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München: Das soll den Verkehrskollaps in München abwenden

München

Das soll den Verkehrskollaps in München abwenden

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    Ein Lichtblick für die geplagten Anwohner des Luise-Kiesselbach-Platzes in München. Seit Ende Juli fahren die Autos in einem 1,5 Kilometer langen Tunnel unter dem Platz hindurch.
    Ein Lichtblick für die geplagten Anwohner des Luise-Kiesselbach-Platzes in München. Seit Ende Juli fahren die Autos in einem 1,5 Kilometer langen Tunnel unter dem Platz hindurch. Foto: Marc Müller, dpa

    Wochenende in einem Obersendlinger Hinterhof. Die Nachbarn haben sich zum alljährlichen Sommerfest versammelt. Die Augustsonne steht hoch am Himmel. Die Erwachsenen suchen Erfrischung bei einem kühlen Getränk, für die Kinder ist ein Planschbecken aufgebaut. Es wird geplaudert, die Stimmung ist sommerlich entspannt. Nur in den Gesprächspausen, wenn es kurz ganz still wird, ist von Ferne das Rauschen zu hören. Die akustischen Ausläufer des Mittleren Rings ebben auch in der Ferienzeit nie ganz ab.

    Der Mittlere Ring ist so etwas wie die Hauptschlagader Münchens. Und die muss inzwischen kräftig pumpen, um den Kreislauf der „Weltstadt mit Herz“ in Bewegung zu halten. Selbst hier in Obersendling, ein gutes Stück südlich, ist die mehrspurige Stadtautobahn ständig präsent. Der Lärm, die Abgase, der Staub, ja, das sei schon sehr lästig, meint ein Nachbar. Aber man lebe eben in der Stadt – mit all ihren Begleiterscheinungen. Und immerhin sei der neue Tunnel am Luise-Kiesselbach-Platz ja jetzt endlich fertig.

    Seit Ende Juli ist der Tunnelabschnitt „Mittlerer Ring Süd/West“ für den Verkehr freigegeben. Knapp 400 Millionen Euro hat das Projekt insgesamt gekostet, sechs Jahre dauerten die Bauarbeiten.

    Auf Münchens Straßen wird es immer enger

    Günter Keller wohnt nicht weit entfernt vom Luise-Kiesselbach-Platz. Er engagiert sich seit mehr als 30 Jahren im Bezirksausschuss Sendling-Westpark. „Die Bauarbeiten waren eine Riesenbelastung für die Anwohner“, erzählt er. „Teilweise sind die Laster zwei Meter am Wohnzimmer der Leute vorbeigedonnert.“

    Jetzt muss sich die Masse der Autos nicht mehr über den überlaufenen Platz quälen, sondern quert diesen unterirdisch. Durchschnittlich 120000 Fahrzeuge sind es innerhalb von 24 Stunden, schätzt die Stadt. Keller hofft, dass die Untertunnelung sein Viertel entlasten wird. Dennoch sieht er das Projekt nicht nur positiv. „Ein Tunnel zieht Verkehr an“, gibt Keller zu bedenken. Dadurch, dass der Verkehr nun vermeintlich rascher fließt, könnte mancher verleitet werden, wieder öfter zum Autoschlüssel zu greifen als zur Fahrkarte für die öffentlichen Verkehrsmittel.

    Mit seiner Einschätzung ist der Stadtviertelpolitiker nicht allein. Auch im Bauplanungsreferat der Stadt sieht man den neuen Tunnel durchaus nüchtern. „Wir sind dabei, den Ring auszubauen – und verlagern damit den Stau woanders hin“, sagt Horst Mentz, Leiter der Verkehrsplanung. München steckt gewissermaßen in einer Zwickmühle. Die Metropolregion gehört zu den am stärksten wachsenden Regionen in Deutschland, und sie läuft Gefahr, an ihrem eigenen Erfolg zu ersticken.

    Am 17. Juni begrüßte Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) den 1,5-millionsten Einwohner im Rathaus. Die Landeshauptstadt ist damit im vergangenen Jahrzehnt um mehr als 15 Prozent gewachsen. Und es geht wohl so weiter. Die Zahl der Geburten ist 2014 das achte Jahr in Folge gestiegen, auf 16450. Berücksichtigt man die erwartbaren Zuzüge, wird München die 1,6-Millionen-Einwohner-Hürde bereits 2018 überspringen, sagen Hochrechnungen voraus.

    Auch die Wirtschaft boomt. Im vergangenen Jahr konnte der Stadtkämmerer Rekorde bei Gewerbe- und Einkommensteuer verbuchen; allein die Gewerbesteuer spülte 2,33 Milliarden Euro in den Stadtsäckel. Mehr als 775 000 Menschen arbeiten in München in einer sozialversicherungspflichtigen Anstellung; 20000 dieser Stellen sind 2014 neu hinzugekommen. Mehr Arbeitsplätze bedeuten aber auch: mehr Menschen, die täglich in die Arbeit fahren.

    Münchens Infrastruktur steht unter Druck

    Auch die Debatte um eine dritte Startbahn am Münchner Flughafen, wie sie sich der Freistaat und die Flughafengesellschaft wünschen, nimmt in regelmäßigen Abständen neue Fahrt auf. Rein rechtlich besitzt die Flughafen GmbH bereits Baurecht; das hat das Bundesverwaltungsgericht im Mai entschieden. Doch Bürger protestieren seit Jahren scharf gegen den Ausbau, aus Angst vor noch größerer Belastung. Ob die Piste schließlich gebaut wird, will Ministerpräsident Horst Seehofer nun in mehreren Gesprächsrunden im Herbst erörtern. Im April 2016 soll am Flughafen ein neues Abfertigungsgebäude für elf Millionen Passagiere in Betrieb gehen.

