screenshot davon. Eine von unserer Zeitung in Auftrag gegebene Übersetzung ergibt: Es wird geraten, sich von Verrätern fern zu halten – Gülen sei einer. Wer ihm hilft, unterstütze den Papst, Gülen sei ein Pfarrer in dessen Diensten.

    Es soll so weitergemacht werden wie bisher

    Dass es auch im Kreis Anfeindungen und Übergriffe gab, will die Gemeinde zwar nicht akzeptieren, erklärt der Vorsitzende, der auch Sekretär im Ditib-Landesverband ist. Aber, so sagt dessen Vorsitzender Aykan Inan: „Wir erreichen nicht alle Türken. Wir können nicht für alle verantwortlich sein.“ Auf der anderen Seite sei es aber auch ihrer präventiven Arbeit zu verdanken, dass es keinen größeren Schaden gegeben habe. Daher werde so weitergemacht wie bisher. Andersdenkende würden nicht ausgeschlossen und es gebe auch keine Hausverbote.

    Für eine weitere Zusammenarbeit mit Behörden, Vereinen und Religionen seien sie bereit, versichern Inan und Özer, und befürworten Besuche von Deutschen in der Moschee. Aber auch wenn sie der Forderung nachkämen, dass dort nur auf Deutsch gepredigt wird, ändere das nichts. Provokant formuliert Inan es so: Die besten deutschsprachigen Imame seien Salafisten. Es komme eben nicht auf die Sprache, sondern den Inhalt an. Die Forderung sei auch halbherzig, da es nicht genug in der Bundesrepublik ausgebildete islamische Theologen gebe. Der Islam, seine Vertreter und die Gläubigen seien hier nicht anerkannt und würden oft mit Radikalen in Verbindung gebracht. Statt auf vernünftige Gesprächspartner zuzugehen, werde jeder in eine Ecke gestellt. Zumindest im Kreis funktioniere es besser, weil man sich kenne.

    Den Kontakt zu halten ist auch Behörden und Kommunen wichtig. Sie empfinden das erste Gespräch als Erfolg aller Beteiligten, wie es in der gemeinsamen Erklärung heißt und wie Teilnehmer auf Nachfrage bestätigen. Dass auch die Resonanz türkischer Vereine und Organisationen positiv ist, freut sie besonders. Sollte es wieder ein Treffen geben, wäre jedenfalls Leipheims Bürgermeister Christian Konrad froh, auch eingeladen zu werden, schließlich gibt es in seiner Stadt sehr viele Türken – Probleme gebe es gerade aber keine. Geladen waren nur Vertreter aus Günzburg, Burgau, Jettingen-Scheppach und Ichenhausen, weil es hier Vorfälle und somit Redebedarf gab. Ob den versöhnlichen Worten Taten folgen, müsse sich jetzt zeigen, betonen die Beteiligten. Jettingen-Scheppachs Bürgermeister Hans Reichhart etwa bedauert, dass nach dem Putschversuch Vertrauen zwischen Türken so schnell zerstört worden sei: „Es wird so schnell nicht mehr werden, wie es war.“ Aber er hofft, dass das Gespräch ein Neuanfang war.

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