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Allgäu: Zell bei Oberstaufen: Wo die "Ur-Allgäuer" leben

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Zell bei Oberstaufen: Wo die "Ur-Allgäuer" leben

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    Zell. So heißt sie also. Die Urzelle des Allgäus.
    Zell. So heißt sie also. Die Urzelle des Allgäus. Foto: Matthias Becker

    Zell. So heißt sie also. Die Urzelle des Allgäus. So, als wäre der Name des Oberallgäuer Weilers ein Stück weit Programm. Stolze 1200 Jahre alt ist der winzige Ortsteil von Oberstaufen. Und geschichtsträchtig dazu. Denn als ein alamannischer Adeliger namens Wisirich die Siedlung am 7. Februar 817 dem Kloster St. Gallen schenkte, tauchte in der Urkunde zum allerersten Mal das Wort „Albgau“, also Allgäu, auf. In einem gewissen Sinne kann man Zell also als Urzelle des Allgäus ansehen. Auch wenn diese Argumentation ein bisschen hinkt. Aber dazu später.

    Wie leben nun die Nachfahren heute? Ist ihnen klar, an welch bedeutendem Ort sie wohnen? Wissen sie überhaupt etwas von jenem Wisirich und seiner Schenkung an das St. Galler Kloster? Das wollen wir mit einer Spurensuche klären – bei den „Ur-Allgäuern“ in Zell.

    Irmgard Freidl lebt schon immer in Zell. Und kennt hier jeden der 54 Einwohner. Zum Teil sogar ziemlich hautnah. Denn die 54-Jährige betreibt im Ort einen Friseursalon und hat den einen oder anderen Zeller als Kunden. Aber: Wie kann sich denn ein Friseursalon in einem so kleinen Dorf mit gerade einmal zwölf Häusern halten? „Nein, die Zeller gehen nicht öfter als andere Leute zum Haareschneiden“, sagt Irmgard Freidl und lächelt. Ihre Kunden kommen auch aus dem nur zwei oder drei Kilometer entfernten Oberstaufen. Viele sind Urlauber.

    Zell hat 54 Einwohner - und einen Friseursalon

    „Das Leben ist einfach wunderbar hier“, sagt Irmgard Freidl. Wenn man sich an diesem kalten Wintertag umschaut, dann will man ihr sofort glauben. Zell liegt inmitten einer Allgäuer Bilderbuchlandschaft, in einer Senke nördlich von Oberstaufen, abseits vom Durchgangsverkehr. Alles ist verschneit – und der Schnee schluckt jeglichen Schall, sodass es noch viel stiller wirkt, als es ohnehin wohl wäre. Die Nachmittagssonne scheint von Westen in das Tal hinein. Und weiter im Süden erkennt man die Alpen, den Gipfel des Hochgrats. „Ich bin froh, dass ich hier bleiben kann, hier mein Leben führen darf“, sagt Irmgard Freidl, Mutter von fünf Kindern. Das sei nicht selbstverständlich. „Hier kann nicht einfach jeder so bauen.“ Dafür gebe es keine Genehmigungen. Und es stünden auch nicht unbedingt Wohnungen zur Verfügung, die man mieten kann. Irmgard Freidl wohnt mit ihrem Mann und ihren Kindern in einem großen Haus samt Friseursalon neben der Kapelle St. Bartholomäus.

    Was zum Jubiläum geplant ist

    Der Heimatbund Allgäu und die Marktgemeinde Oberstaufen feiern am Dienstag ab 17.30 Uhr im Kurhaus in Oberstaufen den 1200. Jahrestag der ersten urkundlichen Nennung des Allgäus.

    Dabei wird der symbolische Grundstein für einen Allgäuer Fahnenwald gelegt, bei dem im Laufe der nächsten Monate möglichst alle Allgäuer Gemeinden mit einer Fahne vertreten sein sollen.

    Zudem werden Silhouetten historischer Persönlichkeiten der Region gezeigt. Zu dem Festakt werden Heimatminister Markus Söder und 300 geladene Gäste erwartet

    Im Juni ist in Zell zudem ein Dorffest mit Inbetriebnahme eines neuen Brunnens vorgesehen, an dem eine Tafel mit geschichtlichen Informationen angebracht wird.

    Im Juli gibt es ein weiteres Fest in Oberstaufen, bei dem der Allgäuer Fahnenwald vorgestellt wird.

    Womit wir sozusagen schon an der Urzelle der Allgäuer Urzelle angelangt sind. Denn an dieser Stelle stand wohl 817 das damalige Holzkirchlein, der Mittelpunkt des Weilers. Heute ist es ein Gotteshaus aus Stein. Hanskarl Burger und seine Frau Ludwina, 81, kümmern sich seit 37 Jahren um St. Bartholomäus. Der 84-Jährige hat dieses Ehrenamt von seinem Vater übernommen. Jeden Tag muss die Kapelle auf- und zugesperrt werden. Dazu kommen Mesnerdienste, ab und zu finden Andachten und Gottesdienste statt. „Aber Hochzeiten haben wir hier häufig. Mit Brautpaaren zum Teil aus der ganzen Bundesrepublik. Wobei: Das Paar mit der weitesten Anreise war ein Brautpaar aus Tokio“, sagt Hanskarl Burger mit einem gewissen Stolz.

