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Affing: Freude, Enttäuschung und Angst - was vom Tornado übrig blieb

Affing

Freude, Enttäuschung und Angst - was vom Tornado übrig blieb

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    Vier Wochen nach dem verheerenden Tornado prägen in Affing Baukräne das Ortsbild. Auch das erst zwei Jahre alte Haus von Gaby und Klaus Weber wurde stark beschädigt.
    Vier Wochen nach dem verheerenden Tornado prägen in Affing Baukräne das Ortsbild. Auch das erst zwei Jahre alte Haus von Gaby und Klaus Weber wurde stark beschädigt. Foto: Bernhard Weizenegger
    Luftaufnahme vom 14.05.2015 zeigt Unwetterschäden in der Gemeinde Affing, Landkreis Aichach Friedberg (Bayern). Ein schweres Unwetter in den späten Abendstunden des 13.05.2015 verursachte in der Region Schäden in Millionenhöhe. Foto: Mario Lindner/LSV Aichach dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
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    Ein Unwetter hat in der Region im Mai 2015 eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Dächer wurden abgedeckt, Menschen verletzt und Häuser evakuiert.

    Mit einer Gießkanne geht Gaby Weber durch ihren Garten. Sorgfältig wässert die 43-Jährige Büsche und Sträucher. Es mutet skurril an, denn das Haus, das der Garten umgibt, steht leer. Der Tornado, der in der Nacht auf Christi Himmelfahrt über die Gemeinde Affing im Kreis Aichach-Friedberg hinweggefegt ist, hat es unbewohnbar gemacht. In dem arg zerrupften Garten will Gaby Weber dennoch retten, was zu retten ist.

    Gefühle kommen wieder hoch

    Ihr Ehemann Klaus führt währenddessen durch das Haus, in das die Familie erst im Dezember 2012 eingezogen ist. Zeigt die Schäden, die lädierte Terrasse, die zerbrochenen Fenster. Die Einschläge von herumfliegenden Teilen an den Wänden und Küchenschränken – und in den Schlafzimmern im ersten Stock, in denen seine Frau und die Söhne Tim und David geschlafen haben, als die Hölle losbrach. Beim Gang durch das Haus werden bei dem 45-Jährigen wieder die Erinnerungen wach an diesen Abend vor gut fünf Wochen. Die Erinnerungen an die Angst um die Familie, als er merkt, dass sein Haus kein Dach mehr hat. Und an die Erleichterung, als er sie schreien hört.

    Viel Hilfe aus der Umgebung

    Der zehnjährige David und seine Mutter Gaby Weber sind verletzt und werden im Krankenhaus versorgt. In dieser Nacht kommen die Webers bei Angehörigen der Nachbarn unter. Am nächsten Morgen stehen sie bang im Chaos. Rundum helfen den Nachbarn Freunde und Angehörige. Die Webers stammen aus dem Raum Stuttgart, ihre Familie ist weit weg. Aber auch bei ihnen tauchen Helfer auf: Bekannte, Fremde, mehr als 70 Leute. Von der immensen Hilfsbereitschaft ist Weber immer noch überwältigt. Er erzählt von den drei Frauen, die jeden Nachmittag Kaffee und Kuchen bringen. Von der Feuerwehr, die auch am dritten Tag nachschaut, ob die Folien auf den Dächern dicht sind. Nach drei Nächten kann die Familie eine Wohnung in der Nähe beziehen. Bekannte bieten Häuser und Autos an, laden zum Essen ein, waschen die Wäsche. Das ist das Positive, das bleibt. „Aus Bekannten sind Freunde geworden.“ Man merkt, wie sehr Weber das berührt. „Ich bin froh, dass wir hier leben und nicht irgendwo anders. Wir sind am richtigen Fleck gelandet.“ Auch Landratsamt und Gemeinde hätten schnell und gut reagiert. Wütend macht ihn dagegen die Erinnerung an die Schaulustigen, die er „Völkerwanderung“ nennt.

