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Reportage: Oh Nil! Schafft Ägypten den Weg aus der Krise?

Reportage

Oh Nil! Schafft Ägypten den Weg aus der Krise?

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    Der Philae-Tempel in der Nähe von Assuan.
    Der Philae-Tempel in der Nähe von Assuan. Foto: Sandra Liermann

    "Als ich vor drei Jahren im Tal der Könige war, war es hier noch menschenleer", sagt eine Besucherin, als sie in der altägyptischen Nekropole an einer asiatischen Reisegruppe vorbeigeht. Was bei Touristen schnell für Unmut sorgt – andere Reisende –, lässt die Ägypter erleichtert aufatmen. Denn das Ende der Tourismus-Krise, die das nordafrikanische Land mehrere Jahre lang fest im Griff hatte, scheint in Sicht.

    Der Tourismus ist eine der wichtigsten wirtschaftlichen Einnahmequellen in Ägypten, viele Arbeitsplätze hängen daran. Nach dem Aufstand gegen den damaligen Präsidenten Husni Mubarak im Jahr 2011 und den anschließenden politischen Unruhen waren die Gästezahlen drastisch zurückgegangen. Im Jahr 2010, vor der Revolution, zählte das Land noch 14,7 Millionen Besucher. 2016 waren es 4,5 Millionen. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2017 wurden Regierungskreisen zufolge bereits 4,3 Millionen Gäste verzeichnet.

    Die meisten nutzen die derzeitigen Schnäppchenpreise für Badeurlaub am Roten Meer. Der Klassiker unter den Ägypten-Reisen, die Nil-Kreuzfahrt, erhole sich nicht ganz so schnell, sagt Eva-Maria Schlosser vom Reiseveranstalter FTI. Von etwa 300 Kreuzfahrtschiffen ist ihr zufolge in diesem Jahr etwa ein Drittel unterwegs. Immerhin: 2016 seien es gerade einmal 30 gewesen.

    Die Gäste kommen also zurück – aber langsam. Für die Touristen, die eine Kreuzfahrt auf Afrikas längstem Strom machen, ist das von Vorteil. Die Besuche im Tal der Könige, in Abu Simbel oder anderen Tempeln verlaufen ganz entspannt. Kaum Gedränge, kein Geschubse. Wenn sich einmal eine Menschentraube bildet, verläuft diese sich schnell wieder.

    Tag eins: einsam im Tal der Könige

    So auch hier im Tal der Könige, dem sagenumwobenen Ort, an dem das viertägige Programm der Kreuzfahrt Luxor–Assuan–Luxor beginnt. Knubbelten sich die Besucher am Tal-Eingang noch kurz, um einen Platz in der kleinen Bahn zu erwischen, die zu den Grabstätten fährt, ist von einem Gedränge in den Gräbern selbst nur wenig zu merken. Ganz allein, so wie es vor einigen Jahren gewesen sein muss, sind die Besucher zwar nicht. Aber wer sich tatsächlich darüber beschweren würde, dass ab und an ein anderer Gast vorbeigelassen werden will, während man versunken die antiken Inschriften an Wänden und Decken betrachtet, der war wohl noch nie an einer wirklich überlaufenen Sehenswürdigkeit.

    Die Memnon-Kollosse auf dem Weg ins Tal der Könige.
    Die Memnon-Kollosse auf dem Weg ins Tal der Könige. Foto: Sandra Liermann

    Ein ähnliches Bild am Terrassentempel der Pharaonin Hatschepsut. Über die breite Kalksteinrampe geht es hoch zu den Pfeilerhallen, die von riesigen Osiris-Statuen gesäumt werden. Auch hier findet jeder Besucher genügend Platz, um sich die detaillierten Zeichnungen und Fresken in Ruhe anzuschauen, zwischen den Säulen umherzuwandern oder Selfies mit altägyptischen Götterstatuen zu schießen. Wer sich umdreht, kann den Blick über das sattgrüne Niltal schweifen lassen und sich in die Zeit der wagemutigen Entdecker aus dem 19. Jahrhundert zurückversetzen.

