Greift ein Arbeitnehmer einem Kollegen absichtlich an die Hoden, kann er fristlos gekündigt werden. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. Die absichtliche Berührung der weiblichen Brust oder der Geschlechtsteile eines Anderen gilt immer als sexuelle Belästigung und kann am Arbeitsplatz daher die Kündigung nach sich ziehen. Auf eine sexuelle Motivation der Berührung kommt es dabei nicht an, stellte das Gericht in einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil klar (lesen Sie hier das komplette Urteil nach). Zuvor hielt das das Landearbeitsgericht Bremen die Kündigung für unbegründet. Eine Abmahnung hätte ausgereicht.
Mit der Entscheidung der höheren Instanz verliert ein Arbeiter aus Bremen voraussichtlich seinen Arbeitsplatz bei einem Stahlwerk. Er war zusammen mit zwei Leiharbeitern bei der Verpackung und Etikettierung von Bandstahlrollen eingesetzt. Im Oktober 2014 beschwerte sich einer der Leiharbeiter, der festangestellte Kollege habe ihm schmerzhaft von hinten in den Schritt gegriffen. Der Griff war derart heftig, dass der Leiharbeiter vorsorglich zu einer Untersuchung ins Krankenhaus geschickt wurde.
Der Arbeitgeber hörte den Mitarbeiter an und schickte ihm danach mit Zustimmung des Betriebsrats die Kündigung.
Arbeitgeber muss vor sexuellen Belästigungen schützen
Wie nun das BAG entschied, ist die Kündigung in solchen Fällen grundsätzlich gerechtfertigt. Zur Begründung verwiesen die Erfurter Richter auf die gesetzliche Pflicht der Arbeitgeber, ihre Beschäftigten, auch Leiharbeiter, vor sexueller Belästigung zu schützen.
Dabei sei die absichtliche Berührung von Geschlechtsteilen oder der Brust einer Frau in jedem Fall ein Eingriff in die Intimsphäre und daher auch eine sexuelle Belästigung. Das gelte auch, wenn die Berührung nicht sexuell motiviert sei.
"Eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist vielmehr häufig Ausdruck von Hierarchien und Machtausübung und weniger von sexuell bestimmter Lust", heißt es in dem Urteil unter Bezug auf entsprechende Studien. Entscheidend sei, ob die Würde des Opfers verletzt wird. Dies könne durch eine sexuelle Absicht, aber unabhängig davon auch durch die Tat selbst geschehen. Eine sexuelle Belästigung könne daher auch dann vorliegen, wenn der Täter keine entsprechende Absicht hatte. Auch sei es nicht erforderlich, dass das Opfer vorher deutlich gemacht hat, dass es die Berührung nicht wünscht.
BAG: Sexuelle Belästigungen müssen nicht sexuell gemeint sein
Hier sei der Leiharbeiter klar gedemütigt worden. Auch wenn die anschließende Bemerkung, er habe "dicke Eier", angeblich als Anerkennung gemeint war, habe dies die Demütigung noch verstärkt. Dass der festangestellte Arbeiter damit keine sexuelle Belästigung begehen wollte, spiele keine Rolle, betonte das BAG.
Das Landesarbeitsgericht Bremen soll nun lediglich noch prüfen, ob der Arbeiter gewichtige soziale Gründe anführen kann, die schwerer wiegen als das berechtigte Kündigungsinteresse des Arbeitgebers. AZ/AFP