    Nach ein paar Tagen kommen andere Gedanken: Was wäre, wenn der achtjährige Tim, der kurz vor dem Tornado heimgekommen ist, später dran gewesen wäre; wenn der Kniestock des Dachs in den Schlafzimmern niedriger gewesen wäre, wenn... „Unser Schutzengel war riesengroß. Wir sind wahrscheinlich noch gut davongekommen.“

    Jetzt geht es an den Wiederaufbau. Es ist fast wie neu bauen, sagt Weber über den Aufwand. Ein Gutachter der Gebäudeversicherung war schnell vor Ort. Die Kostenaufstellung der Baufirma befand er für plausibel. Weber bekam einen Vorschuss und konnte den neuen Dachstuhl bestellen. Der soll diese Woche kommen. Im September, hofft Weber, kann die Familie wieder ins Haus einziehen. Er geht von einem Schaden von bis zu 200000 Euro aus. Genau steht die Summe noch nicht fest, auch nicht, wie viel davon die Versicherung zahlt. Diese halte sich hart an ihren Vertrag, sagt Weber. Die Einbauküche sei zum Beispiel nicht versichert, weil sie nicht vom Schreiner eingebaut ist. Eine Hausratversicherung hat er nicht. Dennoch sagt er: „Ich kann mich bisher nicht beklagen.“

    Markus Winklhofer ist froh über jeden Betroffenen, der das sagen kann. Der Zweite Bürgermeister vertritt seit mehr als neun Monaten nebenberuflich den kranken Affinger Gemeindechef. Der Tornado macht ihn über Nacht zum Krisenmanager, auch wenn er sich selbst gar nicht so sieht. „Ich hab’s halt einfach gemacht“, sagt er. Entscheidungen treffen oder mittragen, Hilfe vermitteln, unzählige Gespräche. Das Tagesgeschäft und der Hauptberuf müssen erst mal zurückstehen. Mittlerweile sagt Winklhofer: „Das Thema begleitet uns schon noch, aber nicht mehr in der Intensität.“ Viele Familien sind dabei, ihre Schäden zu beheben, oder haben das schon getan. Bei anderen läuft es nicht so gut.

    Nach fünf Wochen ist nichts passiert

    So wie bei Webers Nachbarn. Auch Bernhard Hubers Haus, in das er 1998 eingezogen ist, ist unbewohnbar. Auch er erzählt von Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt. Doch die Euphorie ist der Frustration gewichen. „Das Haus steht genauso da wie am Abend nach dem Tornado“, sagt er. Dach und Fenster sind mit Folien verklebt. Am Dachfirst flattert eine kleine Deutschlandfahne im Wind. An Christi Himmelfahrt hat sie ein Helfer angebracht. „Als Zeichen, dass es weitergeht“, sagt Huber.

    Doch erst einmal geht nichts weiter. Der Giebel muss abgetragen werden, bevor ein Statiker untersuchen kann, wie weit das Haus rückgebaut werden muss. Huber wartet seit Wochen auf die Freigabe der Versicherung, um endlich anfangen zu können. Seine Lebensgefährtin Natalia Wohl sagt: „Wir fühlen uns alleingelassen.“

    Dabei wähnt sich Huber gut versichert. Wie seine Schwester hat er das „Multimaximusplus-Paket“ für Gebäude und Hausrat abgeschlossen, sagt der 52-Jährige. Die „Huber-Angsthasen-Versicherung“ nennt er sie. Doch schon als die Gutachter kommen, beginnen die Irritationen. Die hätten erst einmal das ganze Haus vermessen, die Grundrisse angefordert, die Police durchgesehen. Die Versicherung habe ihn dann nicht nur unzureichend über seine Ansprüche aufgeklärt, zum Beispiel was eine Ersatzunterkunft angeht.

