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Redtube-Abmahnungen: "Abzocke im großen Stil": Warum Abgemahnte nicht zahlen sollten

Redtube-Abmahnungen

"Abzocke im großen Stil": Warum Abgemahnte nicht zahlen sollten

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    Sind die Streaming-Abmahnungen der Kanzlei U+C tatsächlich rechtens? Nein, sagt der Augsburger Jurist Hagen Hild. Er rät zur Gegenwehr - und spricht von "Abzocke in großem Stil".
    Sind die Streaming-Abmahnungen der Kanzlei U+C tatsächlich rechtens? Nein, sagt der Augsburger Jurist Hagen Hild. Er rät zur Gegenwehr - und spricht von "Abzocke in großem Stil". Foto: Andrea Warnecke/dpa/Symbolbild

    Seit gut zwei Wochen sind die Abmahnungen der Regensburger Kanzlei Urmann + Collegen (U+C) Thema in ganz Deutschland. Die Anwälte haben zig-tausende Internetnutzer abgemahnt, weil diese Pornofilme auf dem US-Portal Redtube angesehen und damit gegen das Urheberrecht verstoßen haben sollen. Während Kanzlei-Inhaber Thomas Urmann schon weitere Abmahnungen ankündigt, werden inzwischen massive Zweifel laut, ob die Abmahnungen überhaupt berechtigt sind.

    Der Augsburger Rechtsanwalt Hagen Hild befasst sich in einem Gastbeitrag für augsburger-allgemeine.de mit den Ungereimtheiten der Abmahnwelle  - und kommt zu einem eindeutigen Schluss: "Wenig überraschend geht es bei den Porno-Streaming-Abmahnungen wohl nur um eine Abzocke im großen Stil":

    "Die Kanzlei U+C aus Regensburg sowie Rechtsanwalt Daniel Sebastian aus Berlin schockieren derzeit tausende Internet-Nutzer Abmahnungen wegen angeblicher Porno-Streamings bei Redtube.com. Begründet werden die Abmahnungen damit, dass die Nutzer angeblich einen urheberrechtlich geschützten Film, an dem die "The Archive AG" aus der Schweiz die Verwertungsrechte habe, illegal gestreamt und damit durch Zwischenspeichern gem. § 16 UrhG vervielfältigt hätten.

    Schadensersatz von 250 Euro ist Phantasiebetrag

    In der Abmahnung werden die Nutzer aufgefordert, neben der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung einen Schadensersatz in Höhe von 250 Euro  zu bezahlen: 169,50 Euro Rechtsanwaltskosten (149,50 Euro Rechtsanwaltskosten aus einem Streitwert von 1.080,50 Euro zuzüglich 20 Euro Postpauschale), 15,50 Euro Schadensersatz sowie 65 Euro für nicht näher aufgeschlüsselte Ermittlungen. Warum der Schaden 15,50 Euro betragen soll und wie hier 65 Euro pauschale Aufwendungen für die Ermittlung der Rechtsverletzungen zustande kommen sollen, dürften wohl allein die Rechtsanwälte von U+C wissen.

    Kurz gesagt, die U+C Rechtsanwälte haben hier einfach einmal Phantasiezahlen eingesetzt. Die tatsächlichen Kosten betragen keinesfalls 65 Euro, sondern allenfalls einen Bruchteil hiervon.

    Auch die Rechtsanwaltskosten für die Abmahnung wurden mit einem Streitwert von 1.080,50 Euro am oberen Limit angesetzt, da der Gesetzgeber mit dem Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken bei Abmahnungen den Streitwert auf (höchstens) 1.000 Euro für den Unterlassungsanspruch begrenzt hat. Vorliegend hat diesen U+C um 80,50 Euro wegen Schadensersatz und Aufwendungen für Ermittlungen erhöht, so dass diese insgesamt höhere Abmahnkosten berechnen.

    Allerdings ist eher fraglich, ob überhaupt ein Streitwert von 1.000 Euro anzusetzen wäre. Selbst wenn man unterstellen würde, Streaming sei eine Urheberrechtsverletzung, wäre aufgrund des geringen Verletzungsumfangs wohl allenfalls ein Streitwert bis 500 Euro anzusetzen, so dass die Abmahnkosten dann 78,50 Euro betragen würden. Insgesamt würde man so auf einen Gesamtschadensersatz von ca. 100 Euro kommen.