    Die Infrastruktur Münchens steht unter Druck – der Wohnungsmarkt, die Schullandschaft und nicht zuletzt die Verkehrswege. Bei Weitem nicht alle, die in München arbeiten, wohnen auch dort. Knapp 350000 Einpendler aus dem Umland täglich zählten die städtischen Statistiker 2014. Im Gegenzug fahren 150000 Menschen jeden Tag aus München zur Arbeit in die Region – und abends zurück. Die Konsequenz: Blechlawinen wälzen sich zur Feierabendzeit über den Mittleren Ring.

    Kein Wunder, findet Anwohner Keller. Er verstehe, dass nicht jeder aus der Umgebung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit in die Stadt fährt. „Dafür ist die S-Bahn zu schlecht ausgebaut.“ Zudem fehle es an komfortablen Tiefgaragen und Park-and-Ride-Möglichkeiten an den Stadtgrenzen. So kommt es, dass auch Besucher, die eigentlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln ins Zentrum wollen, aber am Stadtrand keinen Parkplatz finden, sich mit dem Auto in die City quälen.

    „Was uns viel mehr im Magen liegt als der Ring, ist die Stadt-Umland-Verbindung, also der Ausbau der S-Bahn“, sagt auch Verkehrsplaner Mentz. Beim öffentlichen Verkehr verzeichnete München in den vergangenen Jahren zweistellige Wachstumsraten. Knapp 680 Millionen Fahrgäste waren 2014 mit U-Bahn, Bus, Tram oder S-Bahn unterwegs. Seit Jahren diskutiert die Stadt eine zweite Röhre, die die notorisch verstopfte Stammstrecke zwischen Pasing im Westen und dem Ostbahnhof entlasten soll. Doch noch immer gibt es keinen Zeitplan für das Großprojekt. Das Problem: Die Finanzierung steht noch nicht, unter anderem weil die bayerische Staatsregierung noch keine festen Zusagen gemacht hat.

    In der Landeshauptstadt sind viele neue Projekte geplant

    Die Zusammenarbeit mit dem Umland ist ein zentraler Baustein im Verkehrskonzept der Zukunft, erklärt Mentz. Seit 2009 haben sich 26 südbayerische Landkreise und sechs kreisfreie Städte zur Europäischen Metropolregion München (EMM) zusammengeschlossen, um bestehende Nahverkehrsnetze enger miteinander verknüpfen.

    Auch innerhalb der Stadt sucht München Wege für eine nachhaltige Urbanität. Ihre wichtigsten Leitlinien hat die Stadt in der „Perspektive München“ zusammengefasst. Unter anderem geht es darum, dass Siedlungs- und Verkehrsentwicklung Hand in Hand gehen, gerade bei großen Wohnbauprojekten, wie sie auf dem ehemaligen Gelände der Paulaner-Brauerei oder in Freiham am Westende der Stadt erwachsen.

    Solch eine langfristige Raum- und Stadtplanung hält auch Andreas Schuster von der Umweltorganisation GreenCity für unverzichtbar. „Langfristig müssen die Orte, die die Menschen aufsuchen wollen, wieder näher zusammenrücken“, sagt er. „Wenn ich alles in Fußreichweite habe, muss ich nicht mit dem Auto fahren.“ Nachhaltige Mobilität sei ein zentrales Thema, sagt auch Verkehrsplaner Mentz. Fahrradfahren, zu Fuß gehen, aber auch Carsharing und Elektrofahrzeuge sollen das Angebot erweitern. Die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) hat jüngst ein Pilotprojekt mit Mobilitätsstationen vorgestellt, das allerdings mit technischen Startschwierigkeiten kämpft.

    Schuster gehen die Pläne der Stadt nicht weit genug. „München hat gute Ansätze, nimmt aber die Förderung der nachhaltigen Mobilität, also Fuß- und Radverkehr sowie ÖPNV nicht ernst genug. Der Ausbau dieser Verkehre steht immer hinter dem motorisierten Individualverkehr“, kritisiert er und fordert, Autofahren in der Stadt unattraktiver zu machen und stattdessen Rad-, Fuß- und öffentlichen Nahverkehr flächendeckend auszubauen. Zum Beispiel, indem die fehlenden Ringverbindungen bei Bussen und Trams ergänzt werden.

    Klaus Beckmann, Präsident der Akademie für Raumforschung und Stadtplanung, bescheinigt München eine gute Ausgangslage für nötige innovative Verkehrskonzepte. Die Boomregion brauche aber noch stärker eine abgestimmte Entwicklung von Siedlung und Verkehr. „Flächenengpässe müssen ebenso bewusst sein wie kaum beseitigbare Kapazitätsengpässe der Verkehrsinfrastrukturen in Straßen- und Schienennetzen“, so der Experte.

    „Ich denke, es gibt Grenzen für den Verkehr“, sagt auch Tunnelanwohner Keller. „Trotz gut überlegter Verkehrsführung – in der Hauptverkehrszeit sieht man, dass das System am Anschlag ist. An neuralgischen Punkten, wenn da die kleinste Störung passiert, stürzt es ins Chaos.“

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