Beobachtet der Verfassungsschutz die Reichsbürger-Bewegungen?
Burkhard Körner: In Teilen. Die „Reichsbürger“ sind in keiner einheitlichen „Reichsbürgerbewegung“ organisiert. Vielmehr existiert eine Reihe unterschiedlichster Personen und Gruppierungen, die unter Berufung auf das „Deutsche Reich“ die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnen. Dabei lassen sich vereinzelt rechtsextremistische oder revisionistische Tendenzen erkennen.
Das klingt sehr unübersichtlich...
Reichsbürger, Germaniten, Identitäre - Die Szene der Staatsverweigerer
Die Bewegung der Staatsverweigerer ist sehr heterogen. Sie umfasst mehrere sektenartige Gruppen von Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen, die seit den 1980er-Jahren entstanden und untereinander zerstritten sind.
Nur in einem sind sie sich einig: Deutschland sei kein echter Staat, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 bestehe fort.
Die Gruppen haben keine feste Organisationsstruktur.
Die erste bekannte Organisation von „Reichsbürgern“ wurde 1985 als „Kommissarische Regierung des Deutschen Reiches“ gebildet. Gründer war Wolfgang Gerhard Günter Ebel, ein Westberliner Eisenbahner, der sich fortan „Reichskanzler“ nannte.
Die Anhänger sprechen dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab.
Ein Schwerpunkt in der Region ist das Allgäu. Doch bayernweit nehmen die Zahlen der "Reichsbürger" zu. Derzeit sind knapp über 300 Personen im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West als „Reichsbürger“ eingestuft.
Die Germaniten wurde im Dezember 2010 von einer gewissen Ulrike Kuklinski auf der Schwäbischen Alb gegründet.
Sie sieht sich als Opfer der deutschen Justiz und bildete mit Gleichgesinnten die Behindertenfürsorge „Deutsche Ringvorsorge“, die Keimzelle des „Staates Germanitien“.
Die Bewohner verstehen sich allen Ernstes als souveränes Staatsvolk mit einem eigenen Staatsgebiet in den Grenzen von 1937.
Der Ursprung der Identitären Bewegung liegt in Frankreich, wo sie zu Beginn des Jahrhunderts im Dunstkreis des Front National entstand. Sehr aktiv ist die IB in Österreich, neuerdings auch in Bayern.
Sie ist ethnopluralistisch – jede Ethnie soll ihren eigenen Raum haben – und geht von einer geschlossenen „europäischen Kultur“ aus, die vor allem vom Islam bedroht sei. Für Experten ist die IB eine neue Form des Rechtsextremismus. (hogs, sohu)
Körner: Die Bewegung als solche hat keinen Vorsitzenden, keinen Vorstand und keine Organisationsstruktur. Der Kreis derer, die sich den Reichsbürgern irgendwie zugehörig fühlen, ist deutlich gewachsen. Darunter sind Querulanten, Spinner, Verschwörungstheoretiker und Geschäftemacher, aber auch Rechtsextremisten. Uns interessiert vor allem die Gruppe der Exilregierung Deutsches Reich. Sie geht davon aus, dass es die Bundesrepublik Deutschland als Staat einfach nicht gibt und nach wie vor das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 existiert. Ihre Ideologie ist völkisch und antisemitisch. Das ist klar rechtsextremistisch. In Bayern sind das 30 bis 40 Personen. Zuletzt gab es zwei Treffen, im März in Landsberg, im April in Tännesberg in der Oberpfalz.
Keine unmittelbare Gefahr der Demokratie durch Reichsbürger-Bewegung
Wie beurteilen Sie die Reichsbürger-Bewegungen? Sind sie eine Gefahr für die Demokratie?
Körner: Eine unmittelbare Gefahr für die Demokratie geht von den meisten Reichsbürgergruppierungen nicht aus. Was uns derzeit besonders beschäftigt, ist, dass im Zuge der Migrationsdebatte die Anschlussfähigkeit rechtsextremistischer Ideologie in die Gesellschaft wächst. Ein Beispiel sind die Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Asylbewerberheime. In Bayern kam ein Großteil der Täter nicht aus dem klassischen rechtsextremen Spektrum. Die meisten waren Nachbarn oder aber gewalttätige Personen, die bisher mit Rechtsextremismus nichts zu tun hatten, etwa Hooligans.
Was ist das Motiv der Menschen, sich solchen Bewegungen anzuschließen?
Körner: Die Motive sind sehr unterschiedlich. Die einen wollen Geld verdienen, die anderen Steuern umgehen oder ihre Strafzettel nicht bezahlen. Dann gibt es auch noch die Querulanten, die offensichtlich Freude daran haben, Behörden unnötige Arbeit zu machen. Nur bei einem kleinen Teil sind klar politisch-extremistische Motive erkennbar.
Ziele der Reichsbürger heterogen
Was ist nach Ihren Erkenntnissen das Ziel dieser Bewegungen?
Körner: Die Ziele sind – genauso wie die Motive – bei dieser Bewegung sehr heterogen. Eine klare politisch-extremistische Zielsetzung ist häufig nicht erkennbar.
Gibt es Verbindungen von Reichsbürgern zu Rechtsextremisten?
Körner: Ja, die gibt es. In Bayern betrifft dies insbesondere die bereits oben erwähnte Exilregierung Deutsches Reich.
Kann man diese Bewegungen verbieten?
Körner: Wir müssen auf die Verhältnismäßigkeit achten. Ein Verbot ist dann möglich, wenn eine extremistische Gruppierung aktiv kämpferisch auftritt. Diese Schwelle ist bei der Exilregierung Deutsches Reich noch nicht erreicht.
Identitäre Bewegung neu in Bayern
Neu in Bayern ist die Identitäre Bewegung? Was ist bei denen anders und wie beurteilen Sie deren Organisationsstruktur und die Gefahren, die von dieser Gruppierung ausgehen?
Körner: Die Identitären verfolgen einen Ethnopluralismus – jede Ethnie soll ihren eigenen Raum haben, ein Miteinanderleben wird ausgeschlossen. Das ist nahe an der Blut-und-Boden-Ideologie des Nationalsozialismus, wenngleich die Identitären andere Ethnien per se nicht als minderwertig ansehen.
Was bedeutet das?
Körner: Zu Ende gedacht wollen die Identitären mit ihrem Ethnopluralismus nichts anderes als eine ethnische Säuberung. In Bayern zeigt die Identitäre Bewegung derzeit einen Expansionsdrang. Identitäre Treffen gab es jüngst beispielsweise in Bad Tölz und Mühldorf.
Was ist anders als bei den Reichsbürgern?
Körner: Im Gegensatz zu den Reichsbürgern gibt es eine klare Organisationsstruktur und einen harten Kern, der in Bayern etwa 40 bis 50 jüngere Personen umfasst. In Bayern fungieren die Gruppierungen IB Bayern, IB Schwaben und IB Franken als Dachorganisationen für lokale Ableger. Zur Gründung neuer Ortsgruppen wurden im ersten Halbjahr 2016 mehrere sogenannte „Gründungsstammtische“ durchgeführt. Interview: Holger Sabinsky-Wolf
Reichsbürger: Wie gefährlich sind die neuen Staatsfeinde?