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Interview: Günther Oettinger zur Energiepolitik: „Bayern macht ja ohnehin schon sehr viel“

Interview

Günther Oettinger zur Energiepolitik: „Bayern macht ja ohnehin schon sehr viel“

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    EU-Kommissar Günther Oettinger im Interview über die energiepolitische Zukunft Bayerns.
    EU-Kommissar Günther Oettinger im Interview über die energiepolitische Zukunft Bayerns.

    Unlängst war Günther Oettinger in der Landtags-Gaststätte, um ein kleines Bier zu bestellen. Der EU-Kommissar hatte der Energiekommission des Landtags zuvor Rede und Antwort gestanden. Die nächsten Termine drängen. Aber solange das Bier reicht, hat er noch Zeit für ein paar Fragen. Also los.

    AZ:Die Energiewende in Deutschland kommt nicht richtig in die Gänge. Was kann Bayern tun?

    Günther Oettinger: Bayern macht ja ohnehin schon sehr viel. Klar ist in jedem Fall, dass Bayern neben Baden-Württemberg das Bundesland ist, das bisher am meisten Atomstrom hatte. Deshalb ist hier natürlich auch der Veränderungsbedarf sehr groß.

    Stromleitungsausbau von Nord nach Süd "notwendig"

    AZ:Bayern braucht etwa für die Absicherung der Grundlast neue Gaskraftwerke. Doch die lohnen sich unter den derzeitigen Bedingungen für Investoren offenbar nicht. Was kann man tun?

    Oettinger: Gaskraftwerken gehört aus meiner Sicht ganz klar die Zukunft. Auch weil man sie sehr flexibel mit regenerativen Energien einsetzen kann. Aber nur, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, kann man diese Kraftwerke nicht rentabel betreiben. Ein Gaskraftwerk braucht ungefähr 4000 Betriebsstunden im Jahr um die Rentabilitätsgrenze zu überschreiten. Beim angestrebten Energiemix kommt man aber nur auf rund 2400 Betriebsstunden – also baut sie auch kein privater Investor. Ich kann deshalb verstehen, wenn die Bayerische Staatsregierung darüber reden will, wie die öffentliche Hand Gaskraftwerke finanziell unterstützen kann.

    AZ:Wie wichtig ist es für Bayern, dass der Stromleitungsbau schneller vorangeht? Schließlich ist die Entfernung zum Windstrom aus Nord- und Ostsee von Süddeutschland besonders groß.

    Oettinger: Deshalb drängt ja die Bayerische Staatsregierung zu Recht auf schnelle Planung, Genehmigung und Umsetzung. Die Leitungen sind von Nord nach Süd notwendig. Aber wir brauchen auch neue Verbindungen nach Tschechien, nach Polen und nach Österreich.

    "Wir werden nicht jeden gewinnen können, aber die Mehrheit wird am Ende mitziehen"

    AZ:Sind Sie optimistisch, dass die notwendigen Leitungen rechtzeitig fertig sind, um den Ausstiegszeitplan einzuhalten?

    Oettinger: Wir können heute in einer Art und Weise öffentlich über Energiestrategien und Ausbaunotwendigkeiten reden wie nie zuvor. Vor Fukushima hätten solche Fragen ja nur ein Fachpublikum interessiert. Heute ist das anders. Ich glaube schon, dass für die Menschen die technischen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge erkennbar sind. Und deshalb bin ich schon auch überzeugt, dass eine Mehrheit den notwendigen Baumaßnahmen zustimmen wird. Wir werden nicht jeden gewinnen können. Aber die Mehrheit wird am Ende mitziehen.

    AZ:Es gibt immer wieder Berichte über Probleme mit der Stabilität des deutschen Stromnetzes. Von einem drohenden Blackout ist gar die Rede. Ist denn die Versorgungssicherheit gewährleistet, wenn demnächst weitere Atomkraftwerke vom Netz genommen werden?

    Oettinger: Unsere Netzbetreiber leisten hervorragende Arbeit. Aber die Arbeit ist sehr schwierig geworden. Wir haben zudem noch immer rund 16 Prozent Atomstrom in Deutschland. Deshalb ist klar: Vor dem Abschalten weiterer Atomkraftwerke muss der Aufbau der Windparks, der Gaskraftwerke und der Netzausbau gelungen sein.

    "Gewichtiges Argument für einen Industriestandort, wenn der Strom immer da ist"

    AZ:Ein großer Stromausfall ist also nicht auszuschließen, wenn nicht schnell Fortschritte gemacht werden?

    Oettinger: Stromausfälle hat es immer gegeben. Aber wir haben in Deutschland im weltweiten Vergleich die geringste Zahl an Jahresminuten ohne Strom. Das ist eine Spitzenstellung, die wir unbedingt halten sollten. Es ist nämlich auch ein gewichtiges Argument für einen Industriestandort, wenn der Strom immer da ist, während er in Asien oder Amerika unregelmäßig, aber häufig ausfällt.

    AZ:Bayern hängt deutlich stärker von der Atomkraft ab als andere Bundesländer. Gibt es denn aus Ihrer Sicht einen Punkt, wo man den Ausstiegszeitplan noch einmal diskutieren müsste, falls die Energiewende nicht wie erhofft umgesetzt wird?

    Oettinger: Entscheidungen über den Energiemix und die eingesetzte Technik treffen die nationalen Parlamente. Da bin ich als EU-Kommissar zur Neutralität verpflichtet. Aber als deutscher Staatsbürger bin ich mir hundert Prozent sicher, dass – egal wie die nächsten Bundestagswahlen ausgehen – den Ausstieg und den Ausstiegszeitplan kein deutsches Parlament mehr verändern wird.

    "Atomausstieg hat in vielen Ländern zu Folgerungen geführt"

    AZ:Man ist also zum Erfolg verdammt?

    Oettinger: Man ist gezwungen, rechtzeitig neue Kraftwerke und Leitungen zu bauen. Oder wenn das nicht gelingt: Strom aus dem Ausland zu importieren.

    AZ:Wie sehen Sie aus europäischer Perspektive die Zukunft der Atomkraft in Europa? Ist Deutschland mit dem Ausstieg ein Vorreiter oder ein Einzelfall?

    Oettinger: Der beschlossene Atomausstieg hat in vielen Ländern zu Folgerungen geführt. Italien hat schon vor Fukushima den Bau von Kernkraftwerken abgelehnt. Die Schweiz wollte zwei neue AKW bauen und baut jetzt keine mehr – und steigt in zwanzig Jahren aus. Die Belgier wollen aussteigen. Ich bin sicher, der neue französische Präsident wird den Atomstromanteil von derzeit 76 Prozent in Frankreich verringern. Trotzdem muss uns klar sein, dass es weltweit in den nächsten Jahren neue Atomkraftwerke geben wird: In Finnland wird gebaut. Auch in Polen. Die Chinesen bauen derzeit 25 neue Atomkraftwerke. Deshalb ist der einzige gemeinsame Nenner, dass man die höchsten technischen Standards für Neubau und Nachrüstung möglichst verbindlich auferlegt. Interview: Henry Stern

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