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München: NSU-Prozess: Gericht vernimmt inhaftierten Ex-V-Mann

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NSU-Prozess: Gericht vernimmt inhaftierten Ex-V-Mann

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    Eine der bundesweit bekanntesten und umstrittensten Figuren der deutschen Neonazi-Szene soll ab diesem Dienstag als Zeuge im Münchner NSU-Prozess aussagen.
    Eine der bundesweit bekanntesten und umstrittensten Figuren der deutschen Neonazi-Szene soll ab diesem Dienstag als Zeuge im Münchner NSU-Prozess aussagen. Foto: Peter Kneffel (dpa)

    Eine der bundesweit bekanntesten und umstrittensten Figuren der deutschen Neonazi-Szene soll ab diesem Dienstag als Zeuge im Münchner NSU-Prozess aussagen: Tino Brandt, der Gründer des "Thüringer Heimatschutzes", aus dessen Umfeld der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) hervorgegangen sein soll. An seiner Person entzündet sich auch die Frage, welche Rolle der Verfassungsschutz beim Aufbau des NSU gespielt haben könnte. Das Gericht hat alle drei Verhandlungstage dieser Woche für den Zeugen reserviert.

    Anders als fast alle anderen Zeugen wird er den Gerichtssaal nicht vom Flur aus betreten, sondern durch eine separate Tür zur Sicherheitszone, in der sich ein Wartezimmer für Untersuchungshäftlinge befindet. Brandt war vor wenigen Wochen festgenommen worden, allerdings nicht im Zusammenhang mit seiner Rolle im NSU-Komplex, sondern wegen des Verdachts, minderjährige Jungen missbraucht zu haben. 

    Ende der 1990er Jahre war Brandt nach Einschätzung seiner damaligen V-Mann-Führer beim Thüringer Verfassungsschutz die wichtigste Quelle in der rechtsextremen Szene. "Er war unheimlich kooperativ", hatte einer seiner Führungsbeamten als Zeuge im NSU-Prozess ausgesagt. Ein anderer nannte ihn einen "überzeugten Neonazi". Brandt habe, wie fast alle V-Leute, an einem "Verräterkomplex" gelitten. "Den haben wir ihm versüßt, in dem wir ihn gut bezahlt haben", sagte der Beamte. Im ganzen soll Brandt mindestens 200 000 Mark erhalten haben. 

    Die Angeklagten im NSU-Prozess

    Das sind die Beschuldigten im Münchner NSU-Prozess:

    Beate Zschäpe: Sie tauchte 1998 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Die drei Neonazis aus dem thüringischen Jena gründeten eine Terrorgruppe und nannten sich spätestens ab 2001 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).

    Ralf Wohlleben: Der ehemalige Thüringer NPD-Funktionär mit Kontakten zur militanten Kameradschaftsszene soll Waffen für das Trio organisiert haben. Der 40-Jährige wurde am 29. November 2011 verhaftet. Nach Ansicht der Ermittler wusste er von den Verbrechen - er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Carsten S.: Der 35-Jährige hat gestanden, den Untergetauchten eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert zu haben. Er ist wie Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Andre E.: Der gelernte Maurer (35) war seit dem Untertauchen 1998 einer der wichtigsten Vertrauten des Trios und soll die mutmaßlichen Rechtsterroristen zusammen mit seiner Frau regelmäßig besucht haben. E. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    Holger G.: Der 40-Jährige gehörte wie Wohlleben und die drei Untergetauchten zur Jenaer Kameradschaft. Er zog 1997 nach Niedersachsen um. G. spendete Geld, transportierte einmal eine Waffe nach Zwickau und traf sich mehrfach mit dem Trio. Auch G. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    Einen wesentlichen Teil davon hat er nach Einschätzung der Geheimdienstler in den Aufbau seines Netzwerks investiert. "Er dachte, er könne mit uns ein Spiel treiben", sagte der V-Mann-Führer. Offen bleibt bisher, ob ihm das tatsächlich gelang. Brandt selber erzählte dem Neonazi Thorsten Heise Jahre später in einem von Heise heimlich aufgezeichneten Gespräch, die Informationen, die er dem Verfassungsschutz meldete, "die hätte zu neunzig, fünfundneunzig Prozent jeder erfahren können".

    Mit Brandts Hilfe hatte der Geheimdienst auch versucht, das Versteck des untergetauchten NSU-Trios Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ausfindig zu machen. Zu diesem Zweck wurde Brandts Auto "mit Verfolgungstechnik des BKA ausgerüstet", wie einer der V-Mann-Führer aussagte. Es sei Brandt auch "gelungen, dem K. das Auto unterzujubeln". Der habe sich aber "verfolgt gefühlt", weshalb die Aktion gescheitert sei.

    Fragen wirft auch ein Vermerk auf, den ein Beamter des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Jahr 1997 schrieb und der in der Prozessakte enthalten ist. Zu dieser Zeit war Brandt mutmaßlicher Anführer einer Gruppe namens "Anti-Antifa Ostthüringen". Diese Gruppe sollte die Arbeit der unterschiedlichen "Kameradschaften" koordinieren.

    Der Geheimdienstvermerk enthält die Aussage: "Der bisher gebräuchliche Name/Bezeichnung ANTI-ANTIFA OSTTHÜRINGEN wird überdacht." Wenig später benannte sich die Gruppe tatsächlich um in "Thüringer Heimatschutz". Warum sie das tat und ob sie damit dem Verfassungsschutz folgte, ist bis heute nicht geklärt. Diese Frage gehört zu denen, denen sich Brandt diese Woche wohl stellen muss. dpa 

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