Es ist noch gar nicht so lange her, da hat Jessalyn der Welt ihre neuen Lieblingsschuhe präsentiert. Eine halbe Million Menschen kennt seitdem das Video, in dem sie vor ihrem weißen Kinderzimmerregal sitzt und die rosafarbenen Adidas-Sneaker zwischen ihren Händen hin und her dreht. „Ganz weich“ fühlen sich die Schuhe an, sagt sie da zum Beispiel, und dass das Logo des Sportartikelherstellers sie „ein bisschen an eine Tulpe“ erinnere.
Jessalyn Grace ist zehn Jahre alt und ein Youtube-Star. Hunderttausende Menschen sehen dem Mädchen aus Kalifornien regelmäßig zu, wenn es mit Einkaufstüten beladen vor die Kamera tritt und neue Hosen, Jacken oder Kleider präsentiert.
Sie ist ein Stil-Vorbild für eine Generation, die ihre Trends in erster Linie im Internet findet. Smartphones und Tablets bringen die Konsumwelt immer früher ins Kinderzimmer – und stellen Mütter und Väter vor die Herausforderung, ihren Kindern trotz allem den Blick für die Realität zu bewahren.
Auch gebrauchte Schuhe können getragen werden
Über diese Probleme tauschen sich viele Eltern dort aus, wo auch ihr Nachwuchs seine Inspiration findet: im Internet. „Mache ich meinen Sohn zum Außenseiter, wenn ich ihm keine Markenklamotten kaufe?!?“, fragt eine Mutter in einem Erziehungsforum, eine andere gesteht, dass sie den Gedanken nicht mag, ihrem Kind gebrauchte Kleidung anzuziehen. Ist das übertrieben? Oder muss es wirklich immer der neue Strampler sein, das neue Kleidchen oder die neue Jeans?
Judith Bösch hat dazu eine ziemlich klare Meinung – zumindest, wenn es um Kleinkinder geht. Sie sagt: Natürlich fühlten sich viele Mütter von der Babyabteilung und den niedlichen Sachen rund ums Baby wie magisch angezogen. Da die Säuglinge rasend schnell wachsen, lohnte es sich aber kaum, dauernd neue Sachen zu kaufen, betont Bösch, Autorin des Buchs „Ratgeber und Begleiter für werdende Eltern“. Wer Geld sparen möchte, sollte sich deshalb von Freunden oder Bekannten mit gebrauchter Kinderkleidung versorgen lassen. Auch auf Flohmärkten, in Secondhandläden oder Kleiderbasars würden viele Eltern fündig.
Einzig bei Schuhen warnen Experten immer mal wieder davor, auf gebrauchte Exemplare zurückzugreifen. Der Grund: Wird der Schuh oft getragen, passe er sich schnell an den Fuß des Trägers an und sei dann für spätere Besitzer oft ungeeignet. Wieland Kinz vom österreichischen Forschungsteam Kinderfüße-Kinderschuhe widerspricht allerdings: Jahrzehntelang habe man Eltern eingeredet, gebrauchte Schuhe seien nicht gut für ihre Kinder. Solange sie allerdings nicht zu kurz seien oder der Schuh an der Ferse nicht einseitig abgelaufen, könne man sie ohne Probleme weitergeben, betont der Experte.
Eltern müssen Konsum-Wünsche ihrer Kinder vernünftig behandeln
Je älter ein Kind wird, desto schwieriger wird es für Eltern allerdings, über den Kleiderschrank zu bestimmen. Die Augsburger Diplom-Pädagogin Christine Opitz beschäftigt sich intensiv mit den Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen. In der Pubertät, betont sie, nimmt der Einfluss von Gleichaltrigen zu. Plötzlich sind Hosen, T-Shirts oder Schuhe keine bloßen Kleidungsstücke mehr, sondern eine Möglichkeit, sich Anerkennung in der Gruppe zu verschaffen, zu sagen: „Ich bin jemand!“ Dazu kommen Trends aus dem Internet, bestimmte Marken, die auf einmal angesagt sind.
Viele Eltern stellt das vor ein Problem: Denn einerseits wollen sie ihren Kindern ihre Wünsche erfüllen, andererseits wollen sie sich aber auch nicht in Unkosten stürzen oder übermäßigen Konsum unterstützen. Opitz rät zu einem gesunden Mittelmaß. „Eltern dürfen ihren Kindern durchaus mal entgegenkommen, allerdings sollten sie es nicht immer tun.“ Ähnlich sieht das auch Elke Lesser, die mehrere Ratgeber zu dem Thema verfasst hat. Eltern müssen ihrer Meinung nach aus dem „uferlosen Wünscheland der Kinder eine Auswahl treffen, die der Vernunft gehorcht“. Dazu kann aber auch gehören, dem Nachwuchs ab und zu etwas zu kaufen, das „in“ ist. „Ein Kind muss mit den anderen Kindern auskommen, und Freundschaften laufen heute, leider, auch über attraktiven Besitz.“
Expertin Christine Opitz ist allerdings der Meinung, dass Kinder und Jugendliche für die Erfüllung von teuren Wünschen auch selbst etwas tun müssen. Eltern könnten sie ermutigen, für die teure Jeans oder das angesagte T-Shirt über längere Zeit ihr Taschengeld zu sparen oder sich durch kleinere Jobs im Haushalt das Geld zu verdienen.
Am Wichtigsten ist es nach Opitz’ Meinung aber, das Kind in seinem Selbstwertgefühl so sehr zu stärken, dass es lernt, sich nicht ausschließlich über angesagte Kleidung oder bestimmte Marken zu definieren. „Es ist entscheidend, wie die Eltern selbst damit umgehen.“ Legen Mutter und Vater viel Wert auf Statussymbole, ist es Opitz zufolge entsprechend schwer, die Kinder vom Gegenteil zu überzeugen.