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Cybermobbing: Der Psychoterror ist nicht zu stoppen

Cybermobbing

Der Psychoterror ist nicht zu stoppen

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    Cybermobbing kann jeden treffen (Symbolbild)
    Cybermobbing kann jeden treffen (Symbolbild) Foto: Foto: Symbolbild, dpa

    Seit Monaten sorgt eine Internetseite für Entsetzen und Angst bei Lehrern, Eltern und Schülern. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat das Portal, auf dem anonym bösartiger Klatsch verbreitet werden kann, vor einigen Tagen indiziert. Doch auch wenn deutsche Suchmaschinen sie nicht mehr finden, ist die Seite nach wie vor leicht zu erreichen, wenn der Nutzer die Adresse kennt. Zehntausende Besucher tummelten sich allein gestern Nachmittag in dem Portal. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter kritisiert die Indizierung als völlig unzureichend.

    „Ich zahle demjenigen, der diesen Typen hier krankenhausreif schlägt 300 Euro“, steht dort beispielsweise in einem Eintrag vom 28. März geschrieben, daneben ein Foto und eine vollständige Adresse. Gleich mehrere Personen müssen damit rechnen, ein „Klappmesser in den Wanst“ zu bekommen, wie ein Nutzer am Mittwoch ankündigte.

    Wo die Hetze hinführen kann, zeigte vor knapp zwei Wochen ein Fall in Berlin. Eine Gruppe Jugendlicher schlug einen 17-Jährigen bewusstlos, nur weil er mit den Jugendlichen über die Schmähungen, die seine Freundin auf dem Portal ertragen musste, sprechen wollte.

    Besonders schlimm attackiert wird in diesen Tagen auch eine Schülerin eines Thüringer Gymnasiums. Ein Nutzer verunglimpft sie mit einer ganzen Reihe von derben Beleidigungen. Dutzende weitere taten es ihm gleich, unterstellten dem Mädchen abartige sexuelle Praktiken und drohten offen mit Gewalt. „Ich bin entsetzt, ich kann es gar nicht ausdrücken“, sagt der stellvertretende Schulleiter des Gymnasiums unserer Zeitung, als er mit den hasserfüllten Zeilen konfrontiert wird. Die Seite habe er bislang nicht gekannt. „Fassungslos“ sei er, dass Schüler so etwas tun und dass es solche Portale überhaupt gebe. Der Vorfall soll nun „schulintern ausgewertet“ und das Thema im Ethikunterricht besprochen werden. Die Polizei sei bereits eingeschaltet worden, sagt er. Die Frage, wie es dem Mädchen geht, konnte er noch nicht beantworten.

    Die Polizei hat es schwer, den anonymen Pöblern auf die Schliche zu kommen. „Da die Vorratsdatenspeicherung vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden ist, hat die Polizei derzeit keine Möglichkeit, auf die Verbindungsdaten zuzugreifen“, sagt Bernd Carstensen, stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Wo der Server der Seite steht, ist ihm und seinen Kollegen offensichtlich noch immer nicht bekannt. Sie vermuten in Osteuropa. Opfern rät Carstensen, sofort die Polizei zu informieren. Mit einem richterlichen Beschluss bestehe zumindest grundsätzlich die Chance, dass der Anschlussinhaber identifiziert werden könne.

    Das umstrittene Klatsch-Portal beschäftigt auch den leitenden Oberstaatsanwalt Günter Wittig in Frankfurt am Main. „Die Ermittlungen gehen ganz massiv in Richtung der Betreiber“, sagt er. Diese hätten es von Anfang an auf „Konspiration und Verschleierung“ angelegt. Doch Wittig ist „verhalten optimistisch“, dass die Betreiber ausfindig gemacht und belangt werden. Doch auch die Nutzer machen sich strafbar, wenn sie im Netz beleidigen oder drohen. „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum“, betont Wittig. Die Betreiber selbst bezeichnen ihre Seite als „Plattform, die sich der freien Meinungsäußerung verschrieben hat“ und garantieren den Besuchern absolute Anonymität ohne „gesellschaftliche und staatliche Repression“.

    Gehetzt wird oft auch gegen Lehrer. Nach Einschätzung von Klaus Wenzel, dem Präsidenten des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, nutzen mehr Gymnasiasten als Hauptschüler das Portal. „Je selektiver eine Schule arbeitet, desto größer ist das Gefühl bei Schülern, ungerecht behandelt zu werden“, lautet Wenzels Erklärung. Das heißt also: Je größer der Druck ist, desto höher ist auch die Versagensangst. Ihren Frust versuchen manche Schüler dann durch aggressives Verhalten im Netz loszuwerden. Das Problem könne jedoch nicht juristisch, nur pädagogisch gelöst werden, sagt Wenzel.

    Auch unter den Schülern regt sich Widerstand. In einigen Schulen wurden Selbsthilfegruppen gegründet und Unterschriften gesammelt, die geschlossene Ablehnung demonstrieren sollen. Auch darüber, wie die Klatsch-Seite lahmgelegt werden könnte, diskutieren junge Menschen im Netz. Denn auf diese Art von Meinungsfreiheit, mit der die Betreiber werben, wollen sie gerne verzichten.

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