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Polizistenmord: Ist Raimund M. schwer krank? Staatsanwalt zweifelt am Gutachter

Polizistenmord

Ist Raimund M. schwer krank? Staatsanwalt zweifelt am Gutachter

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    Liegt er richtig mit seiner Einschätzung, dass der mutmaßliche Polizistenmörder Raimund M. zu krank ist für einen Prozess? Bisher wurde der Neurologe Ralph-Michael Schulte von der Augsburger Justiz als Gutachter geschätzt. Doch jetzt rückt die Staatsanwaltschaft von ihm ab.
    Liegt er richtig mit seiner Einschätzung, dass der mutmaßliche Polizistenmörder Raimund M. zu krank ist für einen Prozess? Bisher wurde der Neurologe Ralph-Michael Schulte von der Augsburger Justiz als Gutachter geschätzt. Doch jetzt rückt die Staatsanwaltschaft von ihm ab. Foto: Fred Schöllhorn

    Sein Markenzeichen ist die Fliege. Ohne Querbinder am Kragen betritt Ralph-Michael Schulte keinen Gerichtssaal. Bei der Augsburger Justiz ist der Neurologe und Psychiater seit Jahren ein gern gesehener Gast. Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte schätzen ihn als Gutachter – wegen seiner ruhigen, sachlichen Art. Doch seit Schulte den mutmaßlichen Polizistenmörder Raimund M., 60, als zu krank für den Prozess eingestuft hat, sinkt sein Stern in Augsburg.

    Staatsanwalt Dischinger beantragt zweiten Gutachter beim Schwurgericht

    Jetzt hat die Staatsanwaltschaft massive Zweifel an den bisherigen Erkenntnissen von Ralph-Michael Schulte angemeldet. Der zuständige Staatsanwalt Hans-Peter Dischinger hat beim Schwurgericht beantragt, dass ein zweiter Sachverständiger den Gesundheitszustand von Raimund M. einschätzt. Damit rückt die Staatsanwaltschaft erstmals von Schulte ab.

    Bisher lag der Gutachter allerdings auch meist auf der Linie der Behörde – etwa im Verfahren um die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Michael W., den Mörder der zwölfjährigen Vanessa aus Gersthofen bei Augsburg. Als W. nach zehn Jahren in Haft 2012 freikommen sollte, stufte Schulte ihn als nach wie vor hochgefährlich ein – und ermöglichte es so dem Gericht, den Vanessa-Mörder weiter hinter Gittern zu halten.

    Waffen wurden erneut auf DNA-Spuren untersucht

    Im Fall von Raimund M. vertritt Schulte nun die Ansicht, dass die Parkinsonerkrankung des Angeklagten – auch wegen einer monatelangen Einzelhaft – so weit fortgeschritten ist, dass er nicht mehr am Prozess teilnehmen kann. Deshalb ist das Strafverfahren gegen M. im November geplatzt. Gegen seinen ebenfalls angeklagten Bruder Rudi R., 58, wird indes weiterverhandelt. Eigentlich sollten vor dem Schwurgericht in dieser Woche sogar schon die Plädoyers im Prozess gegen R. beginnen.

    Doch auf Antrag von R.s Verteidigern gibt es nun ebenfalls noch einmal ein neues Gutachten – jedoch nicht zu R.s Gesundheitszustand. Eine Sachverständige soll die in einem Versteck der Brüder entdeckten Kalaschnikow-Gewehre, mit denen der Beamte Mathias Vieth erschossen wurde, erneut gründlich auf DNA-Spuren untersuchen. Anfang Februar sollen die Ergebnisse vorliegen. Danach könnten Plädoyers und Urteil folgen. R. muss mit einer lebenslangen Haftstrafe und zusätzlicher Sicherungsverwahrung rechnen.

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Zweiter Gutachter wird sich ein Bild aus Akten und Zeugenaussagen machen

    Wie es mit Raimund M. weitergeht, ist indes offen. In Justizkreisen geht man davon aus, dass die Richter dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgen und einen zweiten Gutachter hinzuziehen. Nach Ansicht der Anklagebehörde sollte es ein Neurologe sein, der Erfahrung mit der Parkinsonkrankheit hat. Viel hängt davon ab, wie er M.s Zustand einschätzt.

    Der zweite Gutachter wird sich sein Bild womöglich nur aus Akten und mithilfe von Zeugen machen können. M.s Anwälte hatten bisher betont, dass ihr Mandant nur mit Schulte sprechen wolle. Entschieden ist diese Frage aber offensichtlich noch nicht. Bis nächste Woche wollen die Verteidiger dazu Stellung nehmen.

    Rechtsanwalt Walter Rubach ist überzeugt davon, dass ein zweiter Sachverständiger zu dem Ergebnis kommen wird, dass M.s Krankheit deutlich weniger ausgeprägt ist als bisher angenommen. Rubach vertritt die Witwe und die Schwester des ermordeten Polizeibeamten. Er sagt, er habe „erhebliche Zweifel“ an der Sachkunde von Schulte.

    Auch Diana K., die in der Mordnacht mit dem getöteten Beamten auf Streife war und bei der Schießerei verletzt wurde, fordert eine weitere Begutachtung. Ihre Anwältin Marion Zech sagt, sie habe Zweifel, ob Raimund M.s Auffassungsgabe wirklich so schlecht ist wie im Gutachten geschildert. Immerhin sei der Angeklagte zum Beispiel auch noch in der Lage, mit Gefängnisbeamten über das Fußball- und Tennisgeschehen zu plaudern.

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