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Brenner-Tunnel: Jahrhundert-Projekt: Die Probleme mit dem Brennerbasistunnel

Brenner-Tunnel

Jahrhundert-Projekt: Die Probleme mit dem Brennerbasistunnel

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    Zentimeter für Zentimeter geht es mit dem Brennerbasistunnel voran. Hier bestücken Arbeiter die Wand eines Zugangsstollens bei Steinach mit Sprengstoff.
    Zentimeter für Zentimeter geht es mit dem Brennerbasistunnel voran. Hier bestücken Arbeiter die Wand eines Zugangsstollens bei Steinach mit Sprengstoff. Foto: Karl-josef Hildenbrand (dpa)

    Die Kulisse wirkt fast ein wenig kitschig. Der Himmel weiß-blau, im Hintergrund leuchtende Herbstberge, davor ein renovierter Bahnhof aus dem 19. Jahrhundert. Mehrere ältere Männer sitzen im Außenbereich der Bahnhofsgaststätte im oberbayerischen Oberaudorf am Stammtisch, um über Gott und die Welt zu reden. Alle paar Minuten donnert ein Zug vorbei. Die Herrschaften diskutieren lautstark – auch über den geplanten Ausbau der Inntalstrecke. Der wird notwendig, weil in zwölf Jahren der Brennerbasistunnel eröffnet werden soll. Dann könnten hier am Tag – statt wie heute 175 – über 300 Züge durchrauschen. In der Gemeinde führt dies wegen der zu erwartenden Lärmbelästigung, wie in anderen Orten des bayerischen Inntals auch, zu Widerstand. Und: Das Ganze könnte sich zu einem Vorzeigestück verschlafener Planung auswachsen.

    Längste unterirdische Bahnverbindung der Welt

    Wer heutzutage ein Jahrhundertprojekt bauen will, braucht einen langen Atem, Geduld, Durchsetzungsvermögen und viel, viel Geld. Um das nachvollziehen zu können, benötigt man keinen Experten. Man muss sich nur in Deutschland umschauen. Beim Stuttgarter Hauptbahnhof ist es so, auch bei der Hamburger Elbphilharmonie oder dem Berliner Flughafen. Doch alle wirken im Vergleich zum Brennerbasistunnel wie Miniaturen.

    Die Idee zu diesem vielleicht kühnsten Verkehrsprojekt der neueren europäischen Geschichte, in dessen Folge vor allem der Schwerverkehr über die Alpen von der Straße weitgehend verschwinden und auf unterirdischen Gleisen rollen soll, stammt noch aus dem 19. Jahrhundert. Es könnte so eine Art

    Sogar der Termin für die Eröffnung steht schon. Ein Tag im Dezember 2026 soll es sein, wenn der Winterfahrplan der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) in Kraft tritt. Dann könnte der erste Personenzug in Innsbruck, der Hauptstadt Tirols, im Felsmassiv der Alpen verschwinden und erst 64 Kilometer später, in Franzensfeste in Südtirol, wieder auftauchen.

    Zumindest hoffen die Planer, dass die dann längste unterirdische Bahnverbindung der Welt bis dahin fertig ist. Eines der ungelösten, auf den ersten Blick jedoch eher kleinen Probleme ist der Bahnzulauf über das bayerische Inntal. Doch das könnte sich auswachsen. Denn in den sieben betroffenen Gemeinden zwischen Raubling und Kiefersfelden herrscht erheblicher Unmut gegen die Pläne der Deutschen Bahn.

    Szene eins am Bahnhof Oberaudorf. Allein mittags zwischen 12 und 13 Uhr verkehren planmäßig zwölf Züge. Auf dem Bahnsteig warten sieben Personen – zwei Männer, ein Kind und vier Frauen – auf den Nahverkehrszug nach Bad Aibling. Am Stammtisch sagt der Rentner Oskar Heinrich: „Bei uns gibt es viele, denen es nicht recht ist, dass die Strecke ausgebaut wird. Die Züge rollen doch mitten durch die Ortschaften. Das wäre Wahnsinn.“

    Menschen wollen wissen, was auf sie zukommt

    Kellnerin Maria bringt Getränke und schaltet sich ein: „Ich wohne hier im Bahnhof. Nachts meine ich, dass die Züge bei mir durchs Schlafzimmer fahren.“ Ein anderer Stammtischbruder wundert sich, dass im benachbarten Tirol schon fleißig gebaut wird, während in Bayern für eine neue Strecke nicht einmal Pläne vorliegen.

