Augsburg Wo ihre Wähler wohnen, das wusste die CDU schon vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Einen entscheidenden Beitrag zum guten Abschneiden der Partei könnte eine neue Smartphone-App gespielt haben, mit welcher potenzielle Wähler gezielt ausgemacht werden können. Sie wertet große Datenmengen aus und verrät, an welchen Türen das Klingeln für Wahlkämpfer besonders lohnt. „Connect17“ heißt das Programm, mit dem die CDU den Straßenwahlkampf neu erfunden hat.
Allein in Nordrhein-Westfalen erreichte die Partei mit dem Programm nach eigenen Angaben mehr als 30000 Wähler. Wahlkämpfer können sich die App herunterladen, um zu sehen, wo ihre potenziellen Anhänger wohnen. Wähler finden in der App Informationen zum Wahlprogramm. Der Politikberater und Blogger Martin Fuchs sagt: „Eine solche App gab es in Deutschland bisher nicht.“ Zwar werden schon länger Programme zur Koordination des Wahlkampfs genutzt, „neu ist aber, dass Big Data so umfangreich im Tür-zu-Tür-Wahlkampf eingesetzt wird“.
Das Internet vergisst nicht. Mit jedem Klick lernt es dazu, jedes Like verrät etwas mehr über den Menschen vor dem Bildschirm. Wohin geht die nächste Reise? Welche Musik könnte gefallen? Und nun auch: Bei welcher Partei wird das Kreuz auf dem Wahlzettel stehen? Big Data nennen Marketingleute das Prinzip, unzählige Daten zu verknüpfen, um an zielgerichtete Informationen über den einzelnen Menschen zu gelangen. Ein Prinzip, das bereits im amerikanischen Wahlkampf eine große Rolle gespielt hat. Das Unternehmen „Cambridge Analytica“ wertete damals im Wahlkampf für Donald Trump Datenspuren von rund 220 Millionen US-Bürgern aus. Die Technik basierte unter anderem auf Facebook-Seiten, aber auch auf Kreditkarten-Abrechnungen und anderen persönlichen Daten. Auch hierzulande setzen die Parteien auf digitale Unterstützung – allerdings mit weitaus weniger differenzierten Daten.
Das CDU-Programm basiert auf den Ergebnissen früherer Wahlen und auf Adressdaten der Post-Tochter „Post direkt“. Die Firma verkauft Informationen zu Adressen. Welche das im Detail sind, ist ein gut gehütetes Geschäftsgeheimnis. Fuchs sagt: „Das sind unter anderem Daten zum Haushaltseinkommen, Geschlecht oder Alter der Wähler.“ Wahlkämpfer, welche die App nutzen, wissen also, in welchen Straßenzügen sich das Gespräch mit Wählern besonders lohnt. Denn wer eher konservativ lebt, ist leichter davon zu überzeugen, CDU zu wählen. Außerdem können die Wahlhelfer über die App Themen an die Parteizentrale melden, welche die Wähler besonders interessieren.
Die Partei kann darauf dann gezielt reagieren. „Wenn im Saarland viele Wähler den Mindestlohn ansprechen, könnte sich ein Facebook-Posting zum Thema lohnen“, erklärt der Blogger Fuchs. Und noch eine Funktion hat die App: Wahlkämpfer, die Haustürgespräche führen oder Facebook-Posts teilen, sammeln virtuelle Punkte. Die zehn Mitglieder mit den meisten Punkten dürfen nach der Wahl ein Telefongespräch mit der Parteichefin Angela Merkel führen. „Der Wettbewerb motiviert ungemein“, sagt Fuchs.
Andere Parteien nutzen solche Apps noch nicht. SPD, Grüne und Linke haben aber angekündigt, im Bundestagswahlkampf auf ähnliche Techniken zu setzen. Fuchs sagt: „Die anderen Parteien haben das bisher verschlafen.“ Er sieht den Wahlerfolg der CDU bei der „kleinen Bundestagswahl“ in NRW auch in der neuen App begründet. Der Partei sei es damit gelungen, Teile noch unentschlossener Wähler für sich zu gewinnen. „Wer weiß, wo er suchen muss, hat im Straßenwahlkampf einen entscheidenden Vorteil.“ Nun dürften andere Parteien im Cyberwahlkampf nachlegen.