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Bayern: Wenn Migranten zu schlau für die Übergangsklasse sind

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Wenn Migranten zu schlau für die Übergangsklasse sind

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    Lamin (links) und seine Mitschüler am Augsburger Peutinger-Gymnasium haben zwei Dinge gemein: Sie haben Migrationshintergrund, und sie wissen schon zu viel für die  Übergangsklasse.
    Lamin (links) und seine Mitschüler am Augsburger Peutinger-Gymnasium haben zwei Dinge gemein: Sie haben Migrationshintergrund, und sie wissen schon zu viel für die Übergangsklasse. Foto: Bernhard Weizenegger

    Ausgerechnet beim Wort „Zukunft“ stockt er: Schüler Lamin soll am Augsburger Peutinger-Gymnasium einen Text vorlesen, den seine Mitschüler an die Tafel geschrieben haben. „Unser Ziel ist: das Gymnasium fertig machen, studieren und eine gute Arbeitsstelle haben“, liest er. „Dann können wir unsere Zukunft verbessern.“

    Lamin und seine Mitschüler haben allesamt einen Migrationshintergrund. Und sie wissen zu viel für den Unterricht in Übergangsklassen. Dort lernen Schüler, die neu in Deutschland sind, normalerweise. 640 solcher Klassen gibt es mittlerweile an Grund- und Mittelschulen in Bayern, etwa genauso viele an Berufsschulen – aber eben nicht am Gymnasium.

    Schulleiter Stephan Lippold ist froh, dass sich das nun ändert. „In den Übergangsklassen an Grund- und Mittelschule gibt es immer wieder Kinder, von denen die Lehrkräfte dort sagen: ,Er oder sie müsste ans Gymnasium.‘ Jetzt gibt es endlich die Möglichkeit dazu.“

    „In Somalia war ich acht Jahre lang auf der Schule“

    Seit dem Halbjahr ist das Peutinger-Gymnasium in der Augsburger Innenstadt eine von fünf InGym-Pilotschulen in Bayern. Die anderen stehen in München, Nürnberg, Regensburg und Würzburg. Der Kurs dauert sechs Monate. Danach sollen die Schüler sprachlich und vom Stoff her so fit sein, dass sie an ein reguläres Gymnasium wechseln können. Sie haben sich in Aufnahmetests in Mathematik und Englisch für InGym qualifiziert. Nicht in Deutsch, das sollen sie ja lernen. „Wir hätten auf Anhieb fast 50 Schüler aufnehmen können“, sagt der Augsburger Schulleiter. Platz war für gut 30.

    Lamin kommt aus Gambia. Daniel aus Mexiko. Warum er in Bayern ist? „Meine Mutter hat die Arbeit getauscht.“ Auch der 17-jährige Aman lebt in Augsburg, weil sein Vater hier arbeitet. Andere Jugendliche sind aus ihrer Heimat geflohen. Ein Drittel der rund 30 InGym-Schüler ist syrischer Herkunft. Mohamed kommt aus Somalia. Seine Eltern sind tot. Nach sieben Monaten auf der Flucht lebt er in einer Wohngruppe für junge Flüchtlinge. „In Somalia war ich acht Jahre lang auf der Schule“, sagt er.

    Die InGym-Kurse orientieren sich am Niveau der fünften und sechsten Klasse. Vieles davon hat Mohamed schon gehört. Die Herausforderung für die Schüler ist eine andere: Den Stoff auf Deutsch zu verinnerlichen. In den sechs Kursmonaten schreiben sie regelmäßig Leistungstests. Am Ende steht ein Beratungsgespräch mit der Stammschule. Diese entscheidet, ob der Schüler auf lange Sicht am Gymnasium Erfolg haben kann und welche Jahrgangsstufe er besuchen soll.

    Zusätzliche Lehrer gibt's für InGym nicht

    Zusätzliche Lehrerstellen bekommen die Pilotschulen für InGym nicht, aber Zuschläge zum Budget. Nach Aussage von Henning Gießen, Sprecher des Kultusministeriums, soll InGym an den Pilotschulen auf unbestimmte Zeit laufen. An ihren späteren Stammschulen sollen die Jugendlichen dann vertieft fachsprachlichen Unterricht erhalten, unter anderem in Blockseminaren am Wochenende. Die Förderung weiterzudenken – darauf dringt auch der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbands, Max Schmidt. „InGym ist ein gutes Projekt, mit der Ausstattung kann man schon etwas machen.“ Sein Verband fordert aber schon lange eine zusätzliche Stunde Deutsch für Sprachbegleitung und Integration – und zwar an jedem Gymnasium in Bayern.

    Christine Stakenborg betreut das InGym-Projekt am Peutinger-Gymnasium. Der jüngste ihrer Schüler ist zwölf, der älteste 17. „Wir wissen nur sehr wenig über die Schulbiografie der Jugendlichen“, sagt die Deutschlehrerin. 70-Stunden-Wochen waren für Stakenborg zuletzt normal: Mit Kollegen hat sie ein Konzept entwickelt, das allen Schülern gerecht werden soll. Lehrer seien bereit, Fortbildungen für den Unterricht mit sprachfremden Jugendlichen zu absolvieren. Schüler aus den regulären Klassen beantworten alltägliche Fragen der InGym-Schüler oder übersetzen bei Elternabenden.

    Aman aus Indien startete mit Grundkenntnissen in Deutsch in die InGym-Klasse. Nach ca. einem Monat dort versteht er so gut wie alles. Bei einem Referat über sein Heimatland spricht er natürlich mit Akzent, aber fast fließend. Er stockt bei der Frage nach seiner Zukunft nicht. Sein Ziel: Rechtsanwalt werden.

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