    Eine kleine Ewigkeit war nichts passiert. 1989 gaben Österreich und Italien die erste Machbarkeitsstudie in Auftrag. Den Brennerbasistunnel hielten aber noch bis zur Jahrtausendwende die meisten politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen für eine finanziell kaum realisierbare Idee. Erst als die EU nicht unerhebliche Zuschüsse zusagte, begannen in Österreich und

    Im Nadelöhr zum Jahrhundertprojekt, dem bayerischen Inntal, ist die Deutsche Bahn noch lange nicht so weit. Es ist eine der Engstellen auf der europäischen Bahnverbindung zwischen Berlin und Palermo. Nur wenige Kilometer ist das Tal breit. Neben den bestehenden Schienensträngen, die mitten durch die Ortschaften führen, verlaufen hier auch eine Autobahn, eine Ölpipeline, eine Erdöl-, Gas-, und Hochspannungsleitung. Und so überlegen die Bürgermeister von sieben Gemeinden sowie der Landrat, wie sie den vermuteten Lärmzuwachs durch den Tunnelzulauf möglichst schalldicht verpacken lassen können.

    Oberaudorf, 5000 Einwohner. Der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber ist hier geboren, Fußball-Weltmeister Bastian Schweinsteiger beglückte hier den ersten Verein mit seinem Talent. Die Stimmung ist, was das Verkehrsprojekt betrifft, schlecht. Seit zwei Jahrzehnten wird über einen Ausbau der Strecke durch das Inntal diskutiert. Passiert ist bisher – nichts. Die Leute sind des Stillstands überdrüssig, sie wollen endlich wissen, was auf sie zurollt.

    Misstrauen gegen die Bahn sitzt tief

    Szene zwei, Rathaus Oberaudorf. Hubert Wildgruber, CSU, ist Bürgermeister. Er sagt: „Das ist eine Situation, die wir uns alle nicht gewünscht haben. Das Maß ist jetzt schon voll für unsere Bürger.“ Mit einem konservativen Ausbau der bestehenden Strecke würden die Lärmschutzmaßnahmen bei Weitem nicht denen eines Neubaus entsprechen, befürchtet er. Verkehrlich belastet sei man hier schon jetzt durch die Autobahn und die bestehende Bahnlinie. Was also tun? „So etwas wie Stuttgart 21 wollen wir jedenfalls nicht“, sagt der Bürgermeister.

    In diesem Punkt ist er sich mit der Deutschen Bahn einig. Stefan Kühn, Leiter der DB Netz in Bayern, hat im Frühsommer die Pläne vorgestellt, die vor Ort aber auf keine Gegenliebe stoßen. In einem Zweistufenplan sollen zunächst die beiden bestehenden Gleise so ertüchtigt werden, dass ab 2025/2026 täglich gut 300 Züge durch die sieben Dörfer fahren können. Ab 2016 soll parallel die Planung für den Neubau zweier weiterer Gleise starten.

    Szene drei, Landratsamt Rosenheim. Das Misstrauen gegen die Bahn sitzt auch hier tief. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht mit einer Billiglösung abgespeist werden“, sagt Landrat Wolfgang Berthaler. Ihn treibt eine böse Vorahnung um: Wenn die beiden vorhandenen Gleise so aufgerüstet sind, dass 300 Züge auf ihnen fahren können, dann könnte dieses Provisorium zum Standard werden. Denn wer baut für eine Milliardensumme zwei neue Gleise, wenn sich der Bedarf auch nach Eröffnung des Brennerbasistunnels auf diesem Niveau einpendeln oder nur geringfügig erhöhen sollte, fragt er. Im Klartext heißt das: Es würde nur dort für ausreichend Lärmschutz gesorgt, wo die Strecke erneuert wird, ansonsten würden einfach nur erheblich mehr Züge verkehren.

