Landshut - Mehmet Desde hatte sich die Reise in die Türkei ganz anders vorgestellt. Aus dem achtwöchigen Urlaubstrip wurde ein mehr als sechsjähriger Zwangsaufenthalt. Wegen der angeblichen Mitgliedschaft in einer oppositionellen Partei wurde er angeklagt, verurteilt und ins Gefängnis gesteckt. Nahezu zwei Jahre saß der gebürtige Kurde mit deutschem Pass in der Türkei in Haft, zwischen den Prozessen in erster und zweiter Instanz war er zwar frei - durfte aber fast viereinhalb Jahre lang nicht in die Bundesrepublik ausreisen.
Vor wenigen Wochen wurde Desde, der stets seine Unschuld beteuert hat, nach Verbüßung der Haft freigelassen, konnte nach Bayern zurückkehren, muss wegen der Erlebnisse in der Türkei allerdings jetzt in einem Folteropferzentrum behandelt werden. Nach seiner Festnahme sei er mehrere Tage gefoltert worden, um ein Geständnis zu erpressen, berichtet der 49-Jährige. Die Haft hat dem nach Angaben seiner Freunde ehemals lebensfrohen Mann massiv zugesetzt. Früher sei er kerngesund gewesen, nun habe er Bluthochdruck und Diabetes, sagt Desde. "Ich muss pro Tag sechs, sieben Tabletten nehmen."
In den vergangenen Jahren hatte sich auch Organisation amnesty international (ai) lange für den inhaftierten Deutschen eingesetzt, sie betrachtete den Landshuter als politischen Gefangenen. "Mehmet Desde wurde in einem unfairen Verfahren, das internationalen Standards nicht entsprach und sich jahrelang hinschleppte, an der Ausreise nach Deutschland gehindert und zu einer Haftstrafe verurteilt", lautet das Fazit der ai-Türkeiexpertin Barbara Neppert.
Desde lebt seit 1979 in der Bundesrepublik und ist seit 2001 deutscher Staatsangehöriger. Im Sommer 2002 war er zunächst zur Beerdigung seines Vaters in die Türkei gereist, anschließend wollte er noch einige Wochen im Land bleiben. Dann sei er mit einem Freund während einer Autofahrt etwa 90 Kilometer von Izmir entfernt festgenommen worden, erzählt er. "Sie haben mir gleich die Augen verbunden, dann wurde ich verhört." Ihm sei vorgeworfen worden, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein. "Ich habe in den Verhören zum ersten Mal von dieser Organisation gehört", sagt Desde.
Er berichtet, dass er von den türkischen Polizisten vier Tage lang gefoltert worden sei. Er habe kein Essen, kein Wasser bekommen und sei in eine Zelle ohne Licht gesperrt worden. Zudem sei er geprügelt und körperlich misshandelt worden. Außerdem sei ihm gedroht worden, dass er mit Beton übergossen und im Meer ertränkt werde. Nach Desdes Angaben haben die türkischen Behörden auch nicht die deutschen Diplomaten informiert - sie hätten seinen Pass als Fälschung abgetan. Erst sein Bruder habe den Konsul der Bundesrepublik informiert.
Wenige Monate später wurde Desde gemeinsam mit neun anderen Beschuldigten verurteilt. Laut ai wurden die Männer aufgrund von wohl unter Folter erpressten Aussagen verurteilt, Zeugen der Verteidiger seien gar nicht vom Gericht angehört worden. Vorübergehend wurde Desde zwar freigelassen, er durfte aber jahrelang nicht die Türkei verlassen und auch arbeiten. Der Landshuter musste von deutscher Sozialhilfe leben und hat versucht, auf seine verzweifelte Lage aufmerksam zu machen. "Ich habe 35 Presseerklärungen geschrieben." Nachdem sich ai des Falls angenommen hatte, bekam er von vielen Menschen wenigstens Zuspruch und emotionale Unterstützung. "Ich habe 6000 Briefe aus aller Welt bekommen", erinnert sich Desde.
Nachdem er und seine Mitangeklagten 2006 auch in einem weiteren Prozess verurteilt wurden, musste Desde die Reststrafe absitzen. Um die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten, wird er derzeit im Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin behandelt. Die Therapie dort werde mindestens ein halbes Jahr dauern, erzählt der 49-Jährige. Danach will er Bücher schreiben, um über seine Erfahrungen zu berichten. "Ich will für die Gerechtigkeit kämpfen", sagt er. "Wer bringt mir meine sieben Jahre zurück?" Desde schließt allerdings trotz allem nicht aus, dass er auch künftig wieder in die Türkei reist. "Irgendwann möchte ich dort wieder Urlaub machen."