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"Freies Netz Süd": Razzia gegen Neonazis: Vier Durchsuchungen in Schwaben

"Freies Netz Süd"

Razzia gegen Neonazis: Vier Durchsuchungen in Schwaben

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    Bayern greift gegen rechtsextreme Kameradschaften durch, die sich nach Erkenntnissen von Polizei und Verfassungsschutz in dem neonazistischen Netzwerk „Freies Netz Süd“ organisieren. Rund 700 Polizisten durchsuchten gestern früh mehr als 70 Objekte in Bayern (Wohnungen, Arbeitsstätten und Postfächer) und beschlagnahmten Computer, Datenträger, Propagandamaterial und einige Waffen.

    Strukturen des Neonazi-Netzwerkes sollen weiter aufgeklärt werden

    Ziel der Ermittlungen ist es, wie Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, „die Strukturen dieses neonazistischen Netzwerks weiter aufzuklären und Beweismaterial für ein Vereinsverbot zu sammeln“. Schwerpunkt der seit Monaten vorbereiteten Aktion, die sich über ganz Bayern erstreckte, war Mittelfranken. In unserer Region stehen zwei Personen in Verdacht, führende Mitglieder der Neonazi-Szene zu sein. Durchsucht wurden vier Objekte – zwei im Unterallgäu und jeweils eines in der Stadt Augsburg und im Kreis Donau-Ries.

    Was nach dem NSU-Desaster geschah

    Nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) im November 2011 begann in Deutschland eine mühsame politische Aufarbeitung der Geschehnisse. Nach und nach kamen Detail s zu den Verbrechen ans Licht - und die haarsträubenden Pannen bei der Aufklärung.

    13. November 2011: Der Bundesgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe.

    16. Dezember 2011: Als Folge der Ermittlungspannen im Fall NSU wird das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus eröffnet. Dort sollen sich die Sicherheitsbehörden ständig über Gefahren aus der rechten Szene austauschen.

    27. Januar 2012: Im Bundestag nimmt ein Untersuchungsausschuss zum Fall NSU seine Arbeit auf.

    16. Februar 2012: Auch im Landtag von Erfurt startet ein Untersuchungsausschuss, weil das NSU-Trio aus Thüringen stammte.

    17. April 2012: Ein Untersuchungsausschuss im Dresdner Landtag macht sich an die Aufarbeitung - in Sachsen war das Trio jahrelang untergetaucht.

    2. Juli 2012: Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, bittet nach den Pannen bei der Aufklärung der NSU-Morde um seine Entlassung.

    3. Juli 2012: Auch Thüringens Verfassungsschutz-Präsident Thomas Sippel muss sein Amt aufgeben.

    5. Juli 2012: Ein weiterer Untersuchungsausschuss geht im Landtag in München an die Arbeit - in Bayern hatten die NSU-Terroristen die meisten Morde begangen.

    11. Juli 2012: Sachsens Verfassungsschutz-Präsident Reinhard Boos tritt zurück.

    13. September 2012: Die Pannen rund um die NSU-Morde zwingen auch Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz-Chef Volker Limburg aus dem Amt.

    19. September 2012: Eine neue Neonazi-Datei geht in Betrieb. Die Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern sammeln darin Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten und deren Hintermänner.

    8. November 2012: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Zschäpe.

    14. November 2012: Berlins Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid tritt von ihrem Posten zurück.

    7. Dezember 2012: Die Innenminister von Bund und Ländern einigen sich auf Reformen beim Verfassungsschutz: Dazu gehören eine zentrale Datei für Informanten des Inlands-Geheimdienstes und einheitliche Kriterien zur Führung dieser V-Leute. Der Informationsaustausch der Ämter in Bund und Ländern soll besser werden.

    14. Dezember 2012: Der Schock über die NSU-Verbrechen hat die Debatte über ein NPD-Verbot neu entfacht. Die Länder preschen vor und beschließen im Bundesrat, vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei einzuleiten.

    20. März 2013: Das Bundeskabinett entscheidet sich dagegen, einen eigenen Verbotsantrag gegen die NPD zu stellen.

    März 2013: Das Oberlandesgericht München steht wenige Wochen vor Prozessbeginn in der Kritik: Das Gericht hatte die Presseplätze nach dem Windhund-Prinzip vergeben. Alle türkischen und griechischen Medien gingen leer aus.

    4. April 2013: Eklat um den NSU-Prozess: Die türkische Zeitung "Sabah" reicht eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

    13. April 2013: Die Verfassungsschützer ordnen an, mindestens drei weitere Plätze für ausländische Medien zu schaffen. Das OLG verschiebt den Prozess daraufhin auf den 6. Mai - die Plätze werden im Losverfahren neu vergeben.

    Hinter dem „Freien Netz Süd“ stehen nach Erkenntnissen der Behörden 20 Neonazi-Kameradschaften mit etwa 150 Mitgliedern. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass das „Freie Netz Süd“ eine Ersatzorganisation für die Anfang 2004 verbotene „Fränkische Aktionsfront“ ist. Sollten sich in dem sichergestellten Material dafür weitere Belege finden, könnte ein Verbotsverfahren auf Grundlage des Vereinsrechts zügig vollzogen werden. Ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren läuft bereits seit April.

    "Freies Netz Süd": Verbindungen zu NSU

    Bestätigt wurden gestern Verbindungen zwischen dem „Freien Netz Süd“ und der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), deren noch lebende mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer derzeit in München wegen zehn Morden und weiterer Verbrechen vor Gericht stehen. Der wegen Beihilfe zum versuchten Mord und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagte Andre E., dessen Haftbefehl außer Vollzug gesetzt ist, hat in den Anfangstagen des Prozesses mehrfach in einer Neonazi-Wohnung im Münchner Stadtteil Obermenzing übernachtet.

    Diese Übernachtungen zeigen nach Ansicht von Verfassungsschutzpräsident Burkhard Körner „eine gewisse Sympathie in der gesamten Szene“. Anhaltspunkte für eine „frühere engere Beziehung“ zwischen bayerischen Neonazis und dem NSU gebe es aber nicht. Auch die Wohnung in Obermenzing wurde gestern durchsucht. Laut Landeskriminalamt mussten sich die Beamten dort mit Gewalt Zutritt verschaffen. Ein Gartentor und eine Tür wurden aufgebrochen. Widerstand sei aber weder hier noch andernorts geleistet worden, sagte LKA-Präsident Peter Dathe.

    Kurioser Vorfall bei Pressekonferenz

    Zum Ende der Pressekonferenz im Innenministerium kam es zu einem kuriosen Vorfall. Zwei von der Durchsuchung betroffene Männer hatten sich mit einem Presseausweis Zutritt verschafft, wurden aber, als sie provokante Fragen stellten, vom Innenminister trocken abgefertigt. Den Presseausweis und ihre Handys mussten sie abgeben – aufgrund des Durchsuchungsbeschlusses.

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