Wiederaufnahmeverfahren, wie das im Fall Peggy Knobloch, haben das Ziel, rechtskräftige Gerichtsurteile nachträglich zu überprüfen. Solange ein Urteil noch nicht rechtskräftig ist, können Staatsanwaltschaft und Verteidigung Rechtsmittel einlegen.
Der Richterspruch kann nur durch ein Wiederaufnahmeverfahren geändert werden
Dann wird der Fall in der nächsten Gerichtsinstanz verhandelt. "Tauchen aber zum Beispiel neue Zeugen oder das Ergebnis einer DNA-Untersuchung erst auf, nachdem das Urteil rechtskräftig geworden ist, kann der Richterspruch nur noch durch ein Wiederaufnahmeverfahren abgeändert werden", erläutert der Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins, Walter Groß.
Auch schwere Verfahrensmängel oder Straftaten, die Einfluss auf das Urteil haben konnten, sind Wiederaufnahmegründe. Dann heißt es: Alles auf Anfang. Das ursprüngliche Gerichtsverfahren wird noch einmal wiederholt. Deshalb muss auch wieder die gleiche Anklageschrift wie im ersten Prozess verlesen werden.
Fragen und Antworten zum Fall Peggy
Weshalb wird der Fall Peggy nach zehn Jahren neu aufgerollt?
Das Landgericht Bayreuth ordnete die Wiederaufnahme des Verfahrens aus zweierlei Gründen an: Ein wichtiger Belastungszeuge räumte im September 2010 ein, falsch ausgesagt zu haben. Er hatte 2004 behauptet, Ulvi K. habe ihm den Mord an Peggy gestanden. Beim damaligen Prozess war außerdem nicht bekannt, dass die Ermittler eine Tathergangshypothese erstellt hatten - sie war dem späteren Geständnis von Ulvi K. verblüffend ähnlich.
Wie und weshalb soll Ulvi K. die kleine Peggy getötet haben?
Das Gericht war davon überzeugt, dass der Gastwirtsohn die Schülerin zunächst auf einem Feldweg verfolgte und ihr dann so lange Mund und Nase zuhielt, bis sie sich nicht mehr rührte. Mit diesem Mord habe er einen vier Tage zuvor begangenen sexuellen Missbrauch an Peggy vertuschen wollen, heißt es im Urteil.
Warum gibt es Zweifel an dieser Version?
Ulvi K.'s Betreuerin Gudrun Rödel führt ins Feld, dass er wegen seines enormen Körpergewichts gar nicht in der Lage gewesen wäre, dem Mädchen hinterherzurennen. Außerdem müsste ein geistig Behinderter das perfekte Verbrechen begangen haben - denn die Leiche von Peggy wurde nie gefunden. Auch Spuren gibt es so gut wie keine.
Welche Behinderung hat Ulvi K.?
Der heute 36-Jährige erlitt im Alter von zweieinhalb Jahren eine Gehirnhautentzündung. Seitdem ist er geistig behindert. Ein Gutachten aus dem Jahr 2003 bescheinigte ihm einen IQ von 67.
Wo ist Ulvi K. untergebracht?
Ulvi K. ist in keinem Gefängnis. Wegen exhibitionistischen Handlungen vor Kindern wurde er noch vor seiner Verurteilung im Fall Peggy in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen. Dort befindet er sich noch immer. Seine Freiheitsstrafe wegen Mordes hat er noch nicht angetreten. Sollte Ulvi K. von dem Vorwurf freigesprochen werden, kommt er nicht automatisch aus der Psychiatrie frei.
Stimmt es, dass Ulvi K. und Gustl Mollath befreundet sind?
Ja. Beide waren für einige Zeit in der gleichen psychiatrischen Einrichtung untergebracht und freundeten sich dort an. Vor einigen Wochen trafen sich Ulvi K. und der mittlerweile entlassene Gustl Mollath in Bayreuth auf einen Kaffee.
Wurde bei der Suche nach Peggy tatsächlich auch Hinweisen von Hellsehern nachgegangen?
Die Polizei prüfte jeden Hinweis zunächst auf Plausibilität. Das galt auch für Tipps von Hellsehern. Denn: Der Täter hätte sich als Hellseher ausgeben können, um sich nicht verdächtig zu machen, wie ein Polizeisprecher erklärt.
Lebt Peggy womöglich noch?
Die Unterstützer von Ulvi K. haben diese Theorie immer wieder ins Spiel gebracht. Sie glauben an eine Entführung. Bereits bei den ersten Ermittlungen 2001 und 2002 gaben Zeugen an, ein Auto mit tschechischem Kennzeichen in Lichtenberg gesehen zu haben, in das Peggy eingestiegen sei. Diese Spur führte aber ins Leere.
Bei einem Wiederaufnahmeverfahren zu Gunsten eines Angeklagten kann der Angeklagte zu keiner höheren Strafe verurteilt werden - bei einem Wiederaufnahmeverfahren zu Ungunsten des Angeklagten dagegen schon.
Wiederaufnahmeverfahren sind an strenge Voraussetzungen geknüpft
Im Jahr 2012 gab es laut Statistischem Bundesamt im deutschen Strafrecht 908 Wiederaufnahmeverfahren zu Gunsten eines Angeklagten und 566 zu Ungunsten eines Angeklagten. "Gemessen an der Gesamtzahl der jährlich gesprochenen Urteile gibt es dennoch nur sehr wenige Wiederaufnahmeverfahren", betont Groß, der Direktor des Amtsgerichts Fürth ist.
Sie sind aus gutem Grund an sehr strenge Voraussetzungen geknüpft: "Wenn es möglich wäre, Strafverfahren sehr einfach immer wieder neu aufzurollen, müssten etwa die Opfer oder Hinterbliebenen ständig aufs Neue in den Zeugenstand und das ganze Leid wieder durchleben", sagt Groß.
Am Ende eines Wiederaufnahmeverfahrens können Verteidigung und Staatsanwalt gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen. Wiederaufnahmeverfahren gibt es nicht nur im Strafverfahren, sondern auch allen anderen Gerichtsverfahren. (dpa/lby)