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Kreuzfahrt: Seekrank unter Alphornbläsern

Kreuzfahrt

Seekrank unter Alphornbläsern

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    Eine Kreuzfahrt, die ist lustig? Nicht immer.
    Eine Kreuzfahrt, die ist lustig? Nicht immer. Foto: Michael Zehender, dpa

    Ein Urlauber klagt: Beim Ankerlassen bei schwerer See kommt es zu lauten Schlägen. Was nun? „Keine Preisminderung. Schiffstypische Geräusche sind entschädigungslos hinzunehmen.“ Ein Schiff darf also klingen wie ein Schiff. Aber darf es auch so aussehen wie ein Schiff? Die Reling auf einem Kreuzfahrtschiff ist unansehnlich, da vom Meersalz angegriffen. Und nun? „Keine Preisminderung.“

    Auch wenn der spröde Titel „Würzburger Tabelle“ es wirklich nicht vermuten lässt – dies ist bester, unterhaltsamer, gelegentlich gruseliger Lesestoff. Ein Gesellschaftsroman von Bord der Fluss- und Kreuzfahrtschiffe. 2015 machten 2,2 Millionen deutsche Pauschalreisende Urlaub auf einem Schiff. Auch auf dem Wasser ist das wahre Leben, und da kommt es bekanntlich oft anders als gedacht. Verfasst, bzw. aus Gerichtsurteilen zusammengestellt ist das Werk von dem Würzburger Rechtsanwalt Kay P. Rodegra, was wiederum ein schöner Autorenname ist für ein Logbuch der menschlichen Abgründe.

    Ein Schiff, das lernt man bei der Lektüre, ist ein Ort, auf dem vom Einschiffen bis zum Untergang zur Not jeder gegen jeden kämpft, vor allem aber der Gast gegen den Reiseveranstalter. Es geht dabei letztlich immer nur um das eine: Geld. Und damit um Entschädigung. Nachlass. Preisminderung. Rückzahlung. Was tatsächlich ein Reisemangel ist und was bloß für einen solchen gehalten wird – genau das sortiert die Würzburger Tabelle mit erfrischender Sachlichkeit auseinander. Das geht schon beim Anflug auf den Hafen los. Bei einem nächtlichen Langstreckenflug fühlt sich ein Passagier durch schnarchende andere Fluggäste gestört. „Eine reine Unannehmlichkeit.“ Doch irgendwo ist ja wohl Schluss. Ein Urlauber bucht den Anflug in der Economy-Klasse. Die Lehne des Vordersitzes biegt sich aufgrund eines übergewichtigen Vordermannes fünf bis zehn Zentimeter weiter nach hinten als vorgesehen. Der Sitzraum des Urlaubers wird dadurch stark beengt. Amtsgericht Frankfurt: „Anspruch auf Rückzahlung von 50 Prozent des Ticketpreises.“ Na also, geht doch.

    Jodeln in der Karibik?

    Alle Beispiele beruhen nicht nur auf Beschwerden, sondern auf Gerichtsurteilen. Auch diese Fälle, die sich mit „zur falschen Zeit am falschen Ort“ zusammenfassen lassen: Statt auf dem gebuchten Schiff, das für junge Menschen bis 25 Jahren konzipiert ist, wird ein Passagier auf ein Schiff umgebucht, das von Gästen über 75 Jahren bevorzugt wird. Oh. Und? „Preisminderung bzw. Kündigung des Reisevertrags möglich wegen Reisemangel.“ Die Hölle, das sind die anderen. Und man kann auf einem Schiff schlecht flüchten. Auf einer Karibikkreuzfahrt mit 560 Passagieren gehören 500 einer Schweizer Folkloregruppe an. Das Unterhaltungsprogramm (Blasmusik, Jodeln, Trachtentänze, Alphornblasen etc.) bestimmt die Kreuzfahrt. Jodeln in der Karibik? Das klingt fast schon wieder nach Aufpreis wegen exotischem Mehrwert. Aber das Landgericht Frankfurt urteilte: 40 Prozent Minderung des Reisepreises.