    Wenige Kilometer südlich, an den Memnon-Kolossen, sind ganze vier Besucher an den 20 Meter hohen und je 700 Tonnen schweren Statuen unterwegs, die König Amenophis III. darstellen. Händler, die versuchen, Tücher, Ketten oder Alabaster-Statuen an den Touristen zu bringen, sind hier – wie an einigen Stationen dieser Reise – in der Überzahl.

    Tag zwei: Energie am Assuan-Staudamm

    Nachdem der erste Tag auf dem Schiffsdeck zwischen vorbeiziehenden Palmenhainen, Zuckerrohrfeldern und den westlichen Ausläufern der Sahara ausgeklungen ist, erwachen die Gäste am nächsten Morgen in Assuan. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Überlegungen angestellt, wie den ägyptischen Feldern auch bei niedrigen Flusspegeln Wasser zugeführt werden kann. Nach einem kleineren Vorgängerdamm begannen 1960 die Bauarbeiten für den weltbekannten Assuan-Staudamm, der den Nil im Süden Ägyptens in den rund 500 Kilometer langen Nasser-Stausee verwandelte. Bis in den Sudan ragt er hinein.

    Die Vorteile des Staudamms liegen auf der Hand: Rund 13 Prozent des ägyptischen Energiebedarfs werden durch das integrierte Kraftwerk gedeckt. Überschwemmungsprobleme und Dürren sind eingedämmt. Bis heute sind hunderttausende Hektar neues Ackerland entstanden. Doch der Damm hat auch negative Folgen: 80.000 Nubier, ein Volk aus Süd-Ägypten und dem Sudan, mussten umgesiedelt werden. Ein Großteil ihrer Kultur ist verlorengegangen, viele Monumente sind im Nassersee versunken. „Einige Tempel wird man wohl nie wieder sehen“, erklärt Reiseführer Awad Shafik.

    Durch biblische Landschaften: auf dem Nil unterwegs. 
    Durch biblische Landschaften: auf dem Nil unterwegs.  Foto: Sandra Liermann

    Andere wurden aufwendig versetzt, so auch der Philae-Tempel. Ende der Siebzigerjahre wurde der Tempel auf der heute überfluteten Insel Philae abgebaut und etwa 600 Meter entfernt auf der Insel Agilkia neu errichtet. Auch hier verlaufen sich die Touristengruppen schnell, zeitweise hat man das Gefühl, ganz allein zwischen den jahrtausendealten Inschriften durch den Tempel der Göttin Isis zu wandeln.

    Das Gefühl des Alleinseins vergeht auch am Nachmittag nicht. Ein kleines Motorboot schlängelt sich durch den ersten Nil-Katarakt. Diese natürlich gewachsene Granitbarriere macht den Strom für größere Schiffe unpassierbar, immer wieder erheben sich spitze Felsen aus dem Wasser. Graureiher, Eisvögel, Ibisse tummeln sich im Schilf. Nur das Knattern des Bootsmotors durchschneidet die Stille. Wie ein silberner Teppich breitet sich der Nil hier aus. Am Ufer erheben sich hohe Sanddünen: Sahara-Ausläufer. Auf Dromedaren können sich Touristen in die Wüste hineinführen lassen. Eine kleine Gruppe ist gerade losgezogen. Der Großteil der Tiere kann heute im Schatten liegen bleiben und weiterdösen.

    Tag drei: Ziel Abu Simbel

    Um 3.45 Uhr endet die Nacht. So eine Kulturreise ist eben nicht nur gemütlich. 250 Kilometer, drei Stunden Fahrt über die Wüstenautobahn in Richtung Süden, liegen vor den Reisenden. Das Ziel: Abu Simbel. Hier, dreißig Kilometer von der sudanesischen Grenze entfernt, steht der Felsentempel Ramses’ II.