    Insofern beeindruckt, dass U+C auf genau 250 Euro  Schadensersatz gekommen sind. Dies dürfte aus Erfahrungen der Abmahnkanzleien im Filesharing begründet sein, wonach bei den meisten abgemahnten Nutzern eine Schmerzgrenze zur Zahlung bei 250 Euro liegt. Wie schön, dass dieser Wert aus Zufall genau erreicht wurde! Allein dies sagt schon viel über die Seriosität der Abmahnungen aus.

    Warum wurde Redtube selbst nicht abgemahnt?

    Die zentrale Frage lautet: Warum wurde Redtube selbst nicht abgemahnt? Prinzipiell macht es keinen Sinn den eigentlichen Rechtsverletzer nicht abzumahnen, stattdessen jedoch tausende von Nutzern, die vermutlich noch nicht einmal ahnten, dass Redtube anscheinend keine Rechte an den abgemahnten Filmen hatte. Oder liegt es daran, dass der „Gesamtschadensersatz“ bei 20.000 Abmahnungen zu je 250 Euro stolze fünf Millionen Euro beträgt?

    Bereits 2011 war die Kanzlei U+C aufgefallen, weil Sie offene Forderungen in Höhe von 90 Millionen Euro auf deren Webseite versteigerte. 2012 wurde U+C ein „Pornopranger“ verboten in dem diese auf einer Webseite Filesharing-Nutzer von Porno-Videos veröffentlichen wollten. Wenig überraschend geht es auch bei den Porno-Streaming-Abmahnungen wohl nur um eine Abzocke im großen Stil.

    Die Scham der Abgemahnten, sich noch vor Weihnachten unangenehmen Fragen durch die eigene Partnerin ausgesetzt zu sehen sowie die relativ geringe Forderung mit dem „ausgetesteten“ Wert 250 Euro sollen die abgemahnten Nutzer dabei zum schnellen Zahlen bewegen. Doch alle Betroffenen können aufatmen: trotz dieser Abmahnung wird das Weihnachtsfest nicht in Gefahr geraten, denn die Abmahnung ist aus vielerlei Sicht rechtswidrig.

    Streaming von Videos im Internet nicht per se unzulässig

    Zum einen steht schon oftmals gar nicht fest, ob sich die Abgemahnten selbst tatsächlich den Stream angesehen haben. Aber auch wenn andere Personen wie z.B. Familienangehörige das Internet mitbenutzen und dabei Videos per Streaming angesehen haben, haften die abgemahnten Anschlussinhaber jedenfalls nicht ohne weiteres.

    Aber selbst wenn der Abgemahnte tatsächlich das Video per Streaming angesehen haben sollte, wird hier - im Gegensatz zu sogenannten Tauschbörsen - das Video nur temporär auf der Festplatte gespeichert. Wenn der Benutzer die Daten bei Streaming auch nicht auf seiner Festplatte speichern kann, so ist doch für die Bildschirmdarstellung eine kurzfristige Festlegung erforderlich. Bei solchen Zwischenspeicherungen handelt es sich zwar begrifflich um Vervielfältigungen, diese sind aber nach § 44 a UrhG zulässig. Ob insofern Streaming  für die Bejahung eines Urheberrechtsverstoßes ausreicht, ist unter Juristen seit langem umstritten. Eine Klärung durch die Gerichte steht noch aus.

    Redtube-Streaming als zulässige Privatkopie

    Sofern es sich beim Streaming um eine Vervielfältigung gem. § 16 UrhG handeln sollte, dürfte ein Streaming bei Redtube dennoch eine zulässige Privatkopie darstellen. § 53 Abs. 1 UrhG regelt, dass eine Privatkopie nur dann nicht zulässig ist, wenn hierfür „eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wird“. Bei Videoportalen wie Redtube muss der Nutzer jedoch davon ausgehen, dass die Angebote vom Anbieter des Redtube-Portals stammen. In Bereich Porno-Videoportale ist es nicht unüblich dem Nutzer zum „Anlocken“ kostenlose Filme anzubieten.

    Wurden Auskunftsbeschlüsse rechtwidrig erwirkt?

