Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Polizistenmord: Rudi R.: Das Leben eines Berufsverbrechers

Polizistenmord

Rudi R.: Das Leben eines Berufsverbrechers

    • |
    Verbirgt sein Gesicht vor dem Fotografen: Rudi R. auf dem Weg zum Haftrichter am 07.03.1975. Er ist wegen Ermordung eines Polizeibeamten angeklagt.
    Verbirgt sein Gesicht vor dem Fotografen: Rudi R. auf dem Weg zum Haftrichter am 07.03.1975. Er ist wegen Ermordung eines Polizeibeamten angeklagt. Foto: Fred Schöllhorn

    Am Ende ist es ein Duell wie im Western. Wie Gut gegen Böse. Von Angesicht zu Angesicht. Sogar der Uhrzeiger wandert langsam gegen zwölf Uhr mittags, als Rechtsanwalt Walter Rubach, der Witwe und Schwester des erschossenen Polizeibeamten Mathias Vieth vertritt, als dieser Walter Rubach also dem Angeklagten Rudi R. direkt in die Augen blickt und ihn persönlich anspricht: „Sie behaupten doch immer, wir würden in einem faschistischen Staat leben. Ich sage Ihnen: Wenn wir in einem faschistischen Staat leben würden, dann säßen Sie heute nicht hier. Dann hätte man Sie nach Ihrem ersten Mord an einem Polizisten im Jahr 1975 einen Kopf kürzer gemacht.“

    Es sind ungewöhnlich drastische Worte, wie sie von einem Juristen im Gerichtssaal selten zu hören sind. Und sie scheinen ihre Wirkung nicht zu verfehlen. Als Rudi R. zu seinem letzten Wort als Angeklagter anhebt, klingt er fast ein wenig kleinlaut: „Ich möchte noch einmal betonen, ich habe mit den mir vorgeworfenen Straftaten nichts zu tun. Ich kann das Gericht nur bitten, nicht den polemischen Äußerungen des Herrn Rubach zu folgen.“

    Polizistenmörder Rudi R.: Schon als Teenager auffällig

    Es sind ungewöhnlich demütige Worte von einem, der zu Prozessbeginn vor einem Jahr den Staatsanwalt noch als „Drecksack“ beschimpft hat. Der sich an keinem einzigen Verhandlungstag erhoben hat, um Respekt vor dem Gericht zu zeigen. Es sind eher die Worte eines Mannes, der im fortgeschrittenen Alter von 58 Jahren allen Grund zu der Befürchtung haben muss, dass er den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen wird.

    Denn für Rudi R. dürften sich die Gefängnistüren für immer schließen. Er, der schon im Teenageralter durch Straftaten aufgefallen ist und am 6. März 1975 den Augsburger Polizisten Bernd-Dieter Kraus erschoss, wird am Donnerstag wahrscheinlich zum zweiten Mal in seinem Leben wegen des Mordes an einem Polizisten verurteilt. Er, Rudi R., soll am 28. Oktober 2011 auch den Polizeibeamten Mathias Vieth erschossen haben. Zusammen mit seinem Bruder Raimund M., 60. Doch der ist zurzeit wegen seiner Parkinson-Erkrankung verhandlungsunfähig. Der Prozess ist im November geplatzt. Er soll möglichst bald neu aufgerollt werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

    Für Rudi R. wird sich wahrscheinlich ein Kreis schließen. Ein Leben als Berufsverbrecher dürfte sein konsequentes, letztgültiges Ende im Gefängnis finden. Wie konnte es so weit kommen?

    Rudi R.: Wie wurde er zum Berufsverbrecher?

    R. wird geboren als Rudolf Helmut R. am 23. April 1955 in Falkenberg in Oberschlesien, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu Polen gehört. In der Familie R. wird Deutsch gesprochen, in der Schule lernt Rudi Polnisch. Als Dreijähriger wird er von einem Motorrad überfahren und schwer verletzt. Danach leidet er für viele Jahre an Kopfschmerzen und stottert oft.

    Icon Galerie
    14 Bilder
    Der Prozess um den Mord am Polizisten Mathias Vieth ist eines der größten Verfahren am Landgericht Augsburg gewesen. Die Bildergalerie zeigt seine Protagonisten.