    Der imposante Tempel von Abu Simbel.
    Der imposante Tempel von Abu Simbel. Foto: Sandra Liermann

    Bevor sich irgendjemand der Weltkulturerbestätte nähern darf, stehen jedoch auch hier Sicherheitskontrollen an. Seit einigen Jahren sind die Vorkehrungen sehr hoch. Wie an Flughäfen gibt es an fast allen Monumenten Sicherheitsschleusen und Taschenkontrollen. Die ägyptische Regierung tut viel, um die Touristen trotz einiger Anschläge in den vergangenen Jahren ins Land zu locken. Das Tourismusministerium subventioniert weiterhin Charterflüge, um über ein oft unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis wieder an frühere Zeiten anzuknüpfen, und fährt nationale und internationale Kampagnen, um zu vermitteln: Ägypten ist ein sicheres Reiseziel.

    Ein langer, gewundener Weg führt zur Tempelanlage. Rechts der Nassersee, links zunächst Steinhaufen. Doch plötzlich rückt die erste Statue in den Blickwinkel, die zweite, deren Kopf abgebrochen im Sand liegt, die dritte, die vierte. Majestätisch erheben sie sich vor dem Felsentempel. Mit ein wenig Geduld gelingen Fotos, auf denen keine Menschenseele zu sehen ist.

    Heute liegt die Anlage etwa 60 Meter höher als zu ihrer Bauzeit. Wissenschaftler und Ingenieure arbeiteten in den Sechzigerjahren daran, den Tempel von Pharao Ramses II. und den kleineren Hathortempel seiner Gemahlin Nefetari vor dem buchstäblichen Untergang im Nassersee zu retten. In seinem Tempel ließ Ramses II. sich wie ein Gott verewigen, so auch in den vier Felsstatuen vor dem Tempel. Auf den Wänden im Inneren ist immer wieder der Pharao zu sehen, wie er Streitwägen führt, Gegner tötet, Gefangene vorführt. Dass der Tempel in tausende Einzelteile zersägt, abtransportiert und an dieser Stelle wieder aufgebaut wurde, ist in den immer enger zulaufenden Räumen schnell vergessen. Die Felskuppe oberhalb des Tempels thront auf einer riesigen Stahlkappe. Sie ist künstlich angelegt worden, um dem Bauwerk sein ursprüngliches Äußeres wiederzugeben.

    Noch völlig baff von der altägyptischen architektonischen Meisterleistung und den Anstrengungen, um den Tempel zu retten, führt das Programm zurück nach Assuan. Denn heute geht es wieder gen Norden, zum Ausgangspunkt der Reise. Gegen Mittag legt das Schiff ab, um am Abend den Doppeltempel von Kom Ombo anzusteuern. Obwohl alle Schiffsgäste gleichzeitig den beleuchteten Tempel erstürmen, herrscht kein unangenehmes Gedränge. Wer kurz wartet und andere Gruppen vorbeiziehen lässt, kann dem Reiseführer lauschen und aus selbst versuchen, Hieroglyphen zu entziffern.

    Abendstimmung in Kom Ombo.
    Abendstimmung in Kom Ombo. Foto: Sandra Liermann

    Tag vier: In Luxor Gedränge am Kai

    Luxor, hier endet die Nilkreuzfahrt. Ganz zum Schluss, herrscht erstmals so etwas wie Gedränge am Kai. Nein, keine Touristentraube. Eine Schiffstraube, sozusagen. Sechs Stück liegen nebeneinander. Wer an Land möchte, muss die anderen Lobbys durchqueren. Nicht alle Schiffe sind gerade in Betrieb. Aber, und man mag den Ägyptern wünschen, dass dies ein Symbol für den Tourismus im Land ist: Eines wird gerade saniert – für all die Gäste, die in Zukunft wieder kommen.

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