    Um die Nutzer hinter den IP-Adressen zu ermitteln wurden von Rechtsanwalt Daniel Sebastian vor dem Landgericht Köln in verschiedenen Verfahren zivilrechtliche Auskunftsansprüche geltend gemacht. Dort sollten von der Telekom die Verkehrsdaten zu den IP-Adressen, also die Anschrift der Nutzer, herausgegeben werden. Laut Gerichtssprecher Dr. Christian Hoppe vom Landgericht Köln hat „The Archive AG“ im Jahr 2013 bereits rund 100 solcher Anträge gestellt hat. Dort werden jeweils Pakete mit 400 bis 1.000 IP-Adressen abgefragt. In einigen Verfahren wurden von Richtern des LG Köln die Herausgabe der Daten abgelehnt. In diesen Fällen hat Rechtsanwalt Daniel Sebastian anscheinend die Anträge zurückgenommen, wohl um zu vermeiden, dass eine abweisende Entscheidung an die Öffentlichkeit gelangen könnte. Über 60 Anträgen wurde jedoch wohl stattgegeben.

    Noch ist nicht klar, ob die Gerichte von Rechtsanwalt Daniel Sebastian darüber getäuscht wurden, dass es sich um Daten wegen Streamings von Dateien und gerade nicht um ein öffentliches Zugänglichmachen gem. § 19a UrhG von Dateien im Rahmen von Tauschbörsen handelte. In einem uns vorliegenden Antrag ist jedenfalls von „Downloadportalen“ die Rede. Dies dürfte jedenfalls auf redtube.com für Fälle des Streamings nicht zutreffen. In diesem Fall könnte sogar ein strafbarer Prozessbetrug vorliegen.

    Schadensersatz für Abgemahnte möglich

    Ebenso ist möglich, dass den Richtern gar nicht bewusst war, dass es sich um Daten wegen Streamings von Dateien und gerade nicht um ein öffentliches Zugänglichmachen gem. § 19a UrhG von Dateien im Rahmen von Tauschbörsen handelte oder diese den Unterschied nicht kannten. Wenn man hier zum Ergebnis kommt, dass Streaming keine Urheberrechtsverletzung darstellt, hätten keine Auskunftsbeschlüsse ergehen dürfen. In diesem Fall hätten abgemahnte Nutzer unter Umständen sogar Schadensersatzansprüche gegen das Land Nordrhein-Westfalen wegen Amtspflichtverletzung und könnten hier Kosten der Abmahnung als Schadensersatzansprüche geltend machen.

    Woher haben die U+C Anwälte die IP-Adressen der Abgemahnten?

    Bislang ist die Frage überhaupt nicht geklärt, wie Rechtsanwalt Daniel Sebastian und somit die U+C Rechtsanwälte an die IP-Adressen der abgemahnten Redtube-Nutzer gelangt sind. Anders als in einer Tauschbörse sind diese IP-Adressen bei Redtube.com gar nicht öffentlich einsehbar. Redtube selbst hat auch angegeben keine IP-Adressen von Nutzern herausgegeben zu haben.

    Bislang bestehen lediglich Vermutungen, wie man an die IP-Adressen gelangt ist: zum einen wird angenommen, dass die IP-Adresse mittels einer Software namens GLADII 1.1.3 abgefangen wurde, zum anderen besteht die Vermutung eines Trojaners, der per E-Mail versandt wurde oder anderer Malware, also eines Schadprogramms. Außerdem wird darüber spekuliert, dass die IP-Adresse über Werbebanner protokolliert worden sein könnte. Schließlich besteht die Möglichkeit, dass Nutzer über manipulierte Links oder Domains auf redtube.com umgeleitet wurden. So leitet beispielsweise die Vertipper-Domain retdube.net, die am 21.07.2013 auf eine anonyme Postfachadresse in Panama registriert wurde, auf die Webseite von redtube.com weiter. So könnten Nutzer auf eine Drittseite zwangsumgeleitet worden sein, auf welcher die IP-Adresse der Nutzer protokolliert wurde. Von dort aus wurden die Nutzer dann wieder auf Redtube.com umgeleitet, ohne dass dies von den Nutzern erkannt werden konnte.

    Vorliegend wäre sogar denkbar, dass die IP-Adressen schlichtweg erfunden wurden, bzw. auf gänzlich anderen Webseiten ermittelt wurden, obwohl die Betroffenen die Redtube-Webseite gar nicht aufgesucht haben.

    Auskunft fordern und Abmahner unter Druck setzen

    Nach § 34 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) haben die Abgemahnten einen Auskunftsanspruch über die zu seiner Person gespeicherten Daten, auch soweit sie sich auf die Herkunft dieser Daten beziehen. Dies betrifft auch gem. § 28 BDSG gespeicherte Daten. Zusätzlich sollten die Datenschutzbehörden informiert werden. Vorliegend dürften die Rechtsanwälte von U+C und Rechtsanwalt Daniel Sebastian in gewisse Erklärungsnot kommen.