    Mitte der 60er Jahre siedelt die Familie nach Deutschland um. Rudi kommt in eine Förderschule und mit seinen zwei Brüdern ins Heim. Ein schlechter Schüler ist er nicht. Die Lehrer monieren jedoch immer wieder mangelnden Fleiß und zu wenig Sorgfalt. In Augsburg macht R. bei einer renommierten Autofirma eine Lehre zum Kfz-Mechaniker. Die praktische Prüfung besteht er, in der Theorie fällt er durch.

    Beide Elternteile werden arbeitslos, auch Rudi geht Anfang der 70er Jahre keiner geregelten Arbeit nach. Stattdessen beginnt er mit seinem Kumpel Jovan S. langsam, aber stetig, eine kriminelle Laufbahn einzuschlagen. Die beiden begeistern sich für Autos und Waffen. Schon mit 17 besorgt sich Rudi R. illegal eine Pistole und führt sie in der Öffentlichkeit bei sich. Er wird dafür verurteilt. Zuvor haben er und Jovan schon in Läden geklaut und Kaugummiautomaten geknackt. 1974 wird R. für eine Unfallflucht mit Beleidigung verurteilt.

    Im September 1974 wollen Rudi R. und Jovan S. in ein Augsburger Waffengeschäft einbrechen. Auch Raimund M. ist dabei. Sie werden ertappt und verurteilt. Kurz darauf bringen R. und S. eines Abends R.s Freundin nach Bad Wörishofen. Die Männer schlendern noch durch die Stadt und entdecken bei einem Juwelier schöne Uhren im Schaufenster. Spontan geht S. zum Auto und holt einen Hammer aus dem Kofferraum. Sie schlagen die Scheibe ein und nehmen drei Uhren an sich. In derselben Nacht kommen sie auf dem Heimweg durch Schwabmünchen. Dort holen sie sich bei einem Optiker auf dieselbe Weise zwei teure Ferngläser.

    Kann das bis dahin vielleicht noch als Kleinkriminalität gewertet werden, nimmt das Drama am 5. März 1975 seinen Lauf. Rudi steht erst gegen 11 Uhr auf, geht am Nachmittag mit Jovan S. zum Augsburger Kuhsee. Am Kiosk trinkt Rudi ein Weißbier, Jovan ein Spezi. Auch abends sind die beiden zusammen, im Weizenbräustüberl in Friedberg isst Rudi eine Gulaschsuppe und eine Bratensulz, er trinkt eine Geißenmaß dazu.

    Rudi R.: Bereits 1975 Mord an einem Polizisten

    Dann brechen sie auf und steigen gegen 22.30 Uhr bei dem Autohaus ein, bei dem Rudi gearbeitet hat. Sie stehlen den BMW des Chefs, fahren damit nach Landsberg und überfallen dort den Wachposten der Ritter-von-Leeb-Kaserne. Sie nehmen dem Obergefreiten mit Waffengewalt seine Dienstpistole ab. Danach wollen sie die Tankstelle Augsburg-Nord überfallen. Doch das Benzin geht aus. Ein Streifenwagen entdeckt das Auto. Rudi steigt aus und eröffnet sofort das Feuer auf den Polizeiobermeister Bernd-Dieter Kraus. Der 31-Jährige stirbt. R. und S. werden noch in derselben Nacht festgenommen. Rudi R. hat sich in einer Mülltonne versteckt.

    Im Juni 1976 wird Rudi R. zu zweimal lebenslänglich verurteilt, diese Strafe ist damals noch möglich. Doch aus lebenslänglich werden nur gut 19 Jahre Haft. 1995 kommt R. frei. Sein Bruder Raimund M. holt ihn in Bruchsal ab. Von da an scheinen die beiden Brüder wieder unzertrennlich. Oft werden sie bei gemeinsamen Spaziergängen gesehen, zum Beispiel am Friedberger Baggersee. Nach allem, was bekannt ist, bleibt Raimund M. während der gesamten Haftzeit seines Bruders sauber. Und dann?

