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Kreis Donau-Ries: Waren die tödlichen Schüsse vermeidbar?

Kreis Donau-Ries

Waren die tödlichen Schüsse vermeidbar?

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    11. Juli 2014 in Asbach-Bäumenheim. Ein Polizist verschanzt sich bewaffnet auf seinem Grundstück. Nach einem stundenlangen Nervenkrieg stürmt ein Spezialeinsatzkommando das Anwesen. Der 46-Jährige wird erschossen. Die Angehörigen meinen, er hätte nicht getötet werden müssen.
    11. Juli 2014 in Asbach-Bäumenheim. Ein Polizist verschanzt sich bewaffnet auf seinem Grundstück. Nach einem stundenlangen Nervenkrieg stürmt ein Spezialeinsatzkommando das Anwesen. Der 46-Jährige wird erschossen. Die Angehörigen meinen, er hätte nicht getötet werden müssen. Foto: Stefan Puchner, dpa

    Es sind dramatische Stunden an einem heißen Sommertag im Juli 2014 in Bäumenheim (Landkreis Donau-Ries). Ein Familienvater, von Beruf Polizist, hat offenbar massive psychische Probleme. Frau und Kinder hat er einige Tage zuvor zu Verwandten geschickt. Nun steht er im Hof eines abgeschotteten, stattlichen Anwesens, trägt zwei Pistolen und zwei Gewehre bei sich. Nachbarn hören Schüsse, verständigen die Polizeiinspektion in Donauwörth. Als Beamte an dem Anwesen eintreffen, beginnt ein Nervenkrieg, der sich den ganzen Tag über hinzieht. Der Mann kündigt an, sein Ziel sei es, noch an diesem Tag zu sterben. Sollten irgendwelche Personen das Areal betreten, würde er sie „mitnehmen“. Am Abend, kurz bevor ein Gewitter aufzieht, nimmt das Drama ein schreckliches Ende: Ein Spezialeinsatzkommando (SEK) erschießt den 46-Jährigen.

    Auch mehr als ein Jahr danach beschäftigt der Tod des Mannes die Hinterbliebenen. Sie sind der Ansicht, dass der Mann nicht sterben hätte müssen. „Er war an einem Punkt, an dem er psychisch am Boden war und keinen Ausweg mehr wusste. Das ist aber noch lange kein Grund, einen Menschen zu erschießen“, meint der Schwager des Getöteten gegenüber unserer Zeitung.

    Die Familie wende sich an die Öffentlichkeit, „um ein paar Dinge klarzustellen“. Dies geschieht, nachdem der Fall juristisch abgeschlossen ist. Nach dem Drama beleuchten zunächst Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt den Einsatz. Es ist kein Strafverfahren, sondern eine sogenannte Voruntersuchung. Dabei wird geklärt, ob strafrechtlich relevante Dinge passiert sind. Zahlreiche Zeugen werden vernommen, Sachverständige erstellen Gutachten, Video-Material von den dramatischen Geschehnissen wird ausgewertet. Im Oktober 2014 kommt die

    Familie legt Beschwerde ein

    Die Familie des 46-Jährigen will das nicht akzeptieren. Sie nimmt einen Anwalt und legt im Frühjahr 2015 Beschwerde gegen den Beschluss der Staatsanwaltschaft ein. Nun prüft auch die Generalstaatsanwaltschaft in München den Sachverhalt. Die übergeordnete Behörde stellt in einem Bescheid ebenfalls fest, dass den beteiligten Beamten kein strafrechtlicher Vorwurf zu machen sei. Auf den nächsten möglichen Schritt, ein Klageerzwingungsverfahren, verzichtet die Familie.

    Nach Einsicht der Akten und nach dem Betrachten des Einsatz-Videos sind die Angehörigen davon überzeugt, dass an jenem Abend in Bäumenheim einiges schiefgelaufen ist. Der Zugriff hätte nie in diesem Moment an dieser Stelle erfolgen dürfen, meint die Familie. Die SEK-Beamten seien fast 50 Meter von dem 46-Jährigen entfernt gewesen, als sich dieser im hinteren Bereich des Hofs aufhielt: „Ein Überraschungsangriff war aus dieser Distanz unmöglich.“ Der Mann bemerkt den Hund und schießt auf ihn. Dennoch gelingt es dem Tier noch, mehrmals zuzubeißen. Der Angegriffene bleibt jedoch stehen, der Hund bricht zusammen.

    Spätestens hier hätten die Einsatzkräfte abbrechen müssen, meint die Familie. Stattdessen spitzt sich die Situation zu. Auf dem Video sei zu hören, dass ein Beamter seine Kollegen auffordert, zu schießen. Während die Spezialkräfte später zu Protokoll geben, der 46-Jährige habe eine „dynamische Bewegung“ gemacht, auf die man reagiert habe, erklären die Verwandten: „Die Waffe war unten.“

    Psychisch angeschlagen

    Dass es von offizieller Seite heißt, der Bäumenheimer habe familiäre Probleme gehabt, will die Familie ebenfalls so nicht stehen lassen. Seine Psyche sei vor allem angeschlagen gewesen, weil er wegen einer Fußverletzung und eines Augenleidens gefürchtet habe, seinen Beruf als Polizist nicht mehr ausüben zu können.

    Die Ermittlungen des Landeskriminalamts ergeben, dass der 46-Jährige „ein äußerst verschlossener Mensch war“, heißt es in einer Stellungnahme des bayerischen Innenministeriums auf Anfrage von Katharina Schulze, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag. Der Beamte habe seine Gefühle hinsichtlich empfundener Verletzungen und Belastungen niemandem anvertraut, sondern durch seine ihm eigene Art den Kollegen und Vorgesetzten den Eindruck vermittelt, dass alles in Ordnung wäre.

    Zum Einsatz des Hundes erklärt das Ministerium: „Der Mann sollte soweit gebunden und abgelenkt werden, dass eine Entwaffnung beziehungsweise ein Zugriff durch die Einsatzkräfte ermöglicht wird.“ Diese Variante habe gegenüber allen erwogenen Maßnahmen – einschließlich weiterer Verhandlungen – „die größten Erfolgsaussichten bei gleichzeitig geringstem Verletzungsrisiko für den Mann“ versprochen.

    Für das Polizeipräsidium Schwaben Nord, das für den Einsatz verantwortlich war, gibt es dem Ministerium zufolge „keine Veranlassung, die Zugriffsentscheidung und deren taktische Umsetzung infrage zu stellen“. Matthias Nickolai, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Augsburg, möchte sich nicht zu Details des Einsatzes äußern. Einzelne, herausgegriffene Teilaspekte oder alternative Handlungsmöglichkeiten zu erörtern, würde nach Ansicht Nickolais der Komplexität des Falls nicht gerecht und sei nicht geeignet, die Entscheidung des Generalstaatsanwalts in Zweifel zu ziehen.

    Die Familie des Getöteten will nach ihren öffentlichen Äußerungen nun endlich zur Ruhe kommen. „Wir wollen einen Abschluss finden“, sagt die Schwester.

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