Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Prozess in Augsburg: Größter Betrugsfall im deutschen Online-Handel

Prozess in Augsburg

Größter Betrugsfall im deutschen Online-Handel

    • |
    Am Augsburger Landgericht läuft ein Prozess um den wohl größten Fall von Online-Betrug.
    Am Augsburger Landgericht läuft ein Prozess um den wohl größten Fall von Online-Betrug. Foto: dpa

    Es war eine Kleinanzeige im Internet, auf die Julia A. sich gemeldet hatte. Die Studentin, die in Dortmund Englisch und Biologie studiert, hatte einen Nebenjob gesucht. Sie könne, schrieb ihr ein gewisser Ali, die Onlineseiten seines Internetshops pflegen. Mit den zwölf Euro, die sie für jede Stunde am Computer verdiente, ist es am 11. Mai 2011 vorbei. Um 6.30 Uhr morgens bekommt die hübsche 26-Jährige im Studentenwohnheim überraschenden Herrenbesuch. Sieben Kriminalbeamte wollen ihr Zimmer durchsuchen. Wenig später sitzt sie im Gefangenentransport nach München-Stadelheim.

    Noch schlimmer ergeht es zur gleichen Zeit dem Krankenpfleger Nikolas R. Spezialeinsatzkräfte der Polizei brechen mit einem Rammbock seine Wohnungstür auf, stürzen sich auf den 36-Jährigen, fesseln ihn, verbinden ihm die Augen. Nikolas R. hat, man sieht es ihm nicht mehr an, früher Kampfsport betrieben, als Bundespolizist.

    Eine Million Euro Schaden

    An diesem Vormittag sind bundesweit über 170 Polizisten im Einsatz, acht Personen werden festgenommen, darunter auch die Anführer der Bande. Eine Sonderkommission des bayerischen Landeskriminalamtes hat in mehr als zweijährigen, äußerst schwierigen Ermittlungen den bisher größten Betrugsfall im deutschen Online-Handel aufgedeckt. Der angeklagte Schaden, ausgelöst durch gefälschte Internetauftritte von Onlineshops und Postbank-Pishing, liegt bei einer Million Euro. Geld, das bis heute weitgehend spurlos verschwunden ist. Vermutlich ruht es auf unbekannten Konten in der Türkei.

    Spektakuläre Abmahnungen im Internet

    Mit Abmahnungen im Internet sorgen Firmen, aber auch Privatpersonen häufig für Kopfschütteln und Schlagzeilen - zumal sie oft genug nach hinten losgehen. Hier Beispiele aus den vergangenen Jahren.

    Die Gabriel-Abmahnung: Der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) mahnt im Jahr 2006 den Blogger Marcel Bartels ab. Ein Nutzer von Bartels Webseite hat eine satirische Bildmontage von Gabriel hochgeladen. Der Politiker sieht darin seine Persönlichkeitsrechte verletzt.

    Die Brötchen-Abmahnung: Ein Blogger veröffentlicht Anfang 2007 auf seiner Webseite ein Foto eines Brötchens. Das hat er allerdings von der Seite marions-kochbuch.de kopiert. Deren Betreiber mahnen den Blogger ab - er soll 6000 Euro bezahlen.

    Die Olympia-Abmahnung: Die Betreiber des Saftblogs bekommen eine Abmahnung des Deutschen Olympischen Sportbunds. Die Blogger hätten illegalerweise die olympischen Ringe verwendet - ein markenrechtlich geschütztes Symbol.

    Die Bahn-Abmahnung: Im Februar 2009 schickt die Deutsche Bahn dem Betreiber von netzpolitik.org eine Abmahnung. Dessen Betreiber Markus Beckedahl hatte ein internes Memo der Bahn veröffentlicht. Das Unternehmen wirft ihm daraufhin "Verrat von Geschäftsgeheimnissen" vor.

    Die Tatzen-Abmahnung: Der Kleidungs-Hersteller Jack Wolfskin geht im Herbst 2009 massiv gegen Hobby-Handarbeiter vor, die im Internet Waren mit Pfotenabdrücken anbieten. Das Tatzen-Logo sei markenrechtlich geschützt, argumentiert die Firma - und gerät dafür in die Kritik.

