Ein Zeuge aus der sächsischen Neonazi-Szene der 1990er Jahre hat am Mittwoch im NSU-Prozess eingeräumt, Fluchtpläne des "Nationalsozialistischen Untergrunds" ins Ausland unterstützt zu haben. Kurz nach dem Abtauchen von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt habe er einem der beiden Männer seinen Personalausweis überlassen. Hauptangeklagte im Münchner NSU-Prozess ist Beate Zschäpe, der die Bundesanwaltschaft die Beteiligung an zehn überwiegend rassistisch motivierten Morden und zwei Sprengstoffanschlägen vorwirft.
NSU-Prozess: Die Zeugen antworteten nur widerwillig
Das NSU-Trio war Anfang 1998 in Jena untergetaucht und hatte zunächst bei Gesinnungsgenossen in Chemnitz Unterschlupf gefunden. Der Zeuge sagte, er sei damals von einem der Anführer der Chemnitzer "Blood & Honour"-Organisation angerufen und gebeten worden, die drei zu verstecken. Weil seine eigene Wohnung zu klein gewesen sei, habe er sie gemeinsam mit seinem Bruder zu einer Freundin gebracht. Dort habe das Trio einige Monate gelebt. Bei früheren Verhandlungstagen war herausgekommen, dass die Szene versuchte, eine Ausreise der drei nach Südafrika zu organisieren.
Mit dem Personalausweis sei dann ein Reisepass beantragt worden. Der Zeuge sagte, er habe dann aber mitbekommen, dass das Trio doch nicht aus Deutschland verschwinden wollte und die Herausgabe des Passes verlangt. Den habe er auch bekommen. Er sei auf seinen Namen ausgestellt gewesen, darin allerdings das Passbild eines der "Uwes". Den Pass habe er sofort vernichtet.
Was nach dem NSU-Desaster geschah
Nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) im November 2011 begann in Deutschland eine mühsame politische Aufarbeitung der Geschehnisse. Nach und nach kamen Detail s zu den Verbrechen ans Licht - und die haarsträubenden Pannen bei der Aufklärung.
13. November 2011: Der Bundesgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe.
16. Dezember 2011: Als Folge der Ermittlungspannen im Fall NSU wird das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus eröffnet. Dort sollen sich die Sicherheitsbehörden ständig über Gefahren aus der rechten Szene austauschen.
27. Januar 2012: Im Bundestag nimmt ein Untersuchungsausschuss zum Fall NSU seine Arbeit auf.
16. Februar 2012: Auch im Landtag von Erfurt startet ein Untersuchungsausschuss, weil das NSU-Trio aus Thüringen stammte.
17. April 2012: Ein Untersuchungsausschuss im Dresdner Landtag macht sich an die Aufarbeitung - in Sachsen war das Trio jahrelang untergetaucht.
2. Juli 2012: Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, bittet nach den Pannen bei der Aufklärung der NSU-Morde um seine Entlassung.
3. Juli 2012: Auch Thüringens Verfassungsschutz-Präsident Thomas Sippel muss sein Amt aufgeben.
5. Juli 2012: Ein weiterer Untersuchungsausschuss geht im Landtag in München an die Arbeit - in Bayern hatten die NSU-Terroristen die meisten Morde begangen.
11. Juli 2012: Sachsens Verfassungsschutz-Präsident Reinhard Boos tritt zurück.
13. September 2012: Die Pannen rund um die NSU-Morde zwingen auch Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz-Chef Volker Limburg aus dem Amt.
19. September 2012: Eine neue Neonazi-Datei geht in Betrieb. Die Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern sammeln darin Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten und deren Hintermänner.
8. November 2012: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Zschäpe.
14. November 2012: Berlins Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid tritt von ihrem Posten zurück.
7. Dezember 2012: Die Innenminister von Bund und Ländern einigen sich auf Reformen beim Verfassungsschutz: Dazu gehören eine zentrale Datei für Informanten des Inlands-Geheimdienstes und einheitliche Kriterien zur Führung dieser V-Leute. Der Informationsaustausch der Ämter in Bund und Ländern soll besser werden.
14. Dezember 2012: Der Schock über die NSU-Verbrechen hat die Debatte über ein NPD-Verbot neu entfacht. Die Länder preschen vor und beschließen im Bundesrat, vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei einzuleiten.
20. März 2013: Das Bundeskabinett entscheidet sich dagegen, einen eigenen Verbotsantrag gegen die NPD zu stellen.
März 2013: Das Oberlandesgericht München steht wenige Wochen vor Prozessbeginn in der Kritik: Das Gericht hatte die Presseplätze nach dem Windhund-Prinzip vergeben. Alle türkischen und griechischen Medien gingen leer aus.
4. April 2013: Eklat um den NSU-Prozess: Die türkische Zeitung "Sabah" reicht eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.
13. April 2013: Die Verfassungsschützer ordnen an, mindestens drei weitere Plätze für ausländische Medien zu schaffen. Das OLG verschiebt den Prozess daraufhin auf den 6. Mai - die Plätze werden im Losverfahren neu vergeben.
Ein zweiter Zeuge räumte ein, er habe einem anderen Führungsmann von "Blood & Honour" ein bis zwei Kilogramm des Sprengstoffs TNT überlassen. Der habe ihn angerufen und gefragt, ob er Sprengstoff habe. "Wie es der Zufall will", habe ein Bekannter einige Zeit vorher das TNT bei ihm deponiert und er habe aushelfen können.
Beide Zeugen antworteten streckenweise nur widerwillig und gaben im wesentlichen Informationen preis, die sich schon in den Akten finden. Über den Verwendungszweck des TNT sagte der Zeuge, sein Abnehmer habe damit nur "experimentieren" wollen. Namen und organisatorische Strukturen gaben beide meist erst nach mehrfachen Nachfragen und Vorhalten preis oder machten Erinnerungslücken geltend. dpa/lby