    Auch auf dem Ozean ist es nicht anders als an Land: Du bist nicht allein, weshalb der Mitmensch, der Nachbar die Szenerie zwangsläufig mitprägt. Andere Passagiere konsumieren an Bord viel Alkohol und fallen unangenehm auf. Das ganz normale Urlaubsprogramm, sollte man meinen. Und genau das meint auch das Landgericht Kleve. „Keine Preisminderung. Im Zeitalter des Massentourismus stellt das schlechte Verhalten anderer Urlauber eine hinzunehmende Unannehmlichkeit dar.“ Hmmh. Im Restaurant klingeln ständig Mobiltelefone anderer Reisender. Geht denn da überhaupt jemand ran, wo doch alle betrunken sind? Das interessierte das Amtsgericht Potsdam nicht. Dem genügte die Feststellung: Handys und Massen und Tourismus sind ein Dreiklang – und klaglos hinzunehmen. Gibt’s denn wenigstens für schlampiges Auftreten der Mitreisenden irgendein Erbarmen in Form von Geld zurück? Mitreisende auf dem Traumschiff halten sich nicht an den üblichen Kleiderstil! Pech gehabt, sagen da die Gerichte. „Kein Passagier hat einen Anspruch in Bezug auf Charakter, Umgangsformen und Kleidungsstil von Mitreisenden.“ Ob das ein Freibrief für die Jogginghose beim Kapitäns-Dinner ist? Man müsste es drauf ankommen lassen. Aber Obacht. Es geht auch umgekehrt! Den Passagieren eines Kreuzfahrtschiffs gehobenen Standards wird vorgegeben, zum Abendessen eine lange Hose zu tragen. Zumutung? Nö. Mindeststandards der Etikette sind „kein Reisemangel – und es besteht wegen des Hosenzwangs kein Anspruch gegen den Reiseveranstalter“. Amtsgericht München, Punkt, aus. Ist eine Jogginghose eine lange Hose im Sinne des Reiserechts?

    Apropos Verlotterung: Auf einem Kreuzfahrtschiff sind viele Teppiche ausgefranst. Immerhin sind sie nicht verrostet, könnte man einwenden. Braucht’s aber gar nicht – den Versuch, mit den Teppichen was vom Reisepreis zurückzukriegen, hat das AG München auch so schon abgeschmettert. Was interessiert einen die Verschmutzung der Weltmeere, wenn es an Deck des Urlaubsschiffs schon so aussieht: Es finden sich Kippen, Trinkhalme u. a., die vom Wind aus Mülleimern herausgeweht werden und sich verteilen. Preisminderung: Null Euro. Aber zu den Kippen wäre noch etwas zu sagen! Nach der Buchung einer Reise wird auf dem gebuchten Schiff ein generelles Rauchverbot in den Kabinen eingeführt. Hallo? Geht’s noch? Geht nicht! Kostenfreier Rücktritt von der Reise möglich.

    Das Büffet - ein Schlachtfeld?

    Ein heikles Testfeld für Charakter und Umgangsformen ist natürlich das Büffet. Ein Schlachtfeld? Eine Wüste! Im Büffet-Restaurant eines Kreuzfahrtschiffs ist das Büffett durch andere Urlauber nach kurzer Zeit „verwüstet“. Na und, sagen die Gerichte – für das Verhalten Mitreisender ist der Veranstalter nicht verantwortlich. Wird man auf Kreuzfahrtschiffen gezwungen, aus Zeitmangel sein Frühstück herunterzuwürgen? Beschwerde: Die Frühstückszeit auf einem Schiff ist von 5 bis 10 Uhr begrenzt. Fünf Stunden reichen nicht? Reichen, sagt das Amtsgericht Stuttgart.

