Wer kein Eingeweihter ist, wird sich verwundert die Augen reiben (– die Ohren sind ohnehin von all dem Gekreische begeisterter Mädchen längst taub). Stundenlang hatten die Fans vor der Münchner Tonhalle gewartet, von ihren Eltern bis aus Regensburg und Ravensburg, aus dem Oberallgäu, Landsberg, Dillingen, aus dem Salzburger Land und dem Schweizer Thurgau angekarrt, um die auf der Bühne zu erleben, die auch durch ihr Klicken von deren Videos auf der Internetplattform Youtube zu so was wie Popstars geworden sind.
Und dann: Ist bei einem Dutzend Mitwirkender und sechs Showteilen nach nur 60 Minuten Schluss? Bisschen DJ, bisschen Live-HipHop, bisschen Blabla, bisschen Publikumsspielchen. Fertig. Und das soll eine Tour über zwölf Stationen tragen – und alle mindestens ausverkauft oder, wie diese hier in München, extra noch in eine größere Halle verlegt und wieder ausverkauft?
Aber der Nicht-Eingeweihte hat dabei eben das Wesentliche bereits überlesen und wird es eben darum erst jetzt verstehen. Denn nach dem vermeintlichen Show-Ende beginnt die Vorbereitung des zweiten Höhepunktes: Die Bühne wird abgeschirmt, nur ein kleiner Zugang von der Seite fürs Publikum gelassen – und durch den werden nun alle 2500 Kids geschleust, damit sie Fotos und Videos von sich mit ihren Helden machen können. Und das dauert dann noch mal ganze zwei Stunden.
YouTube-Stars schlossen sich zu "Gang Tour" zusammen
Willkommen also bei der „Gang Tour“. So nämlich nennt sich dieser Zusammenschluss von Youtube-Helden, die da gerade auf ihrem Triumphzug durch die Republik sind. Dabei ist etwa der HipHopper Liont, der es kürzlich mit seinem Debütalbum auf Platz zwei der Hitparaden geschafft hat, und das Gesangsduo Ado Kojo und Shirin David, die mit einem Cover des Sabrina-Setlur-Songs „Du liebst mich nicht“ die iTunes-Charts anführte – was sie aber eint ist, ist ihre künstlerische Heimat.
Denn sie alle haben einen eigenen Kanal auf Youtube, der – gelinde gesagt – sehr gut geklickt wird und darum auch für sie selbst durchaus einträglich ist. Herausragend wohl der von der Hip-Hop-Kombo ApeCrime, die nahezu mit jedem einzelnen Video in die Millionen schießen – aber auch Comedy- und Talk-Programme, wie etwa von Melinda oder Paola oder Dagi Bee. Jetzt haben sie sich also zu einem Tuber-Netzwerk zusammengefügt und eine Show konzipiert, die dann Simon Desue eröffnet, der als DJ den Einpeitscher gibt, Mitte 20 übrigens, wie die ganze Gang im Schnitt. Und da ist es noch deutlich vor 19 Uhr.
Denn um 22 Uhr muss alles hier über die Bühne sein, damit es für die überwiegend noch nicht 16-jährigen und am liebsten natürlich in der Halle nicht von Eltern begleiteten Kids noch im gesetzlichen Rahmen bleibt.
Nach Live-Show können Fotos gemacht werden
Und damit zu den Eingeweihten dieser schönen neuen Popstar-Welt. Für die nämlich sind die Gang-Mitglieder ein Mischform aus Freund und Idol: Man fühlt sich vertraut, aus der gleichen Welt stammend (trifft übrigens auch auf künstlerische Fertigkeiten, die in ihrer Qualität nicht unerreichbar scheinen), ist als einer der vielen Abonnenten von deren Kanälen Teil einer Familie … – und das hier ist das Familientreffen!
Nun endlich fasst man durch den Bildschirm – und bannt dieses Erlebnis gleich darauf zurück. Wie die ganze Live-Show nämlich ständig vom Kameras fürs Netz aufgezeichnet wurde, so kann und soll nun auch jeder Zuschauer die Begegnung fotografieren und filmen, als digitalisierte Bestätigung der Wirklichkeit speichern, mitnehmen und weiterverbreiten können.
Ein Drama ist es darum, wenn nach all dem Warten in den wenigen, eiligen Sekunden mit den Helden das Handy tatsächlich versagt. Das passiert. Aber sicher wurde das Mädchen dafür vom äußerst adretten Breakdancer und Sänger der Gang, Julien Bam, umarmt. Und aller Wahrscheinlichkeit nach wird dies auch nicht die einzige Gelegenheit bleiben. Denn der Siegeszug solcher Popstars hat gerade erst begonnen. Und die herkömmlichen Helden mühen sich alle damit ab, die Kanäle zu erobern, in denen sie zuhause sind. Wie ihr Publikum.