    Die JAKO-Abmahnungen: Die Sportartikelfirma Jako AG mahnt im August 2009 den Blogger "Trainer" Frank Baade wegen unliebsamer Äußerungen ab. Die Abmahnung wird zum PR-Gau. Angesichts des massiven öffentlichen Drucks muss sich die JAKO AG wenig später entschuldigen.

    Die Augsburg-Abmahnung: Nur, weil er die Internetadresse augsburgr.de für sich registriert hatte, lässt die Stadt Augsburg 2009 einen jungen Blogger abmahnen. Wenig später rudert die Stadt zurück: Der Blogger muss die Kosten nicht bezahlen.

    LKA-Präsident Peter Dathe sagt: „Dieses Verfahren ist in Bezug auf die Enttarnung von Internettätern und in seiner Dimension bisher einzigartig.“ Die Fahnder hatten hunderte Mail-Adressen sowie 126 Festnetz- und Mobilfunkanschlüsse überwacht. Protokolliert ist eine Zahl von 184.136 Gesprächen oder gescheiterten Anrufen.

    Die ersten Urteile

    Seit Mitte Juni läuft vor einer Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Augsburg der Prozess gegen drei der Hauptakteure. Während der mutmaßliche Kopf der Bande, ein 22-jähriger Deutsch-Iraker, noch auf der Anklagebank sitzt, fielen gestern gegen zwei Mitangeklagte die Urteile. Ahmed D. muss wegen gewerbsmäßigen Betrugs für vier Jahre ins Gefängnis. Niklas R. bleibt durch eine zweijährige Bewährungsstrafe dagegen auf freiem Fuß. Außerdem muss der 36-Jährige 10000 Euro zahlen. Das Gericht entsprach damit der Forderung des Verteidigers Klaus Rödl. Sein Mandant hatte nach der Festnahme alles gestanden, auch sein 40-stelliges Passwort, mit dem er seinen Computer geschützt hatte.

    Staatsanwalt Andreas Straßer hatte für den Krankenpfleger mit IT-Kenntnissen dreieinhalb Jahre Haft gefordert. Vom Prozess müsse ein Signal ausgehen, derartige Straftaten würden streng bestraft. Ein Eindruck, den Richter Rudolf Weigell, als er das Urteil verkündete, so nicht stehen lassen mochte: „Es gehört auch zur Allgemeinbildung, dass das Internet ein gefährliches Medium ist. Wer dort auf vermeintliche Schnäppchen stößt und Geld gegen Vorkasse einzahlt, handelt fahrlässig und macht es den Tätern leicht.“

    Der mitangeklagte Türke, 30, hatte seit November 2008 unter falschem Namen für die Bande im Internet Kleinanzeigen veröffentlicht. In ihnen wurden Privatleute gesucht, die gegen Bezahlung ihrem „Arbeitgeber“ ihr Girokonto zur Verfügung stellen. Immerhin etwa 1000 Männer und Frauen hielten das für „leicht verdientes Geld“ – was sie zwischenzeitlich bereuen dürften. Gerichte haben sie wegen Beihilfe zum Betrug zu Geld- oder Bewährungsstrafen verurteilt.

    Niklas R. versicherte im Prozess, bis zuletzt nicht gewusst zu haben, dass er einer Bande angehörte, die riesige Betrügereien verübte. Er hatte nur Kontakt zu einem „Hansi“ gehabt, der ihm über das Internet Aufträge für neue Webauftritte erteilte. „Hansi“ war einer der vielen Decknamen, unter denen der Deutsch-Iraker Karwan M. auftrat.

    Dass er an Verbrechen beteiligt war, hat der 36-Jährige, wie er eingestand, schnell erkannt. Spätestens, als er eines Tages in Dortmund sein Honorar abholen sollte. Es lag auf der Straße. Ein Kurier hatte das Kuvert mit 10.000 Euro unter einem Verkehrsschild deponiert.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden