Wenn sie mit dem Sammeln einmal begonnen haben, können viele nicht mehr aufhören. Der frühere Augsburger Kinderarzt Dr. Harry S., 41, ist ein Beispiel dafür. Er wurde voriges Jahr verurteilt, weil er Kinder entführt und missbraucht hat. Die Ermittler fanden bei ihm Computer, Handys, Festplatten und Speichersticks – und darauf fast überall Kinderpornografie. So etwas auszuwerten, erfordert einen großen Aufwand. Bei Harry S. wurden am Ende exakt 57.333 Foto- und Videodateien gefunden. Darunter waren Aufnahmen, die unter anderem zeigten, wie Kleinkinder und Babys brutal vergewaltigt oder zum Sex mit Tieren gezwungen wurden.
Strafverfahren wegen des Besitzes von Kinderpornografie gehören für die Beamten der Kriminalpolizei zur traurigen Routine. Das Internet macht es einfach, sich solche Fotos oder Filme zu beschaffen. Und die Datenmengen, die bei den Beschuldigten gefunden werden, werden tendenziell immer größer. Bei der Auswertung des Materials greifen Ermittler deshalb schon seit Jahren auf die Hilfe von privaten Anbietern zurück. Vor allem Datenschützer haben schon länger Bedenken, ob es richtig ist, solche sensiblen Ermittlungsarbeiten nach außen zu vergeben. Nun scheint ein Fall im Großraum Augsburg nach Informationen unserer Zeitung diese Bedenken zu bestätigen. Bei einer IT-Firma, die für Polizei und Justiz tätig ist, haben offenbar überwiegend Frauen in Heimarbeit Datenträger mit Kinderpornografie ausgewertet.
Kinderpornos für die Kripo sortieren - auf 450-Euro-Basis
Gesucht wurden die Mitarbeiterinnen per Stellenanzeigen in Zeitungen und im Internet. Als „forensische(r) Bildauswerter(in)“, auf 450-Euro-Basis. Die Voraussetzungen für den Job laut der Anzeige: Man benötige nur einen Computer oder Laptop sowie „etwas Erfahrung mit Computern“. Nach einer vier- bis fünftägigen Schulung könne man dann die Aufträge, wann immer man wolle, einfach von zu Hause aus bearbeiten. Wer sich dafür interessierte und bei der Firma anrief, erfuhr, worum es genau geht. Nämlich um die Auswertung von Kinderpornografie. Die privaten Firmen haben in der Regel den Auftrag, die Dateien zu sortieren. Nach dem Alter der gezeigten Kinder und der Schwere des Missbrauchs.
Eine Augsburgerin, die sich auf die Anzeige hin für eine Stelle bewerben wollte, war entsetzt, als sie die Details der Arbeit erfuhr. Man müsse dabei auch „vergewaltigte Babys“ anschauen, lautete die Auskunft, die sie am Telefon bekam. Die Frau schrieb einen Brief ans bayerische Innenministerium. Inzwischen haben die Behörden reagiert. Am Freitag voriger Woche besuchten Augsburger Kripobeamte unangekündigt die IT-Firma. Sie überprüften genau, ob sich das Gutachter-Büro an die Regeln hält, die für die Zusammenarbeit aufgestellt worden sind. Zudem wurde die Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz erst einmal gestoppt. In Polizeikreisen heißt es, man müsse den Fall nun genau anschauen und dann entscheiden, ob die Firma weiter mit der Erstellung von Gutachten in Ermittlungsverfahren beauftragt werden könne. Sie hat in der Vergangenheit unter anderem für die Kripo in Augsburg und Fürstenfeldbruck gearbeitet sowie für mehrere Staatsanwaltschaften in Bayern.
Kinderporno-Ermittlungen: Heimarbeit ist nicht kontrollierbar
Was den Ermittlern nach Informationen unserer Zeitung sauer aufstoßen ist, ist vor allem die Möglichkeit zur Heimarbeit. Wie es heißt, habe die Firma zwar dafür gesorgt, dass die Daten gut gesichert seien. So konnten die Dateien zum Beispiel auch nicht heruntergeladen werden. Durch die Heimarbeit sei aber eben nicht kontrollierbar, wer alles einen Blick auf den Bildschirm werfen kann – oder ob jemand die angezeigten Bilder nicht auch einfach abfotografiert. „Es kann ja zum Beispiel sein, dass jemand einen Bekannten auf den Fotos oder Videos entdeckt“, sagt ein Beamter. Auch die Frage, ob es ideal ist, ungelernte 450-Euro-Jobber für hochsensible und psychisch extrem belastende Ermittlungsarbeit einzusetzen, steht in dem Fall im Raum.
Wie es heißt, sind die Mitarbeiter der IT-Firma zumindest vorab alle gründlich gecheckt worden. Demnach mussten sie unter anderem ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und eine Geheimhaltungs-Erklärung unterschreiben. Auch regelmäßige Schulungen habe es gegeben. Im Justizministerium heißt es auf Anfrage unserer Zeitung, der Fall werde derzeit geprüft. Mehr könne man noch nicht dazu sagen.
Kritik an der Auslagerung von Ermittlungsarbeit gibt es schon länger. So sagte der Vizefraktionschef der Linken im Bundestag, Jan Korte: „Sensible persönliche Informationen und eventuell strafrechtlich relevantes und illegales Material gehören nicht in die Hände von Privaten.“ Ändern wird sich an der Praxis aber auf absehbare Zeit nichts. „Wir wären heillos überfordert, wenn wir die riesigen Datenmengen alle selbst auswerten müssten“, sagt ein Augsburger Kripobeamter. Das würde, meint er, nahezu die gesamte Kriminalpolizei lahmlegen.