Stammen die 1,8 Kilo Kokain, die im Dienstschrank des früheren Chefs der Allgäuer Drogenfahndung gefunden wurden, aus der Asservatenkammer von Polizei oder Staatsanwaltschaft? Das ist eine der ungelösten Fragen beim spektakulären Prozess am Kemptener Landgericht. Armin N. will das Rauschgift vor Jahren zu Schulungszwecken „von der Staatsanwaltschaft oder einer anderen dienstlichen Quelle“ erhalten haben, wie er vor Gericht erklärte. An Details könne er sich wegen seines schon damals erheblichen Drogen-, Medikamenten- und Alkoholkonsums nicht erinnern.
Vier-Augen-Prinzip bei beschlagnahmtem Rauschgift
Koks-Affäre um Drogenfahnder im Allgäu
In der Kokain-Affäre bei der Kemptener Polizei geht es um 1,8 Kilogramm der Droge – zunächst war von 1,5 oder 1,6 Kilo die Rede.
Der Reinheitsgrad war mit 23,5 Prozent vergleichsweise gering.
Alter oder Herkunft des Kokains konnten nicht geklärt werden.
Dass der Stoff aus „dunklen Kanälen“ stammt, könne nicht ausgeschlossen werden, doch vieles spricht laut Anklageschrift dafür, dass das Kokain aus einem früheren Ermittlungsverfahren kommt.
Die Anklage zeigt, dass es bei den Behörden offenbar jahrelang bei Aufbewahrung und Vernichtung von beschlagnahmten Drogen gravierende Versäumnisse gegeben hat.
Ein während der Ermittlungen gestorbener Top-Vertreter der Kemptener Staatsanwaltschaft hat dazu laut Bericht widersprüchliche Angaben gemacht.
Der ehemalige Chef-Drogenfahnder ist nicht nur wegen des Kokains angeklagt.
Ihm wird auch vorgeworfen, seine Ehefrau vergewaltigt und ihr mit dem Tod gedroht zu haben.
Die Ehefrau muss laut der Anklageschrift durch eine Art "Ehehölle" gegangen sein.
Doch wie gehen Polizei und Justiz mit beschlagnahmten Drogen um? Gunther Schatz, Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Kempten, äußert sich nicht zum laufenden Verfahren. Grundsätzlich könne seine Behörde aber nicht ohne Kontrollmechanismen über beschlagnahmtes Rauschgift verfügen. „Es gilt das Vier-Augen-Prinzip“, sagt Schatz.
Das heißt: Kein Beamter bestimme allein, was mit den Drogen geschieht. Es müssten mindestens zwei Beamte involviert sein, teils seien es noch mehr. „Dieses Prinzip gab es schon, als ich in den 1990er Jahren zur Staatsanwaltschaft kam – und es existiert vermutlich schon wesentlich länger.“ Es galt also schon, als Armin N. an das Kokain kam. Wann das genau war, weiß wohl nur der Angeklagte selbst. Nach seiner Einschätzung wurde ihm das Rauschgift ums Jahr 2006 überlassen.
Hundestaffeln erhalten Drogen für Schulungszwecke
Hat die Allgäuer Staatsanwaltschaft Drogen in ihrer Asservatenkammer (also dem Raum, in dem im Zusammenhang mit Straftaten beschlagnahmte Gegenstände gelagert werden) verwahrt, dann hat die Polizei darauf laut Schatz keinen Zugriff mehr – mit einer Ausnahme: „Hundestaffeln der Polizei benötigen manchmal Drogen zu Schulungszwecken“, sagt Schatz. Das kann die Staatsanwaltschaft anweisen. Die Drogen gehen dann dauerhaft in den Besitz der Polizei über. Allerdings werde das Rauschgift bei den Übungen mit den Hunden schnell „schlecht“ (weil es beispielsweise nicht permanent trocken oder dunkel gelagert werde). Es sei dann nicht mehr konsumierbar und werde von der Polizei vernichtet.
In großen Mengen werde aber nur Cannabis zu Schulungszwecken an Hundestaffeln ausgegeben. Dass einmal kiloweise Kokain für diesen Zweck freigegeben worden sei, daran kann sich Schatz für all die Jahre, die er in Kempten arbeitet, nicht erinnern.
Drogen werden nach Abschluss des Falls in Müllverbrennung entsorgt
Wenn ein Fall abgeschlossen und der Täter rechtskräftig verurteilt ist, werde der Teil der Drogen, der nicht für Schulungszwecke gebraucht wird, in der Müllverbrennungsanlage in Kempten vernichtet. Auch daran sind mehrere Beamte beteiligt.
Die Polizei muss beschlagnahmte Drogen rasch zur Untersuchung zum Landeskriminalamt München schicken. Vorher lagert das Rauschgift in der Asservatenkammer der Polizei (jede Dienststelle hat ihre eigene Asservatenkammer). Wenn die Polizei etwa bei einer Hausdurchsuchung Drogen findet, gelte auch dabei schon lange das Vier-Augen-Prinzip.
Generell müsse jede weitere Verwendung oder Übergabe protokolliert werden. „Wann das genau eingeführt wurde, lässt sich auf die Schnelle nicht herausfinden“, bedauert Polizeisprecher Christian Owsinski.
Erhebliche Mengen pro Jahr
Pro Jahr werden im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West teils erhebliche Mengen an Rauschgift beschlagnahmt. Dieses landet letztendlich in den Asservatenkammern der Staatsanwaltschaften in Kempten und Memmingen.
Hier die Zahlen des beschlagnahmten Rauschgifts im Jahr 2013: 11,67 Kilo Cannabis, 372 Gramm Heroin, 311 Gramm Kokain, 7,4 Kilo Amphetamin, 43 LSD-Trips und 253 Ecstasy-Tabletten. Die Zahl der Tatverdächtigen, die mit diesen Drogenmengen zu tun hatten, beläuft sich auf knapp 1900.