Hunderte Male schon hat der Musiker Kay Reinhardt die Marienbrücke gleich hinter Schloss Neuschwanstein überquert. Seit 2007 stand er immer wieder mit seiner Drehleier an einem kleinen Platz bei der Brücke, spielte das Neuschwansteinlied und erklärte Besuchern sein Instrument. Jetzt trifft man den Mann im historischen Kostüm dort nicht mehr. Die Schlossverwaltung duldet keine Künstler mehr rund um das Märchenschloss. Wer ohne Erlaubnis spielt, macht Bekanntschaft mit dem Sicherheitsdienst.
Kay Reinhardt, früher Museumsleiter in Schongau, Ulm und später in Marktoberdorf, kann nicht nachvollziehen, warum ihm die neue Schlossverwaltung – die nach dem Skandal um Mobbing und schwarze Kassen auf dem Schloss ihre Arbeit aufgenommen hat – keine Erlaubnis zum Spielen erteilt. „Aus verschiedenen übergeordneten Gründen“ sei das nicht mehr möglich, zitiert der 53-Jährige aus einer Mail des früheren kommissarischen Verwaltungsvorstands Josef Streun, der inzwischen abgelöst wurde.
Petition an den Bayerischen Landtag
Diese Begründung genügte Reinhardt nicht. Weil er nach eigener Aussage auf vielfache Nachfrage hin keine andere bekam, greift er jetzt zum für ihn äußersten Mittel: Er hat eine Petition beim Bayerischen Landtag eingereicht. Von seiner Beschwerde erhofft er sich die Erlaubnis, weiter auftreten zu dürfen. „Ich sehe, dass meine Musik den Leuten gefällt“, sagt der Musiker aus Rott am Lech (Kreis Landsberg). Eine Unterschriftenliste soll das auch den Politikern klar machen: 2189 Leute haben unterschrieben, dass Reinhardt weiter an der Marienbrücke spielen soll. Der freiberufliche Musiker verschweigt im Gespräch mit unserer Zeitung ebensowenig, dass ein Auftrittsverbot ihn auch finanziell treffen würde.
Bei der Bayerischen Schlösserverwaltung sieht man Reinhardts Petition gelassen: „Das ist das Recht jedes Einzelnen, ergibt aber für uns keine andere Einschätzung der Gesamtlage“, sagte Pressesprecherin Cordula Mauß auf Anfrage. Die Schlossverwaltung von Neuschwanstein will sich nicht äußern. Mauß jedoch begründet das Auftrittsverbot mit der Vielzahl an Künstler-Anfragen, ohne genaue Zahlen zu nennen. „Wir haben uns entschieden, das künftig niemandem mehr zu genehmigen.“ Man wolle keine „Bezugsfälle, auf die sich dann wieder andere beziehen“.
Keine Genehmigung, trotz Bereitschaft zu zahlen
Die berühmten Schlösser von König Ludwig II.
König Ludwig II. (1845-1886) war ein romantischer und baufreudiger König. Mit seinen prunkvollen Schlössern, die jährlich rund 2,5 Millionen Besucher aus aller Welt anlocken, setzte er sich ein dauerhaftes Denkmal.
- Neuschwanstein: Das idyllisch in den Bergen gelegene Schloss Neuschwanstein ist das berühmteste Bauwerk von König Ludwig II. Rund 1,3 Millionen Besucher wollen jedes Jahr das Märchenschloss bei Füssen sehen, eine Anlage mit prunkvollen Wohnräumen, einem Thron- und einem Sängersaal. Die Innenräume sind reich mit Darstellungen aus der deutschen Sagenwelt und den Werken Richard Wagners geschmückt.
- Linderhof: Das Schloss Linderhof bei Oberammergau ist das kleinste der Schlösser von König Ludwig II. Es ist zudem das einzige, das noch zu seinen Lebzeiten vollendet wurde. Attraktion ist die Venusgrotte, eine künstlich angelegte Tropfsteinhöhle mit einem Wasserfall und einem See, auf dem sich der König gerne herumrudern ließ.
- Herrenchiemsee: Als Abbild des Schlosses von Versailles sollte dieses Gebäude auf der größten Insel des Chiemsees ein Denkmal für den französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. werden. Zu sehen sind rund 20 Prunkräume, darunter das Paradeschlafzimmer und die Große Spiegelgalerie. (dpa)
Kay Reinhardt mag sich damit nicht abfinden. Er beruft sich auf eine Vereinbarung mit dem früheren Schlossverwalter Hubert Nikol, der von 2010 bis 2012 im Amt war und ihm und zwei weiteren Musikern mündlich „Bestandsschutz“ zugesichert habe. Außerdem kritisiert der Musiker die Schlossverwaltung für ihre „schwammigen Aussagen“. In einer Mail, die unserer Zeitung vorliegt, heißt es etwa, dass Genehmigungen, „wenn sie denn überhaupt möglich wären“, nur gegen eine Abgabe erteilt würden. Reinhardt signalisierte Bereitschaft zu zahlen. Eine Genehmigung bekam er nicht. „Das löst nicht das beschriebene Problem“, sagt die Pressesprecherin heute.
Unvorstellbar: Neuschwanstein ohne historische Lieder
Kay Reinhardt hofft jetzt auf den Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags. „Mit meiner Musik vermittle ich kulturelle Bildung“, sagt er. Kaum irgendwo könne er das besser als auf Schloss Neuschwanstein. Schon im Vorgängerbau des Schlosses hätten Minnesänger gelebt. „Außerdem ist Füssen die Wiege des europäischen Lauten- und Geigenbaus.“ Dass dort keine historischen Lieder mehr erklingen sollen – der Musiker kann es sich nicht vorstellen. Und er ist nicht der Einzige, der sich gegen das Auftrittsverbot wehrt. Inzwischen habe auch ein befreundeter Maler eine Petition eingereicht.