    Enttäuschung über Versicherung

    Er habe sogar den Eindruck, dass er bewusst falsch informiert wurde, sagt Huber. Manche Schäden würden einfach als alt abgetan. Huber schaltet eine befreundete Rechtsanwältin ein, die mittlerweile noch zwei andere Betroffene vertritt. Nachdem sie eine einstweilige Verfügung angekündigt hat, ist kurz vor Ablauf einer Frist die Freigabe für den Rückbau erteilt worden, der Vorschuss ist am Mittwoch eingegangen. Endlich können die Reparaturarbeiten beginnen. Die Kostenschätzung des Bauleiters liegt der Versicherung seit Ende Mai vor. Sie wird immer noch geprüft.

    Natalia Wohl ist vom Auftreten der Gutachter und des Versicherungsvertreters heute noch entsetzt. „Da ist kein persönliches Wort gefallen. Da kam kein ,Wir helfen Ihnen‘ oder ,Das kriegen wir schon hin‘“, sagt sie. „Dabei haben wir unser Zuhause verloren.“

    In der Tornado-Nacht ist das Paar nicht zu Hause, auch die beiden Töchter nicht. Zum Glück. Wohl ist überzeugt: „Wir wären tot gewesen, wenn wir im ersten Stock gewesen wären.“ Auf dem Bett einer Tochter liegt damals ein zentnerschweres Stück Kamin, auf ihrem eigenen Bett der aufgerissene Kleiderschrank.

    Das Paar kommt mit den Töchtern bei Hubers Schwester in der gleichen Straße unter, wohnt dort im Keller. Beide sind froh darüber. „Aber das eigene Daheim fehlt einem einfach“, sagt Huber. „Da weiß man, wo man seine Schuhe hinstellt.“ Vieles ist verloren: Familienfotos, Spielzeug aus der Kindheit, Bücher, das Kinderbett einer der Töchter. Nach dem Sturm hat ein Kind die Taufkerze von Hubers Tochter gefunden. Sie hat jetzt einen noch viel größeren Wert.

    Der Stillstand belastet. Huber rechnet nicht damit, dass er noch in diesem Jahr in sein Haus zurückkehren kann. Von seiner Versicherung ist er maßlos enttäuscht: „Ich hätte nie geglaubt, dass das so ist.“ Dabei ist das Erlebnis des Tornados, der Verlust des Heims schlimm genug. „Bei einem Gewitter macht hier keiner mehr ein Auge zu“, ist der 52-Jährige überzeugt. Und seine Lebensgefährtin fragt: „Wie kann ich wieder in Ruhe im Bett bleiben, wenn ein Gewitter kommt und ich den Kamin auf dem Bett meiner Tochter vor Augen habe?“

    Bei Gewitter gehen manche in den Keller

    Seit dem Tornado zogen öfter Gewitter über Affing. Pfarrer Max Bauer weiß, dass manche in den Keller gingen. „Die Erinnerung kommt dann sofort wieder hoch“, sagt er. Der Geistliche war nach dem Sturm mit Kollegen der Notfallseelsorge im Dauereinsatz und spricht auch jetzt noch oft mit Betroffenen. Manche Familien überlegen sich Strategien, erzählt er. Sie hören bei Gewitter laut Musik und spielen gemeinsam etwas. Der Pfarrer rät, wenn die Belastung nicht nachlässt, nicht aus falscher Scham auf psychologische Hilfe zu verzichten. „Mit einem gebrochenen Bein geht man ja auch zum Arzt.“

    Klaus Webers achtjährigen Sohn beschäftigt die Frage, ob das Dach wieder wegfliegen kann, erzählt der Vater. Als kürzlich während einer Geburtstagsfeier bei Nachbarn ein Gewitter aufzieht, fangen die Kinder zu weinen an. Auch die Erwachsenen werden nervös, sagt Weber: „Die Sicherheit ist einfach weg.“

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