    In der Anklage gegen die Brüder heißt es, sie hätten spätestens am 6. Februar 2002 wieder gemeinsam ein Ding gedreht. In Ingolstadt sollen sie zusammen mit einem Komplizen ein Werttransport-Unternehmen überfallen haben. Ein Mitarbeiter wird mit einer Uzi-Maschinenpistole bedroht. Gesamtwert der Beute: fast 320 000 Euro. So soll es weitergegangen sein, mit Überfällen in den Jahren 2004, 2008 und im Mai 2011.

    Auch in der Nacht zum 28. Oktober 2011 sollen die Brüder nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft wieder einen Raubüberfall geplant haben. Zu diesem Zweck hätten sie sich auf einem Parkplatz nahe des Augsburger Kuhsees getroffen. In einer schwarzen Tasche dabei: zwei Kalaschnikow-Schnellfeuergewehre und zwei Pistolen.

    Polizistenmord 2011: Rudi R. und Raimund M. festgenommen

    Als die beiden auf ein Motorrad steigen, kommen die Polizeibeamten Mathias Vieth und Diana K. auf Streife vorbei. Doch statt einer regulären Kontrolle kommt es zu einer wilden Verfolgungsjagd durch den Siebentischwald. Am Ende liegt der zweifache Familienvater Vieth, 41, tot auf dem feuchten Waldboden. Die Kollegin K. überlebt mit Glück: Ein Schuss in den Rücken wird vom Reservemagazin abgefangen.

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Zwei Monate später werden Rudi R. und Raimund M. festgenommen. R. wird von Spezialkräften überwältigt, als er im Auto an einer roten Ampel halten muss. Raimund M. wird in Friedberg gefasst. Die beiden unzertrennlichen Brüder werden sich mehr als ein Jahr lang nicht mehr sehen.

    Erst im Gerichtssaal, am 21. Februar 2013, treffen sie wieder aufeinander. Und umarmen sich innig. Kein Zweifel. Diese beiden würden zusammenhalten, was auch immer kommt. So ist es nur konsequent, dass die Brüder im Prozess schweigen. Raimund M. kann sich nicht einmal dazu durchringen, seine Ehefrau und seine Tochter zu entlasten, die ebenfalls ins Visier der Justiz geraten. Die Tochter wird verurteilt, gegen die Frau läuft immer noch ein Verfahren. M. soll einmal vor Zeugen gesagt haben, zuallererst liebe er seinen Bruder und erst dann seine Frau und seine Tochter.

    Polizistenmord: Rudi R. beschuldigt seinen Bruder Raimund M.

    Umso überraschender sind dann die Plädoyers von Rudi R.s Verteidigern. Gebetsmühlenartig betonen Kai Wagler und Markus Meißner am Donnerstag vergangener Woche, dass ihr Mandant nicht am Tatort gewesen sei. Viel wahrscheinlicher sei doch, dass sein Bruder Raimund mit einem unbekannten Dritten die Tat verübt habe.

    Und damit nicht genug: Sie liefern der Justiz sogar ganz konkrete Spuren, die für Raimund M. als Mörder sprächen: DNA-Spuren am Tatort, viele verdächtige Gegenstände, die im Lebensumfeld von M. gefunden wurden – nicht in dem seines Bruders.

    Man könnte sagen, R.s Verteidiger haben den Bruder ans Messer geliefert, ihm die Schuld komplett in die Schuhe geschoben. Es ist kaum vorstellbar, dass diese Art der Argumentation nicht mit ihrem Mandanten abgesprochen war. Es ist schwer vorstellbar, wenn man sich die kriminelle Karriere von Rudi R. und das vertrauliche Verhältnis zu seinem Bruder vor Augen führt, dass Raimund M. die Tat ohne Rudi begangen haben könnte.

    Icon Galerie
    34 Bilder
    Im Oktober 2011 wurde der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth im Dienst erschossen. Die beiden Täter werden später verurteilt.

    Schon eher ist es vorstellbar, dass diese Strategie das letzte Aufbäumen eines Berufsverbrechers ist, der weiß, dass er sein letztes Duell mit der Justiz bereits verloren hat.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden