Alexander Huber, 44, Extremkletterer und Teil der berühmten „Huberbuam“, ist ein gefragter Gesprächspartner. Dabei beschäftigt sich sein neues Buch nicht mit der Magie der Bergwände, sondern es dreht sich um seine Seilschaft mit der Angst. Denn es gab eine Phase in seinem Leben, in der er in einen psychischen Abwärtsstrudel geriet.
Warum schreibt einer, der ohne Seilsicherung schwierigste Felswände bezwingt, ein Buch über die Angst?
Huber: Ich habe gemerkt, dass das Thema viel mehr Leute bewegt als man denkt. Mich persönlich ja auch. Für mich war das Schreiben die persönliche Aufarbeitung einer schwierigen Zeit.
Schon als Achtjähriger konnten Sie nur bei Licht und offener Türe einschlafen, weil Sie Angst hatten, dass RAF-Terroristen das Kinderzimmer überfallen. Ist doch verrückt – Sie lebten in einem kleinen Dorf im Landkreis Traunstein.
Huber: Als Kind konnte ich diese Gefahr, die von den Terroristen im Deutschen Herbst ausging, nicht richtig erfassen. Überall hingen Fahndungsplakate und im Fernsehen sah ich die Entführung von Hanns-Martin Schleyer. Da konnte ich nicht unterscheiden, ob das bei mir daheim oder woanders passiert. Für ein Kind ist das Dorf ja die Welt. Es stimmt, damals hat mich diese Angst sehr beschäftigt. Die war so negativ, weil ich sie nicht beeinflussen konnte. Das stresste mich.
Wie hat sich diese Angst im Laufe der Jahre wieder verflüchtigt?
Huber: Die Präsenz der RAF ging zurück. Wichtiger aber war, dass ich mit jedem Jahr die reale Gefahrenlage besser einschätzen konnte.
Es gibt genügend Gründe, Angst zu haben, aber viele Ängste, die uns plagen, sind irreal – warum?
Huber: Jeder hat Ängste. Die haben uns in unserer Entwicklungsgeschichte über Jahrtausende vor Unheil bewahrt. Sie waren ein natürliches Warnsystem vor realen Gefahren. Heute aber, wo man sich gegen alles Mögliche versichern kann, ist eine neue Mentalität entstanden.
Was heißt neue Mentalität?
Huber: Aufgrund der fehlenden gut einschätzbaren realen Ängste haben sich im Alltag viele neue, untergründige, schwer greifbare entwickelt. Das kann die Angst vor Krankheiten sein. Oder die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Zweifel, die Lebensfreude zu verlieren, nähren die Angst.
Sie hatten, in Ihrer besten Zeit als Kletterer, eine generalisierte Angststörung, konnten nicht mehr schlafen, konnten nicht mehr Bergsteigen, konnten kaum noch das Haus verlassen. Wie kam es dazu?
Huber: Ich war damals um die 30, eine Zeit, in der man Leistung bringen muss. Bei mir hing viel davon ab – komm ich mit einer erfolgreichen Besteigung nach Hause oder nicht. Denn gefragt ist nicht der Gute, sondern nur der Beste. Über die Nummer 20 wird man kaum berichten. Der ganze Stress drum herum und mein eigener Druck, den ich mir aufbaute, machten mich zum Hypochonder. Ich bin damals wegen jedes Wehwehchens zum Arzt gerannt.
Sie schreiben, als Sie sich müde und schlapp fühlten, dachten Sie: Oh Gott, Krebs im Endstadium, Lebermetastasen! Ein blutender Hautfleck war sicher ein Melanom! Schluckbeschwerden – ein Ösophaguskarzinom ...
Huber: Ich wollte das alles abgeklärt haben. Dass mir nichts fehlt, ist mir im Prinzip klar gewesen. Aber ich musste trotzdem zum Doktor und der musste sagen: „Nein, so ist es nicht.“ Dann war ich wieder glücklich. Aber halt nur kurz.
Weil Sie enttäuscht waren, dass die Ärzte nichts fanden. Denn sobald die Psyche von der Angst befreit war, gab es dort ja Platz für eine neue Angst.
Huber: Genau. Es gab immer mehr Sachen, die mich stressten. Als Extrembergsteiger war und bin ich Kritik ausgesetzt. Puristen bemängelten, dass ich Vorträge halte, statt mich in Understatement zu üben. Sie hielten mich für einen, der das reine Bild des Alpinisten, der nur aus Freude in die Berge geht, beschädigte. Wer seine Erlebnisse verkauft, ist für die ein Verräter. Diese Angriffe gingen mir an die Nieren. Und wenn genügend negative Einflüsse da sind, löst dass Angst aus, die sich verselbstständigen kann.
Wie haben Sie die Angst bezwungen? Und wie lange dauerte das?
Huber: Ich ging zu einem Therapeuten und mit dem arbeitete ich einen Plan aus. Zunächst musste ich meinem Tag wieder Struktur geben. In meinem Fall war es so, dass ich in der Früh – bevor ich zum Nachdenken kam – sportlich loslegte wie die Feuerwehr. Da wurde der Körper müde und die Birne frei. Abends ging ich mit meinen Freunden zum Trainieren. So fand ich den Rhythmus eines normalen Lebens. Wichtig war, dass ich die Hilfe eines Profis hatte. Allein hätte ich das nicht geschafft. Ich steckte meine volle Energie da rein und behandelte meine Angststörung wie ein Bergprojekt. Das hab’ ich durchgezogen, auch wenn es mal bergab ging.
Ihrer Meinung nach hat die Angst einen zu schlechten Ruf. Was heißt das?
Huber: Ich hatte das Problem, mir die Angst nicht eingestehen zu können. Ich machte sie mir zum Feind statt ihr offen ins Auge zu schauen mich ihr zu stellen. Daraus habe ich gelernt. Heute lautet mein Credo: Mach dir die Angst zum Freund, stell dich deinen Ängsten und lauf ihnen nicht davon! Denn die Auseinandersetzung mit ihr wird dich stärker machen.
Wie ist es heute mit der Angst. Sie gelten als einer der besten Bergsteiger der Welt. Was machen Sie zurzeit?
Huber: Ja mei, ich schaue, dass ich den Lebensabend eines Leistungsbergsteigers genieße. Heute kann ich mich auf meine Expeditionen und Reisen wieder freuen.
Beschäftigen Sie noch neue Rekorde?
Huber: Meine beste Zeit ist leider vorbei. Aber ich nehme alles, was noch kommt, gerne als Geschenk an. Ich muss mich heute auch der Angst des Älterwerdens stellen. Denn dem Alter kann ich nicht davonlaufen.
Die Angst hat viele Gesichter. Trotzdem: Was raten Sie Menschen, die Angststörungen haben?
Huber: Es gibt nie den Zustand, in dem man sagen kann, ich habe die Angst überwunden. Der Prozess läuft täglich ab. Immer wieder stehen wir vor neuen Situationen, die Angst bereiten können. Denen sollte man sich stellen und sie in einem Moment, in dem man die notwendige Kraft in sich spürt, bei den Hörnern packen.