    Über keine andere Strecke rollen derzeit so viele Lkw von der Nord- auf die Südseite der Alpen und zurück wie über die Brennerautobahn. Und die Bahnstrecke aus dem 19. Jahrhundert, die hinter Innsbruck durch das Wipptal und über den Brennerpass nach Italien führt, kann mit ihren engen Kurven und Steigungen kaum mehr als die derzeit 250 Züge pro Tag aufnehmen. Von denen sind die Hälfte Güterzüge.

    Zwischen Rosenheim und der Tiroler Grenzstadt Kufstein dürfen aktuell maximal 220 Züge pro Tag fahren. Dank des Brennerbasistunnels könnten es theoretisch 484 werden. Für Personenzüge soll die Fahrt von München bis Verona dann nicht mehr fünf Stunden und 20 Minuten dauern, sondern nur noch knapp zweieinhalb Stunden.

    Eröffnungspläne stehen auf wackligen Beinen

    Mit einer Maximalauslastung rechnet aber niemand. Die Bundesregierung erwartet zur Eröffnung des Tunnels die beschriebenen gut 300 Züge auf dem bayerischen Teil der Strecke. Diese sollen zumindest zwischen 2026 und 2036 auf den existierenden zwei Gleisen fahren. Danach erst werden die beiden neuen Gleise fertig sein. Die lange Dauer hat auch mit einem deutschlandweit einmaligen Planungsprozess zu tun. Erstmals beginne der Dialog mit den Bürgern auf der Basis eines „weißen Blatt Papiers“, sagte DB-Manager Kühn im Frühsommer.

    Szene vier, Stammtisch am Bahnhof Oberaudorf. Der Rentner Oskar Heinrich und der Bahnhofsbesitzer Josef Litzer (er hat das Gebäude vor einigen Jahren für 250 000 Euro erstanden) beflügeln sich gegenseitig bei der Lösung des kniffligen Problems. Am Ende kommen sie zu dem Schluss: „Die sollen eine neue Strecke unten, parallel zur Autobahn, so schnell wie möglich bauen. Da ist ausreichend Platz. Straße und Schiene wären gebündelt und der Lärm aus den Dörfern heraus“, lautet ihr Vorschlag. Die Zuständigen sollten sich als Vorbild die Österreicher und deren Trasse zwischen Innsbruck und Kundl bei Wörgl nehmen. 32 der 40 Kilometer würden dort in Tunnels, Einhausungen und Galerien verlaufen. Die anderen am Tisch nicken zustimmend.

    Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn die Planung für so eine Lösung dauert nach Angaben der Bahn heutzutage mindestens 20 Jahre. Ob dann die Züge schon durch den Brennerbasistunnel rollen, darüber hinaus achtspurige Autobahnen von leisen und sauberen Elektroautos befahren werden, darüber kann man derzeit nur spekulieren. Fakt ist: Die Eröffnungspläne für 2026 stehen auf wackligen Beinen. Die Österreichischen Bundesbahnen gehen intern bereits von 2032 aus, heißt es in Medienberichten.

    Abgesehen von den Problemen im Inntal und an diversen anderen Orten gibt es beispielsweise nicht wenige Experten, die das Projekt Brennerbasistunnel schlichtweg für ein Milliardengrab halten. Die Kosten liegen offiziellen Schätzungen von 2010 zufolge allein für den Tunnel bei über acht Milliarden Euro. Am Ende dürften es einer österreichischen Studie zufolge deutlich mehr sein. Daneben fragen sich Fachleute, ob der Tunnel die bisherigen Verkehrslinien, insbesondere die Autobahn, tatsächlich so stark wie prognostiziert entlasten wird.

    Man könnte nun bücherlang über das Für und Wider des gesamten Projekts schreiben. Doch das wäre Thema für eine neue Geschichte.

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