    Die Urzelle des Allgäus: Zell bei Oberstaufen

    Ob er denn weiß, dass der Vorgängerbau dieses Gotteshauses 817 an das Kloster St. Gallen vermacht wurde? Dass in dieser Urkunde erstmals der Begriff Allgäu erwähnt wurde? „Natürlich“, sagt Burger ungerührt. „Das weiß hier jeder, wirklich jeder.“ Und die Zeller seien stolz darauf. Auf diese Geschichtsträchtigkeit. Die in der Kirche, die in der jetzigen Form im 14. Jahrhundert entstand, ebenfalls gut sichtbar ist. Rechts vom Altar befindet sich eine Darstellung des Martyriums der Apostel. „Experten sagen, dass diese nirgends so lückenlos dargestellt ist wie hier“, berichtet Burger. Die Inschriften rechts des Altars sind auf Mittelhochdeutsch. Jene links davon – dort ist die Kindheit Jesu und das Marienleben skizziert – sind in lateinischer Sprache verfasst. Burger, früher Postbote, ist historisch sehr bewandert. „Schon als Schüler habe ich mich für Geschichte interessiert.“ Der 84-Jährige ist heute der älteste Bürger Zells. Das Haus am Ortseingang ist sein Elternhaus, dort wurde er auch geboren. Burger ist stolz, Teil der Dorfgemeinschaft zu sein. Eine Gastwirtschaft gibt es in Zell zwar nicht. Markus Geißler, der ebenfalls hier aufgewachsen und Zweiter Bürgermeister von Oberstaufen ist, findet das schade. Aber eigentlich sei die auch nicht unbedingt nötig. „Bei uns gibt es ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl“, erklärt Geißler. Das Dorfleben funktioniert auch so. Sozusagen auf der Straße und über den Gartenzaun hinweg.

    Markus Geißler, 2. Bürgermeister Oberstaufen und Zeller.
    Markus Geißler, 2. Bürgermeister Oberstaufen und Zeller. Foto: Matthias Becker

    Am Dienstag werden die Zeller das große Allgäu-Jubiläum feiern. Der Festakt findet aber aus Platzgründen nicht hier statt, sondern im Kurhaus Oberstaufen. Die Gäste werden neue, erstaunliche Thesen zur Geschichte des Allgäus erfahren. Der Heimatforscher Wolfgang Hartung aus Scheidegg im Westallgäu hat sich im Auftrag des Allgäuer Heimatbundes auf Spurensuche begeben. Er schaute sich die Urkunden im Kloster St. Gallen nochmals genau an, analysierte die Verwandtschaftsbeziehungen der Alamannen (oder Alemannen, wie sie auch genannt werden) rund um den Bodensee und im Albgau. Seinen Recherchen zufolge war das hügelige und bergige Land zwischen Bodensee und Lech – mit Ausnahme von punktuellen Alamannen-Siedlungen in den großen Flusstälern von Iller, Wertach und Lech – um das Jahr 700 herum so gut wie unbewohnt.

    Warum aber machten sich Menschen auf in diese, wie Hartung sie nennt, „unwirtliche Wildnis“? Es war, so seine These, der Landmangel, der die Alamannen am Bodensee in Richtung des rauen, schwer zugänglichen Albgaus aufbrechen ließ – und nicht die Missionierung des Gebietes, wie Historiker bisher angenommen hatten. „Es gab dort nichts zu missionieren, weil da niemand lebte“, sagt Hartung.

    "Albgau": Landschaft mit Bergweiden

    Die Bodensee-Bewohner und die St. Gallener Urkunden-Mönche nannten die Gegend an den Bergen in verschiedenen Schreibweisen Albgau. Lange war umstritten, was das Wort bedeutet, das sich über die Jahrhunderte hinweg in Allgäu wandelte. Der Lindauer Regionalforscher Thaddäus Steiner meinte, das althochdeutsche Wort heiße „Landschaft der Bergweiden“.

    Die frühmittelalterlichen Migranten machten sich etwa ab 750 auf in Richtung Osten und erreichten 90 Jahre später die Iller; 839 wird erstmals das spätere Sonthofen urkundlich erwähnt. Es seien freie Adelige gewesen, sagt Hartung, im Schlepptau Leibeigene und Priester. Über die Jahre gründeten sie einen Ort nach dem anderen, jeweils mit einfachen Höfen und einem Holzkirchlein. Sie rodeten die dichten Wälder und machten das Land urbar, damit sie Getreide und Gemüse anbauen sowie Vieh halten konnten. „Eine Heidenarbeit“, sagt Hartung.

    Der älteste Zeller Hans Karl Burger und seine Frau Ludwina Burger kümmern sich um die gotische Kirche St. Bartholomäus.
    Der älteste Zeller Hans Karl Burger und seine Frau Ludwina Burger kümmern sich um die gotische Kirche St. Bartholomäus. Foto: Matthias Becker

    Wo die ersten solcher Siedlungen des Ur-Allgäus standen, kann nicht mehr rekonstruiert werden. 817 gelangt die erste dieser Siedlungen aus dem geschichtlichen Dunkel ans Licht. Ein alamannischer Adeliger namens Wisirich schenkte seine „Cella“ dem Kloster in St. Gallen, was in eben jener Urkunde dokumentiert ist, in der erstmals vom „Albgau“ die Rede ist. Mit dieser Schenkung sicherte er sich den Besitz wie in einem Grundbuch. Im Gegenzug lieh er sich den Besitz wieder vom Kloster zurück und zahlte dafür einen Pachtzins.

    Den brauchen die Menschen in Zell heute natürlich nicht mehr entrichten. Aber die besondere Geschichte ihres Ortes fasziniert sie trotzdem. „Seit gut einem Jahr befassen wir uns damit intensiver, es hat sich im Ort extra ein Festausschuss gebildet“, sagt Geißler. In der Dorfmitte soll es einen Brunnen geben – samt einer Tafel, auf der die Geschichte um Wisirich und die Schenkung Zells skizziert ist. Im Sommer wird er eingeweiht. Als sichtbares Zeichen in der Gegenwart auf die lange Geschichte Zells also. Der Urzelle des Allgäus.

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