Nein, The Cure haben diesmal nicht, wie vor für ihre vielen Fans endlos scheinenden achteinhalb Jahren noch, beim letzten Auftritt in der Münchner Olympiahalle, auch noch die Drei-Stunden-Schwelle genommen und nicht auch noch „Killing an Arab“ serviert, mit dem damals alles begann. Aber wer die Augen schloss, konnte auch an diesem Montagabend im ausverkauften Oval wieder locker 40 Jahre zurückreisen, in jene Goldgräberzeit des Pop, als dessen Massenwirkung so richtig einsetzte, neue Stile und Szenen in Serie quasi aufploppten und sich Ikonen gebaren. Denn die Stimme von Robert Smith ist auch nach all dem weniger Gesunden, was sich der heute 57-Jährige zwischenzeitlich mal verabreicht hat, noch immer ungebrochen und unverkennbar, es strahlt die Ikone des Wave, die ewige Antwort in Person auf die Frage Nick Hornbys: „Was war zuerst: die Popmusik oder Melancholie?“ Es war natürlich der Weltschmerz des Einzelnen, so ergreifend offenbart, dass ein Weltvirus daraus werden musste.
Wiedersehen mit The Cure in München
Und so beginnt dieser Abend denn auch mit „Out of the World“ und „Pictures of You“ und eben dieser Stimme stimmig zu einem Wiedersehen, das auch acht Jahre nach dem letzten zwar kein neues Album von The Cure zum Anlass, aber dafür ja so viele allzu lange nicht erlebte Großtaten aus all den Jahrzehnten zu bieten hat. Best of also, eine Nostalgie-Reise durch bittersüße Weltschmerz-Hymnen? Sind dazu nicht die mehr als 12.000 Fans auch in die Olympiahalle gekommen, auch wenn nur noch die wenigsten von ihnen dem nachtschwarzen, mit Schminke und irgendwie toupierten Haaren aufgeschrillten Dresscode des Wave-Gottes ähneln und die meisten auch in ein Coldplay-Konzert passen würden, samt Nachwuchs, der auch schon mitgehen darf.
Aber ja, das eine ist Popgeschichte, das andere ist die Lebenswirklichkeit – die Augen auf also, aber zumindest wirkt der Gott auch mit rund 20 Kilo mehr im Kern noch unverändert, wenn dafür auch seine vier Mitstreiter auf der Bühne dazu ein umso disparateres Bild abgeben: bewegungsloser Rockrentner an der Gitarre, lächelnde Salzsäule mit Fönfrisur an Keyboards und Synthie, jungdynamischer Schlagzeuger und als einzig über die Bühne Dauerflanierender ein Punkrocker am Bass? Albern? Und dann diese Bühne! Natürlich gibt es bei The Cure kein Pompspektakel, eher Minimalismus – aber hier herrscht doch die reine Unbeholfenheit. Auf den fünf schmalen, die Band hinterfangenden Videowänden laufen hauptsächlich Naturaufnahmen in der Qualität von Bildschirmschonern (Sonnenaufgang, Baum auf Wiese, sich öffnende Rose und so) und die beiden seitlichen Screens zeigen jeweils starr eine Bühnenhälfte in Fish-Eye-Optik, was den meisten Menschen in der großen Halle ihren Star noch immer nur als winzigen und dazu verzerrten Punkt erscheinen lässt. Ja, schon klar, es geht hier ja nicht um die große Star-Show, und der Star Robert Smith selbst tritt während des dreistündigen Konzerts dann ja auch gar nicht anders als singend und Gitarre spielend und höchstens mal die Arme hebend in Erscheinung, sagt höchstens mal nuschelnd den nächsten Song an, so was wie stimmiges Nicht-Konzept also – aber ein bisschen geschmacksarm bleibt das alles dann eben halt.
"Closedown", "The Hungry Ghost", "All I Want"
Aber egal jetzt, Ohren auf, Musik! Weiter geht’s mit „Closedown“, „The Hungry Ghost“ und dem wirklich schönen „All I Want“ und damit hinein in ein 30-Song-Set, das The Cure eben nicht wie so viele Abend für Abend auf dieser Tour immer wieder spielen, sondern eher aus einer Auswahl an über 40 Lieder jeden Abend neu zusammenstellen. Und das Überraschendste an diesem Abend in München offenbart sich denn auch gerade darin. Sie spielen „In Between Days“ und „Lovesong“ und schließlich vor den Zugaben „Bloodflower“ – aber das hier ist keine Weltschmerz-Parade. Mit fast komplett herunterdimtem Synthie und dafür aufgedrehter Gitarre, mit einem immer eher zu höherer Geschwindigkeit treibendem Schlagzeug und natürlich diesem tief gestimmtem Bass, der einem im Laufe des Abends die Haut aufkratzt, klingen The Cure hier nicht wie die Melancholie-Pop-Ikonen, sondern wie Urväter des späten Art-Rock. Mag der Hinweis des bass erstaunten Konzertnachbarn, das höre sich ja alles fast schon an wie Muse auch ein bisschen übertrieben sein – es ist jedenfalls kein Zufall, dass der erste der längst obligatorischen Zugaben-Teile zum eigentlichen Höhepunkt des Abends werden. Da geht’s mit „Shake Dog Shake“, dem hinreißenden „The Crow“-Soundtrack „Burn“ und „A Forest” nämlich ordentlich und überzeugend zur Sache.
In Teil zwei gibt’s dann unter anderem zwar das unsterbliche „Lullaby“ und „Hot Hot Hot“, aber der fällt nicht zuletzt mit dem wirklich stumpfen „Wrong Number“ deutlich ab. Bleibt schließlich die Hit-Parade zum Abschluss mit dem wohl unvermeidlichen und auch hier seltsam umjubelten „Friday I’m in Love“, mit „Boys Don’t Cry“, „Close To You“ und „Why Can’t I Be You“ – aber dass etwa „Love Cats“ ungespielt bleibt, passt zu diesem Abend.
Ein Abend mit The Cure, der keine Stille kennt
Robert Smith und The Cure wirken weniger schmusig und melancholieverloren denn je. Ob das gut ist? Es wird aus einem solchen Konzert jedenfalls eher ein sehr langer, ziemlich durchgeschrubbter und undifferenzierter Abend, der keine Stille kennt. Und eigentlich auch ein zu langer, obwohl die Drei-Stunden-Marke nicht gerissen wurde, aus dem man her mit einem Rauschen in den Ohren als einem vollen Herzen herausgeht. Aber ja, all das werden die wahren Fans naturgemäß ganz anders erfahren haben. Die Stimmung war ganz gut, ab der Hälfte begannen auch auf den Rängen einige zu tanzen – und am Schluss wurde Robert Smith (nicht die Band, die zog einfach ab) gebührend gefeiert, der dann auch, diesmal ausnahmsweise verständlich, versprach: „See You Next Time.“ München, es ging auf Mitternacht zu, wenigstens draußen hatte es in der Zwischenzeit geregnet.