Der Missbrauchsskandal hat die bayerischen Katholiken in Scharen zum Austritt aus der Kirche getrieben.
Nach vorläufigen Zahlen aus sechs der sieben Bistümer kehrten im vergangenen Jahr 53.663 Katholiken der Kirche den Rücken - 48,5 Prozent mehr als 2009. Hochgerechnet auf ganz Bayern bedeutet das rund 65.000 Austritte, fast ein Prozent der Katholiken im Freistaat.
Wo auch immer in Bayern man fragt, bot sich 2010 das gleiche Bild: Im Frühjahr erschütterten der Missbrauchsskandal und die Debatte um die um Prügel- und Untreuevorwürfe gegen den inzwischen abgedankten Augsburger Bischof Walter Mixa die katholische Kirche und mit leichter Zeitverzögerung erreichte die Austrittswelle ihren Höhepunkt. Bis zum Jahresende sanken die Austritte aber wieder auf das sonst übliche Maß.
Längerer Entfremdungsprozess
Auch im größten bayerischen Bistum, München und Freising, das 23.254 Austritte hinnehmen musste, verlief die Welle so. Es gebe einen zeitlichen Zusammenhang, bestätigt Christoph Kappes von der Pressestelle. Den Missbrauchsskandal hält er aber nicht für den einzigen Grund für die Austritte. Oft gehe diesem Schritt schon ein längerer Entfremdungsprozess vorher, sagt er. Das einzelne Ereignis sei dann oft nur noch der Auslöser.
Genaue Informationen über die einzelnen Austrittsgründe habe man aber nicht. Hoffnung macht ihm eine steigende Tendenz bei den Eintritten in die Kirche zum Jahresende. Zwar machen sie nur einen Bruchteil der Austritte wieder wett, Kappes sieht darin aber ein Zeichen dafür, dass die Menschen akzeptierten, dass sich die Kirche 2010 den Problemen gestellt habe.
Die finanzielle Komponente, die die Austrittswelle durch wegfallende Kirchensteuer mit sich bringt, steht für Kappes im Hintergrund - auch wenn es bayernweit um einen zweistelligen Millionenbetrag gehen dürfte. "Wir sehen den Gläubige der geht - und da schmerzt jeder Einzelne", sagt er.
Kritik von "Wir sind Kirche"
Fragt man Christian Weisner von der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche", ist die katholische Kirche noch glimpflich davongekommen. "Dafür, wie dieser Missbrauchsskandal Deutschland erschüttert hat, sind die Austrittszahlen noch niedrig", sagt er. Dass die Sache bereits ausgestanden ist, glaubt Weisner jedenfalls nicht. "Dass es sich normalisiert hat, dass wieder Ruhe ist, ist eine falsche Einschätzung", betont er.
Was von Kirchenseite gemacht worden sei - wie die Einrichtung einer Hotline oder die Verschärfung der Leitlinien - sei nur "verwaltungsmäßig", sagt er. Es gehe nicht an die tieferen Ursachen. Dort sieht er auch ganz andere Probleme der Kirche: Dass immer mehr Gemeinden zusammengelegt und weniger Gottesdienste angeboten würden beispielsweise.
Letztlich sei der Austritt aber immer nur der letzte Schritt. Und insgesamt seien die Menschen gutmütig mit der Kirche. Deutlich besser als den katholischen Bistümern erging es 2010 der Evangelischen Landeskirche in Bayern. Ihre Austritte blieben 2010 mit etwas mehr als 20.000 stabil und die Zahl der Eintritte stieg von gut 3.500 auf über 5.400.
Ob wechselnde Katholiken der Grund dafür seien, wisse man nicht, sagt ein Sprecher. Man wolle aber auf keinen Fall der Gewinner aus der Missbrauchskrise der katholischen Kirche sein.