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Interview mit Experten: Strahlenmediziner: Ein Super-Gau ist in Deutschland jederzeit möglich

Interview mit Experten

Strahlenmediziner: Ein Super-Gau ist in Deutschland jederzeit möglich

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    Prof. Edmund Lengfelder vom Münchner Otto Hug Strahleninstitut.
    Prof. Edmund Lengfelder vom Münchner Otto Hug Strahleninstitut.

    Der Strahlenmediziner Prof. Edmund Lengfelder hat zum 25. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor den Gefahren der Atomkraft auch hierzulande gewarnt. Ein Super-Gau wie damals in der Ukraine oder jetzt in Japan sei jederzeit auch in Deutschland möglich. Die Folgen von Fukushima für Japan und die Welt seien derzeit noch nicht absehbar. Lengfelder gründete die Gesellschaft für Strahlenschutz und das Münchner Otto Hug Strahleninstitut und betreut bis heute Menschen mit Schilddrüsenerkrankungen und -krebs in der Katastrophenregion von Tschernobyl. Im vom Otto Hug Institut gegründeten Schilddrüsenzentrum in Gomel in Weißrussland wurden seit der Gründung 1993 rund 160 000 Menschen behandelt.

    Herr Prof. Lengfelder, was würde bei einem solchen Unfall in Deutschland passieren?

     Lengfelder: "Wir haben ja mit dem Otto Hug Strahleninstitut auch Katastrophenschutzszenarien aus der Erfahrung von Tschernobyl analysiert. In einem Land wie Deutschland sehe ich in einem solchen Fall keine Möglichkeit einer angemessenen Hilfe für die betroffene Bevölkerung. In Deutschland ist die Besiedlungsdichte zehnmal höher als in der Region um Tschernobyl. Damit müssten bis zu sechs Millionen Menschen evakuiert werden. Geordnet ist das nicht möglich."

    In Japan wurde die Sperrzone jetzt auf 30 Kilometer erweitert. Reicht das denn?

    Lengfelder: "Die Sperrzone, die jetzt - viel zu spät - ausgedehnt wurde, reicht bei weitem nicht aus, um einen angemessenen Gesundheitsschutz für die Bevölkerung zu gewährleisten. Bereits eine Woche nach dem Super-Gau in Fukushima haben unabhängige russische Journalisten in einer Entfernung von rund 50 Kilometern westlich des Reaktorstandorts in der Stadt Koriyama Werte von 250 Mikrosievert pro Stunde gemessen. Bei einem solchen Wert heißt es ganz klar: evakuieren. Das hat die japanische Regierung aber schon deshalb nicht gemacht, weil der Staat damit die Verantwortung für die Menschen übernehmen und Unterbringung und Versorgung sicherstellen muss. Und dazu ist er nicht in der Lage."

    Wie ist denn die weitere Prognose für Japan?

    Lengfelder: "Das kann man nicht beantworten, weil die Freisetzung aus mindestens drei Reaktoren mit Kernschmelze überhaupt nicht gestoppt ist. Es ist seit Wochen ein herumprobieren, was man tun könnte, um den Vorgang der Kernschmelze zu unterbinden. Das ist völlig anders als in Tschernobyl, wo spätestens nach zehn Tagen die Freisetzung gestoppt war."

    Das heißt, Fukushima ist weit schlimmer als Tschernobyl?

    Lengfelder: "Ja. Das sehe ich so. In Fukushima haben wir die etwa 20-fache Besiedelungsdichte im Vergleich zu Tschernobyl. In Fukushima gibt es viel mehr radioaktives Inventar als in Tschernobyl. Das liegt auch daran, dass die abgebrannten Brennstäbe in den Abklingbecken waren. Es ist 20 bis 50 Mal mehr, was an Radioaktivität noch freigesetzt werden kann."

    Welche weltweiten Folgen könnte Fukushima haben?

    Lengfelder: "Ich möchte da nicht spekulieren. Ich finde es jedenfalls inakzeptabel, wenn die japanische Regierung die radioaktiven Tanks in den Pazifik entleert, um - wie sie sagen - stärker radioaktives Wasser einzulagern. Das eingeleitete Wasser wird nicht in der Nähe von Japan bleiben. Aber da muss man wirklich messen. Erst wenn man in ein paar hundert oder tausend Kilometern Entfernung über längere Zeit im Meer gemessen hat, kann man sagen, was das für eine Bedeutung hat. Und dann sind da die großen kontaminierten Gebiete in Japan selbst. Auf jeden Fall wird die Zone, die langfristig nach ärztlichen Prinzipien nicht mehr bewohnbar sein wird, größer sein als in Tschernobyl."

    Tschernobyl liegt mehr als 1300 Kilometer von Bayern entfernt. Trotzdem wurde der Freistaat stark vom Fallout getroffen. Wie sind denn die gesundheitlichen Folgen bis heute?

    Lengfelder: "Wir sind in Bayern mit einer Krebsstudie leider nicht weitergekommen, weil es für Bayern kein Krebsregister gibt. Wir sind deshalb nach Tschechien gegangen. Dort gab es weniger Fallout als in Bayern. Zu unserer Überraschung fanden wir da aber dennoch einen hochsignifikanten Anstieg von Schilddrüsenkrebs nach Tschernobyl gerade bei Frauen. Frauen bekommen prinzipiell etwa dreimal häufiger Schilddrüsenkrebs als Männer. Das ist hormonell bedingt."

    Sind denn die Folgen von Tschernobyl bis heute in Böden und Lebensmitteln in Deutschland messbar?

    Lengfelder: "Sauber ist nichts. Tschernobyl ist schon noch da. Wir haben in Bayern besonders belastete Regionen: den Bayerischen Wald, den Oberpfälzer Wald, das Berchtesgadener Land, den südlichen Landkreis Miesbach und ein großes Gebiet westlich von Augsburg. Dort wird weiterhin von den Jagdverbänden festgestellt, dass die Wildschweine, die dort geschossen werden, zum Teil noch sehr hohe Belastungswerte haben und  nicht in den Handel kommen dürfen. Auch Pilze können noch hoch belastet sein. Es geht heute fast ausschließlich um das Cäsium 137 mit einer Halbwertszeit von 30 Jahren. Das heißt, wir sind heute noch nicht einmal nach der ersten Halbwertszeit."

    Muss man noch aufpassen, was man im Garten anbaut?

    Lengfelder: "Im normalen Gemüsegarten spielt das nach unserer Erfahrung keine Rolle mehr. Aber das Ökosystem Wald führt dazu, dass in der obersten Nadelstreu- und Humusschicht die Radioaktivität hängenbleibt. Sie hat ein zehn bis 20 Mal höheres Bindungsvermögen als Sand und Mergel oder was immer darunter ist. Im Garten oder auf dem Acker wurde das umgepflügt oder umgestochen." dpa

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