An den roten Flecken auf der schwarzen Weste erinnert sich die als ewige Regierungspartei wahrgenommene CSU nicht gerne. Die Überheblichkeit in den eigenen Reihen ist für den späteren Staatssekretär Franz Sackmann (CSU) eine der Hauptursachen dafür, warum den Sozialdemokraten der Überraschungscoup gelingen konnte. Sackmann hatte nämlich von den Plänen erfahren, dass die Linken mit der konservativen Bayernpartei, der FDP und der Vertriebenenpartei GB/BHE parlamentarisch zusammenarbeiten wollten. Als er davon in der Fraktion berichtete, erntete er nur "schallendes Gelächter".
Der Schrecken war groß, als das scheinbar Unmögliche wahr wurde und der damalige SPD-Landesvorsitzende Waldemar von Knoeringen die Viererkoalition unter dem Motto "Licht für Bayern" vorstellte. Von Knoeringen agierte geschickt hinter den Kulissen und brachte die "Kleinen" aus ganz unterschiedlichen politischen Richtungen zusammen. Neben dem Ärger über die Machtarroganz der Christsozialen nutzte er das gemeinsame Bestreben dieser heterogenen Koalition in der Bildungspolitik. Die Lehrerausbildung sollte gegen den Willen der CSU reformiert und dem Einfluss der Kirche entzogen werden.
Zwar wurde gerade dieses Ziel während der Regierungszeit Hoegners nicht verwirklicht. Aber auf anderen Gebieten setzte das Kabinett Akzente: Die staatliche Förderung der wissenschaftlichen Ausbildung wurde geregelt ("Rucker-Plan"), das Max-Planck-Institut für Kernphysik errichtet. Außerdem entstaubte das Regierungsbündnis das bayerische Landesrecht von 1802 und brachte es auf einen aktuellen Stand. Auch der Kreis Lindau kehrte nach Bayern zurück, als der Freistaat rot war.
Die Viererkoalition, die von Konservativen als "volksfremde Staatsstreichregierung" oder "widernatürliche Unzucht" (der damalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard) bezeichnet wurde, war nach knapp drei Jahren am Ende - am 8. Oktober 1957 trat Ministerpräsident Hoegner zurück, acht Tage später wurde Hanns Seidel von der CSU sein Nachfolger an der Spitze einer Koalitionsregierung von CSU, FDP und BG/BHE, die SPD und die Bayernpartei gingen in die Opposition.
Seither ist die CSU in Bayern ununterbrochen an der Macht und regiert derzeit mit einer komfortablen Zweidrittelmehrheit. Mit diesen Verhältnissen will sich der 25-jährige Ludwig Hoegner eigentlich nicht abfinden. Der Jungsozialist und Urenkel des einzigen bayerischen SPD-Ministerpräsidenten wünscht sich von seiner Partei, dass sie mit ihren Personen und Themen "mehr an den Stammtischen und in den Vereinen vertreten ist". Wunderbare Gedanken und richtige Konzepte reichten nicht aus, wenn damit "nur Verstand und Vernunft erreicht werden".
Einen Auftrag an die eigene politische Arbeit leitet der Münchner Informatikstudent nicht vom Wirken seines Urgroßvaters ab. "Das wäre übertrieben." Aber Ludwig Hoegner nimmt die roten Jahre Bayerns als "moralische Stütze" für Gegenwart und Zukunft der SPD. Es freut ihn, wenn alte Genossen über diese "gute alte Zeit" berichten. Respekt hat er schon als Kind vor seinem Uropa gehabt. "Fast ein wenig Angst sogar", sagt er. Das hängt mit einem Gemälde zusammen, das im Arbeitszimmer seines Vaters hängt. Auf dem gemalten Bild schaut der frühere Ministerpräsident einfach ein wenig "zu streng".