    Manieren sind das eine, stets nur lauwarme Speisen (5 Prozent Minderung des Reisepreises!) das andere. Aber die größte Reibungsfläche sind offenkundig die Ängste, Sorgen und Sicherheitserwartungen paranoider Passagiere, die das Schiff noch gar nicht betreten haben. Hier erreicht der Gesellschaftsroman von Kay P. Rodegra Spannungshöhepunkte. Nach den Terroranschlägen in New York vom 11. September 2001 stornierte eine Reisekundin ihre drei Wochen später startende Kreuzfahrt ab Nordamerika, da sie Ängste hatte. Der Reiseveranstalter verlangte Stornokosten. Zu Recht? Aber klar, sagte das Amtsgericht Hamburg-Blankenese. „Kein Anspruch gegen die Reiserücktrittskostenversicherung, da bloße Angstzustände (Sorgen) keinen Versicherungsfall darstellen.“

    Bloße Angstzustände – das ist schön gesagt. Auch „niedergedrückte Stimmung“ ist kein Grund, sein Geld zurückzuverlangen. Ein Ehepaar zerstreitet sich vor Beginn der Reise und tritt die Kreuzfahrt wegen niedergedrückter Stimmung nicht an. Höhe des Preisnachlasses nach einem Urteil des Amtsgerichts München: 0 %. Geht denn wenigstens was bei Seekrankheit auf See? Starker Seegang auf einer Kreuzfahrt, Windstärke 7, führt dazu, dass das Schiff schwankt. Ein Passagier wird seekrank und fordert eine Entschädigung. Ja, aber Moment mal …Genau. 0 Prozent. „Bei einer Kreuzfahrt lässt sich Wellengang nicht vermeiden. Ein Veranstalter übernimmt keine Gewähr dafür, dass eine Kreuzfahrt stets in ruhiger See erfolgt.“ Sätze von großer Abgeklärtheit sind das, ein Landgang auf festem juristischen Boden.

    Blutige Nasen

    Wie lebensnah und differenziert vor Gericht und auf Hoher See agiert wird, zeigen zwei Kapitel aus der Würzburger Tabelle, in denen es um blutige Nasen geht. Fall 1: Bei starkem Seegang schlägt eine Tür zu und verletzt einen Passagier. Was erlaube Wellen? Da macht man eine Kreuzfahrt auf dem Meer – und dann verhält sich das nicht ruhig! Hören wir das Landgericht Düsseldorf: „Kein Anspruch auf Preisminderung und Schadenersatz. Das Zuschlagen einer Tür bei Seegang gehört zum allgemeinen Lebensrisiko.“ Fall 2: Ein Passagier wird im Restaurant an der Nase verletzt (Risswunde am Nasenrücken), da ein Steward ihn versehentlich mit einem Tablett trifft. Allgemeines Lebensrisiko? Von wegen! „Die Risswunde, die mit einem Pflaster fixiert wurde, rechtfertig ein Schmerzensgeld von 300 Euro“, urteilt das Amtsgericht Rostock.

    Nichts erbost Reisende so sehr wie Dinge, die fehlen. Wasser zum Beispiel, auch das kann fehlen auf einer Kreuzfahrt. Ein zugesagter Pool an Deck ist nicht mit Wasser befüllt. Dann schwappt bei Seegang auch nichts über, könnte man erwidern. Egal. 5 Prozent Minderung des Reisepreises, sagt das Amtsgericht München. Nicht für jeden Passagier ist an Deck eines Flusskreuzfahrtschiffes ein Liegestuhl vorhanden. So ist das bei Reisen nach Jerusalem … – hat das Amtsgericht Düsseldorf natürlich nicht gesagt, sondern: Kein Geld zurück, es kann nicht erwartet werden, dass für alle Passagiere Liegestühle zur Verfügung stehen. Wie muss ein solcher Tatsachenroman aus der Urlaubswelt enden? Natürlich mit dem Wetter! Das war ziemlich schlecht beim Ablegen eines Kreuzfahrtschiffs in der Biskaya. Ein Reisemangel! Es bedurfte eines Machtworts des OLG Frankfurt. „Auf das Wetter hat der Reiseveranstalter keinen Einfluss.“

    Kay P. Rodegra: Mein Recht bei Kreuzfahrten. Inklusive Würzburger Tabelle. Koehler Verlag, 200 Seiten, 10 Euro

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