    Selbst wenn diese die Auskünfte erbringen könnten - was nach dem oben aufgeführten unwahrscheinlich ist - dürften diese die Auskünfte nicht innerhalb der gesetzten Frist erbringen können, wenn eine Vielzahl von Abgemahnten Auskunftsansprüche geltend macht. Dies ist tatsächlich eine Möglichkeit die Anwälte zeitlich und finanziell unter Druck zu bringen. Vielleicht ist dies letztlich die effektivste Möglichkeit Streaming-Abmahnungen für die Zukunft zu verhindern, bevor sich diese etablieren.

    Darüber hinaus kann die Datenschutzbehörde gem. § 43 BDSG ein Bußgeld verhängen, wenn keine oder keine korrekte Auskunft über die Daten gem. § 28 BDSG erteilt wird.

    Strafbares Ausspähen von Daten?

    Stellt sich heraus, dass Daten ohne Wissen der Abgemahnten ausgespäht wurden, liegt ein strafbares Ausspähen von Daten gem. § 202a StGB vor. Dies wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Es empfiehlt sich daher zusätzlich Strafanzeige zu erstatten.

    Bestehen Schadensersatzansprüche wenn die Abmahnung unberechtigt war?

    Ist die Abmahnung unberechtigt, hat der unberechtigt Abgemahnte gem. § 97a Abs. 4 UrhG Anspruch auf Erstattung seiner Kosten, also auch beispielsweise der eigenen Rechtsanwaltskosten. Doch gegen wen? The Archive AG in der Schweiz?

    Es ist wohl kein Zufall, dass eine Schweizer AG vorliegend Urheberrechte geltend macht. Aus unserer Erfahrung lohnt sich aufgrund der hohen Vollstreckungskosten eine Vollstreckung in der Schweiz erst ab einem fünfstelligen Betrag. Damit läuft der Anspruch ins Leere. Ebenso lassen sich in der Schweiz AGs schnell liquidieren. Die Rechte werden dann vermutlich schnell auf eine weitere Schweizer AG übertragen.

    Schadensersatzansprüche gegen die Anwälte bestehen hingegen erst, wenn den Rechtsanwälten U+C oder Rechtsanwalt Daniel Sebastian Straftaten nachgewiesen werden können oder diese zum Zeitpunkt der Abmahnungen wussten, dass die Abmahnung der Firma „The Archive AG“ unberechtigt war.

    Kostenloses Antwortschreiben veröffentlicht

    Auch wenn die massenhaft versendeten Abmahnungen aus den dargestellten Gründen als unwirksam anzusehen sind, ist den Betroffenen zu empfehlen, die auf dem Postweg zugesandten Abmahnungen nicht einfach liegen zu lassen.

    Andere Kanzleien berichten schon, dass sie hunderte Abgemahnte vertreten und bieten den Betroffenen die rechtliche Vertretung in diesen Fällen nach eigenen Angaben zu Pauschalpreisen zwischen 300,00 € und 500,00 € an. Viele Abgemahnte können sich jedoch kurz vor Weihnachten weder die Kosten der Abmahnung, noch die Vertretung durch einen Rechtsanwalt leisten. Andere Abgemahnte bezahlen, weil oftmals die eigenen Anwaltskosten höher sind, als der geforderte Betrag. Darauf spekulieren die abmahnenden Anwälte.

    Für alle Betroffenen der Redtube-Abmahnungen hat die Anwaltskanzlei Hild & Kollegen ein kostenloses Antwortschreiben zum Download über Facebook erstellt. Das Antwortschreiben ersetzt selbstverständlich keine Rechtsberatung im Einzelfall, soll jedoch den Betroffenen die Möglichkeit eröffnen, sich selbst und dennoch effektiv und ohne weitere Kosten gegen die Abmahnung zur Wehr zu setzen."

    Zur Person

    Rechtsanwalt Hagen Hild aus Augsburg.
    Rechtsanwalt Hagen Hild aus Augsburg. Foto: privat

    Rechtsanwalt Hagen Hild ist Inhaber der Anwaltskanzlei Hild & Kollegen unter www.kanzlei.biz. Die Augsburger Kanzlei ist seit 2001 im Bereich Internet, IT und Gewerblicher Rechtsschutz tätig. Hagen Hild ist Fachanwalt IT-Recht und Fachanwalt Gewerblicher Rechtsschutz.

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