Im NSU-Prozess hat die Verteidigung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe einen weiteren Befangenheitsantrag gestellt. Der beisitzende Richter Peter Lang habe einen Ordner mit der handschriftlichen Aufschrift "NSU" in den Saal gebracht, sagte Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer am Mittwoch zur Begründung. Daraus sei zu schließen, dass der Richter das Bestehen der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" bereits für erwiesen halte. Dies sei jedoch "einer der zentralen Gegenstände der gerichtlichen Untersuchung".
Damit habe der Richter deutlich gemacht, "dass er unserer Mandantin gegenüber nicht unvoreingenommen ist", sagte Heer in der Hauptverhandlung. "Aus Sicht unserer Mandantin macht sich der abgelehnte Richter Dr. Lang die massive Vorverurteilung in der Öffentlichkeit und durch staatliche Stellen zu eigen."
Alle bisherigen Befangenheitsanträge wurden abgelehnt
Die mutmaßlichen NSU-Helfer Ralf Wohlleben und André E. schlossen sich dem Antrag an. Die Verteidiger Zschäpes und Wohllebens haben schon mehrere Befangenheitsanträge gestellt, die bislang alle abgelehnt wurden.
Die Bundesanwaltschaft trat dem Antrag entgegen. Die Beschriftung biete "bei der gebotenen vernünftigen Würdigung" keinen Anlass, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln, sagte Oberstaatsanwältin Anette Greger. Ein Nebenklage-Anwalt merkte an, dass im Sitzungssaal etwa 600 Ordner stehen, die alle mit "Nationalsozialistischer Untergrund - NSU" beschriftet sind. Dabei handelt es sich allerdings um Ermittlungsakten der Bundesanwaltschaft, die nicht vom Gericht beschriftet wurden.
Das Gericht verhandelt zunächst weiter
Das Gericht verhandelte am Mittwoch zunächst weiter; über den Befangenheitsantrag soll später entschieden werden. Die Beteiligten haben bis diesen Freitag Gelegenheit zu weiteren Stellungnahmen.
Am Mittwoch wurde der Thüringer Rechtsextremist André Kapke zum zweiten Mal als Zeuge vernommen. Er war in den 90er Jahren in der Jenaer Neonazi-Szene unterwegs und hatte dort unter anderem Kontakt zu Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Kapke berichtete, dass Böhnhardt ihn anrief, als Ermittler im Januar 1998 eine Garage durchsuchten, die das Trio als Bombenwerkstatt nutzte.
Das ist Beate Zschäpe
Beate Zschäpe wurde am 2. Januar 1975 in Jena geboren. Dem Hauptschulabschluss folgte eine Ausbildung als Gärtnerin.
Von Mitte 1992 bis Herbst 1997 ging Beate Zschäpe einer Arbeit nach, zweimal unterbrochen von Arbeitslosigkeit. So steht es in einem Bericht des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer für die Thüringer Landesregierung. «Ihre Hauptbezugsperson in der Familie war die Großmutter», heißt es weiter.
Mit dem Gesetz kam Zschäpe erstmals als 17-Jährige in Konflikt. Der Schäfer-Bericht vermerkt 1992 mehrere Ladendiebstähle. 1995 wurde sie vom Amtsgericht Jena wegen «Diebstahls geringwertiger Sachen» zu einer Geldstrafe verurteilt.
Zu der Zeit war sie aber häufiger Gast im Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla, bald an der Seite des Rechtsextremen Mundlos. Über das ungewöhnliche Dreiecksverhältnis zwischen ihr, Mundlos und Böhnhardt ist viel spekuliert worden.
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beteiligten sich zu der Zeit an Neonazi-Aufmärschen im ganzen Land.
Im Alter von 23 Jahren verschwand die junge Frau mit den beiden Männern aus Jena von der Bildfläche. Zuvor hatte die Polizei ihre Bombenbauerwerkstatt in der Thüringer Universitätsstadt entdeckt.
Danach agierte Zschäpe mit einer Handvoll Aliasnamen: Sie nannte sich unter anderem Silvia, Lisa Pohl, Mandy S. oder Susann D. Zeugen beschrieben sie als freundlich, kontaktfreudig und kinderlieb. Bei Diskussionen in der Szene soll sie jedoch die radikaleren Positionen ihrer beiden Kumpane unterstützt haben.
Nach der Explosion in Zwickau am 4. November 2011 war Zschäpe mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland unterwegs. Sie verschickte auch die NSU-Videos mit dem menschenverachtenden Paulchen-Panther-Bildern. Am 8. November stellte sie sich der Polizei in Jena.
Im Prozess schwieg Zschäpe lange Zeit. An Verhandlungstag 211, im Juni 2015, antwortete sie dem Richter ein erstes Mal, und zwar auf die Frage, ob sie überhaupt bei der Sache sei.
Zu den Vorwürfen äußerte sich Zschäpe erstmal im September 2015. Ihr Verteidiger las das 53-seitige Dokument vor, in dem Zschäpe ihre Beteiligung an den Morden und ihre Mitgliedschaft im NSU bestritt. Lediglich die Brandstiftung in der letzten Fluchtwohnung des Trios gestand sie.
Ein psychologisches Gutachten aus dem Januar 2017 beschreibt Zschäpe als "voll schuldfähig".
Böhnhardt habe gesagt, "dass er, sobald sich die Möglichkeit ergibt, sich ins Auto setzt und wegfährt", sagte Kapke. Er sei dann zu Böhnhardt gegangen, der in der Nähe wohnte. Auch nachdem die mutmaßlichen späteren Terroristen untertauchten, hielt Kapke Kontakt.
Zeuge kann sich nicht erinnern
Wenn er nach Details gefragt wurde, berief sich Kapke allerdings immer wieder auf Erinnerungslücken. Nur ein Beispiel: Ob er Geld für die drei Untergetauchten überbracht habe, fragte Richter Manfred Götzl. "Ach, das kann ich Ihnen jetzt gar nicht genau sagen." Götzl wird konkreter: Ob er bei der Mutter von Uwe Böhnhardt Geld abgeholt habe? "Daran habe ich keine Erinnerung."
Schließlich hält Götzl dem Zeugen die Aussage von Brigitte Böhnhardt vor, die genau das ausgesagt hatte. "Keine Erinnerung, dass ich da jemals irgendwas abgeholt hab'." So in etwa lief die gesamte Vernehmung. Vor allem Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten versuchte, den Zeugen auf eine klare Falschaussage festzunageln - doch ohne klares Ergebnis. Am Nachmittag wurde die Vernehmung unterbrochen. André Kapke soll zu einem anderen Termin wiederkommen.